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„Ein Buch riecht, knistert und macht Geräusche“

„Ein Buch riecht, knistert und macht Geräusche“
IHK-Einzelhandelsexpertin Claudia Wagner spricht mit Buchhändler Michael Link über Preisbindung, Internetkonkurrenz und Wege aus der Krise für den stationären Einzelhandel. © IHK Lahn-Dill
Die Buchhandlung Stephani ist seit 1881 fester Bestandteil in Biedenkopf. Michael Link führt sie seit zwölf Jahren. Rund 3000 Bücher umfasst der Bestand vor Ort, das Portfolio ist vielseitig und geht von Romanen, über Krimis und Thriller, Science-Fiction, Fantasy bis hin zu Fachbüchern. Im eigenen Webshop gibt es Zugriff auf 1,5 Millionen Titel sowie Filme oder Gaming-Produkte. Michael Link organisiert regelmäßig Lesungen in seiner Buchhandlung oder unterstützt die Stadt bei der Auswahl der Autoren für Veranstaltungen im Rathaus. Zuletzt waren Andreas Steinhöfel, Johann von Bülow und Wladimir Kaminer in Biedenkopf zu hören.
Herr Link, Sie haben Thalia, Amazon und Co. überlebt und alle Krisen der vergangenen Jahre überwunden, am Standort Biedenkopf sind Sie eine feste Größe. Allein die Buchpreisbindung kann Sie nicht gerettet haben. Was machen Sie anders?
Michael Link: Die Buchpreisbindung ist sicherlich auch ein wichtiger Grund, dass wir noch da sind. Vor allem in Krisenzeiten ist sie eine große Hilfe, denn die Kunden haben keinen Grund, im Netz zu bestellen. Doch ich denke, unsere Kunden kommen vor allem, weil wir versuchen, zu ihnen eine persönliche Beziehung aufbauen. Wir bieten Beratung, die gibt es im Internet nicht. Unser Geschäft soll vor allem auch Treffpunkt mit Wohlfühlklima sein. Da wir tatsächlich gezielt angesteuert werden und viele Stammkunden haben, scheint das zu funktionieren. Uns ist jeder Kunde gleich wichtig. Wir versuchen, für jeden jedes Buch zu besorgen. Ich denke, das ist es, was uns ausmacht und was von unseren Kunden honoriert wird.
Das Lesen hat sich verändert, besonders durch die Digitalisierung. Wir werden verleitet, Infos und Beiträge nur schnell zu scannen oder gar gleich Filme zu streamen. Jugendliche lesen sowieso weniger. Wie wirkt sich die Digitalisierung auf Schulklassen aus? Ist Lesen zu einer Art Erlebnis geworden?
Michael Link: Laut einer Studie verbringt der durchschnittliche Deutsche täglich zwei Stunden mit Medienkonsum im Netz. Das ist die Zeit, die für das Lesen eines Buches fehlt. Das merken wir natürlich. Wir konkurrieren mit dem Netz. Dazu kommt, dass das Konsumverhalten allgemein deutlich zurückgegangen ist. Doch die Stammleser bleiben dabei. Sie sehen das Buch als Entschleuniger in einer digitalen Welt. Für viele ist es auch ein Hobby. Sie bleiben beim Print, denn ein Buch riecht, es knistert, macht Geräusche beim Blättern und man kann Knicke hineinmachen – versuchen Sie das mal am PC.
Kritisch sehe ich das Thema Schulen. Wenn die Schulen digitalisiert werden, das Schulbuchgeschäft also digital wird, dann liefern die Verlage direkt an die Schulen und der Buchhandel bleibt außen vor. Dann bricht den Buchhandlungen das Schulbuchgeschäft komplett weg.
Die Nachwehen von Corona, der Energiekrise sowie Inflation und Kaufzurückhaltung sind nicht alle Herausforderungen, die Sie bewältigen müssen. Stationäre Geschäfte in Kommunen unter 50.000 Einwohner haben es besonders schwer, Frequenzen zu erzeugen. Auch der Fachkräftemangel ist im Einzelhandel spürbar. Wie bewältigen Sie diese Herausforderungen und welche Unterstützung würden Sie sich von der Politik wünschen?
Michael Link: Als stationärer Handel müssen wir dem Kunden etwas bieten, das er im Netz nicht hat. Das ist die persönliche Beratung und der Austausch. Es reicht nicht, einen Verkäufer nur an ein Regal zu stellen. Wir müssen für die entsprechende Wohlfühlatmosphäre sorgen.
Der Politik fehlt meiner Meinung nach der Blick auf den stationären Handel. Für diesen Wirtschaftszweig tätig zu werden, scheint der Politik nicht dringlich, schließlich können die Menschen ja im Internet bestellen. Die Vereinsamung der Menschen vor den Bildschirmen und die damit einhergehende Verödung der Innenstädte wird damit von der Politik nicht als Problem gesehen. Das ist leider zu kurz gedacht. Leerstände in den Innenstädten bedeuten nicht nur mangelnde Vielfalt, sondern sie ziehen ganz konkret Schmuddelecken, ungepflegte Fassaden bis hin zu maroder Bausubstanz nach sich. Der Politik möchte ich sagen: Nehmt uns bitte wieder wahr! Wir sind Bestandteil der Wertschöpfungskette. Wir sind ein wichtiger weicher Standortfaktor, wenn es um die Attraktivität einer Region geht. Einzelhandel pflegt die Geschäfte, Häuser und Fassaden. Eine gut frequentierte Innenstadt ist automatisch beleuchtet und sauber. Günstiger kann eine Stadt das nicht bekommen.  
In der Hainstraße sind Sie als Einzelhandelsfachgeschäft nahezu allein. Biedenkopf hat viele Geschäfte verloren, obwohl der Ort mit den vielen schönen Fachwerkhäusern Potenzial hat. Wie schaffen Sie es, Ihr Geschäft attraktiv zu halten und Kunden anzusprechen? Was würden Sie sich für Biedenkopf und Ihren Standort in der Hainstraße wünschen?
Michael Link: Ich wünsche mir flankierende Geschäfte, die sich gegenseitig ergänzen. Für uns könnten das zum Beispiel ein Handarbeitsgeschäft und ein Café sein. Wer sich in diesen Zeiten mit einem Geschäft im stationären Handel selbstständig machen will, sollte das aber gut überlegen. Für unsere Buchhandlung funktioniert der Standort, weil wir zusätzliche Dienstleistungen anbieten können, die es im Internet nicht gibt: Wir kennen Bücher, können schwer erhältliche Bücher besorgen, organisieren Lesungen. Dafür bekommen wir auch Unterstützung von der Stadt. Diese Möglichkeiten hat nicht jeder Einzelhändler vor Ort. Was ich mir für Biedenkopf vorstellen könnte, wären daher Konzeptstores mit wechselnden Angeboten.
Das Interview führte Claudia Wagner
Kontakt:
Buchhandlung Stephani
Tel.: 06461 2188
buchhandlung-stephani.buchkatalog.de

Biedenkopf hat 13.491 Einwohner (Stand 01.01.2021). Der Einzelhandelsumsatz betrug 2022 pro Kopf 8.730 Euro, der Bundesdurchschnitt lag bei 5.972 Euro. Der Ort im Landkreis Marburg-Biedenkopf hat 188 Einzelhandelsbetriebe mit Autohäusern, Tankstellen, Apotheken und Online-Shops.

Biedenkopf besteht aus neun Stadtteilen: Biedenkopf, Breidenstein am Perfstausee, Dexbach, Eckelshausen, Engelbach, Katzenbach, Kombach, Wallau und Weifenbach. In Katzenbach leben weniger als 20 Menschen, es gehört damit neben dem Ortsteil Hülshof von Bad Endbach (20 Einwohner) zu den kleinsten Ortsteilen im IHK-Bezirk an Lahn und Dill.

Die Vielfalt der Fachwerkhäuser in Biedenkopf ist vergleichbar mit dem Hessenpark. Nach drei Stadtbränden in 100 Jahren wurden Biedenkopf aus Hessen – so heißt es – Fachwerkhäuser überlassen, auf die andere Städte und Gemeinden verzichten konnten. Daher finden sich unterschiedliche Bauarten in Biedenkopf und machen das Ensemble besonders interessant.

Jeden Freitag von 8 bis 13 Uhr findet der Wochenmarkt auf dem Marktplatz statt. Außerdem nimmt Biedenkopf an dem hessischen Förderprogramm „Zukunft Innenstadt“ teil. (Quellen: MB Research, IHK Selektion Februar 2023, www.biedenkopf.de)
LahnDill Wirtschaft Januar/Februar 2024