Wagner trifft...

"Das stationäre Geschäft sorgt für Vertrauen bei den Kunden"

Im Jahr 2000 hat Jan Arts aus Biedenkopf mit dem Online-Shop ARTS-Outdoors für Kanus, Kajaks und Bootsbedarf den Grundstein für sein heutiges Unternehmen gelegt. 2006 kam das Ladengeschäft für Outdoorbedarf und -textilien in Biedenkopf dazu. Jan Arts hat sich seitdem in der Branche über die Grenzen Biedenkopfs hinaus einen Namen gemacht und beschäftigt heute 17 Mitarbeiter. 
Herr Arts, Sie sind inzwischen seit über 20 Jahren in Biedenkopf und haben mit einer ganz besonderen Geschichte Ihre Karriere gestartet. Erzählen Sie uns von Ihren Anfängen?
Jan Arts: Gerne. Ich interessierte mich schon immer für Wassersport und wollte damals auf einer Messe ein Luftkajak aus Amerika bestellen. Doch die Messe war nur für Gewerbekunden, und die Mindestbestellmenge lag bei fünf Kajaks. Da meine Eltern ein Feinkostgeschäft führten, habe ich ihre Gewerbeanmeldung genutzt, um die Boote auf der Messe bestellen zu können. Der Plan war, die überschüssigen Boote über ebay weiterzuverkaufen. Der Marktplatz war damals ganz neu in Deutschland.
Der Plan ging auf, die Boote waren binnen weniger Tage verkauft, die Nachfrage groß. Also besorgte ich Nachschub, die Kunden wollten dann auch Schwimmwesten und weiteres Zubehör bei mir bestellen. So kam eins zum anderen, ein Jahr später eröffnete ich meinen eigenen Onlineshop, die Firma ARTS-Outdoors. Die Anforderungen an Technik und rechtliche Aspekte waren damals noch gering. Unser „Head Office“ war ein Ikea-Schrank mit PC, unser „Logistikzentrum“ bestand aus mehreren Garagen. Ich arbeitete damals noch als EDV-Leiter bei einem Unternehmen in der Region und konnte mein Geschäft nebenbei aufbauen. Das war so bis zur Eröffnung unseres Ladengeschäfts 2006 am Seewasem.
Sie haben eine unglaubliche Produkttiefe. Dafür brauchen Sie ein großes Einzugsgebiet weit über Biedenkopf hinaus. Wie befruchten sich stationäres Geschäft und Online-Handel?
Jan Arts: Wir machen inzwischen 95 Prozent unseres Umsatzes mit dem Onlineshop und unserem B2B-Distributionsgeschäft. Dennoch ist das stationäre Geschäft in Biedenkopf wichtig. Es macht aus uns ein Fachgeschäft und nicht nur einen „Kistenschieber“. Das stationäre Geschäft sorgt für Vertrauen bei unseren Kunden und bietet die Möglichkeit, Produkte anzufassen oder Luft- und Faltboote vor Ort gemeinsam aufzubauen.
Allerdings würde es den stationären Handel ohne den Onlinehandel nicht geben. Wir haben ein zu breites Sortiment mit vielen Nischenprodukten und können die Waren vor Ort nur vorhalten, weil wir sie im Onlinehandel ausreichend verkaufen.
Wachstum ist nur im Online-Handel und nicht mehr im stationären Handel zu erwarten. Da könnte man meinen, dass Sie es besonders guthaben, denn Sie sind mit dem Online-Handel groß geworden und haben die Transformation gut geschafft. Was waren Ihre größten Meilensteine im Online-Handel, und welche Herausforderungen haben Sie derzeit zu bewältigen, stationär wie online?
Jan Arts: Grundsätzlich gilt: Als Onlinehändler tritt man nicht gegen den Wettbewerber nebenan an, sondern gegen die ganze Welt. Dazu kommt, dass die Zeiten, in denen man „mal eben“ einen Onlineshop aufmachte, lange vorbei sind. Es wird immer schwieriger, als „kleiner“ Onlineshop die technischen und rechtlichen Aufgaben zu meistern. Es ist inzwischen fast ausgeschlossen, alle rechtlichen Vorgaben hundertprozentig umzusetzen. Davon leben große Abmahnvereine sehr gut. Kleine Markenrechtsverletzungen oder gar Verstöße gegen Patente kosten schnell 10.000 bis 20.000 Euro. Bürokratie, Statistiken und Administration nehmen einen großen Teil unserer Zeit ein.
Auch der Preisdruck ist online extrem hoch. Dazu kommen Kostensteigerungen in allen Bereichen. Neben stark gestiegenen Kosten für Strom sind insbesondere die Transportkosten gestiegen. Bedrohlich sind für uns auch die Preissteigerungen im Internetmarketing wie zum Beispiel bei Google Shopping. Da haben sich unsere Ausgaben im vergangenen Jahr verdoppelt.
Sie können den Online-Handel von überall betreiben und sind an keinen Standort gebunden. Dennoch sind Sie Biedenkopf immer treu geblieben. Welche Vorteile hat Biedenkopf für Sie, und wie sehen Sie die Zukunft des Einzelhandels, speziell auch in Biedenkopf?
Jan Arts: Für den Onlinehandel spielt der Standort keine Rolle. Wir sind im Laufe der Jahre in Biedenkopf gewachsen, aus der Garage wurden ein Lager und ein Geschäft, weitere Lagerräume sind im Ort dazugekommen. Natürlich wäre es einfacher, alles unter einem Dach zu haben, aber das würde höhere Investitionen und damit ein höheres Risiko bedeuten. Was das Geschäft anbelangt: Sicher ist Biedenkopf nicht der ideale Standort für so einen spezialisierten Einzelhandel wie unseren. So gibt es keine Laufkundschaft, die zufällig in den Laden kommt. Doch es gibt auch Vorteile: Die Kunden, die einen weiten Weg auf sich nehmen, um zu uns zu kommen, gehen selten ohne einen Kauf aus dem Geschäft. In Biedenkopf und Umgebung sind auch unsere Mitarbeiter zuhause, haben kurze Arbeitswege und auch die Preise für Bauland sind niedriger als in den nahegelegenen größeren Städten.                                                        
Das Interview führte Claudia Wagner
Biedenkopf hat 13.491 Einwohner (Stand 01.01.2021). Der Einzelhandelsumsatz betrug 2022 pro Kopf 8.730 Euro, der Bundesdurchschnitt lag bei 5.972 Euro. Der Ort im Landkreis Marburg-Biedenkopf hat 188 Einzelhandelsbetriebe mit Autohäusern, Tankstellen, Apotheken und Online-Shops.

Biedenkopf besteht aus neun Stadtteilen: Biedenkopf, Breidenstein am Perfstausee, Dexbach, Eckelshausen, Engelbach, Katzenbach, Kombach, Wallau und Weifenbach. In Katzenbach leben weniger als 20 Menschen, es gehört damit neben dem Ortsteil Hülshof von Bad Endbach (20 Einwohner) zu den kleinsten Ortsteilen im IHK-Bezirk an Lahn und Dill.

Die Vielfalt der Fachwerkhäuser in Biedenkopf ist vergleichbar mit dem Hessenpark. Nach drei Stadtbränden in 100 Jahren wurden Biedenkopf aus Hessen – so heißt es – Fachwerkhäuser überlassen, auf die andere Städte und Gemeinden verzichten konnten. Daher finden sich unterschiedliche Bauarten in Biedenkopf und machen das Ensemble besonders interessant.

Jeden Freitag von 8 bis 13 Uhr findet der Wochenmarkt auf dem Marktplatz statt. Außerdem nimmt Biedenkopf an dem hessischen Förderprogramm „Zukunft Innenstadt“ teil.

Quellen: MB Research, IHK Selektion Februar 2023, www.biedenkopf.de)