Wagner trifft...

"Die Kunden müssen sich bei uns wohlfühlen"

Sie feiern in diesem Jahr Ihr 60. Firmenjubiläum, betreiben über 140 Standorte, sind längst zu einer eigenen Marke geworden und Marktführerin in Deutschland. Was sind die größten Meilensteine Ihrer Firmengeschichte?
Heike Susemichel: 1962 legte mein Vater, Werner Susemichel, mit einem Kondomautomaten den Grundstein für die Firma. Schnell wurde klar: Da kann man mehr mit anfangen, und er gründete das erste Geschäft, den FCV-Erotik-Shop (FCV steht für First-Class-Spezial-Versand). In den Folgejahren entwickelte sich das Filialnetz. 1986 – wir hatten 20 FCV-Shops bundesweit und waren nach Beate Uhse die Nummer zwei in Deutschland – schlossen wir uns mit dem Orion-Versand in Flensburg zusammen. Ein großer Meilenstein kam 1991: Nach dem Mauerfall ging der Aufbau Ost los. Ich war damals bereits in die Geschäftsführung eingestiegen, und wir arbeiteten in einer Doppelspitze. Mein Vater kümmerte sich um die Expansion in Richtung Ostdeutschland, ich kümmerte mich um das Management unseres Unternehmens im Westen. Wir wuchsen stark und mussten neu bauen. Die Entscheidung für das Gewerbegebiet in Biebertal fiel. Vor 20 Jahren bauten wir das Logistikzentrum in Biebertal, 10 Jahre später das Verwaltungsgebäude. In 2018 – mit der Insolvenz von Beate Uhse – übernahmen wir bundesweit elf Läden unserer Mitbewerberin, so dass wir 2019 160 Geschäfte hatten. Es war das beste Jahr in unserer Firmengeschichte. Jetzt haben wir einen weiteren Neubau abgeschlossen – unseren Anbau und die Brücke zwischen Logistik und Verwaltung.
Erotisch shoppen ist Vertrauenssache. Sie sprechen Frauen und junge Menschen besonders an, schaffen Transparenz und Wohlfühlatmosphäre mit modernster, innovativer Einrichtungstechnik und sensibler Ansprache. Wie sind Sie durch die vergangenen Jahre gekommen, und wie sieht Ihr Tagesgeschäft mit Lieferengpässen, hohen Energiekosten und verändertem Kundenverhalten jetzt aus?
Heike Susemichel: Ganz klar: Corona hat uns ausgebremst. Inzwischen befinden wir uns im dritten Jahr im Krisenmanagement, der Ukraine-Krieg ist dazugekommen – ebenso die Inflation – und drückt aufs Geschäft. Wir mussten zwar in Kurzarbeit gehen, doch habe ich niemanden entlassen müssen. Wir haben in der Coronakrise sehr viel gelernt, Themen wie Lieferengpässe und Rohstoffmangel sind uns nicht neu, wir haben das im Griff. Was uns Sorgen macht, sind die Preissteigerungen, die wir zum Teil an die Kunden weitergeben müssen. Kommunikation ist bei diesem Thema ganz wichtig. Auch die Energiepreise belasten uns, allerdings hauptsächlich in den Läden. Hier, an unserem Stammsitz in Biebertal, sind wir mit einer eigenen Photovoltaikanlage und Erdwärme sehr gut aufgestellt und nahezu autark.
In Ihrer Zentrale in Biebertal läuft alles zusammen, Logistik- und Ladenbauzentrum, Produktmanagement, Beratung und Filialbetreuung. Einen stationären Einzelhandel haben Sie seit der Umgestaltung des Lahnhofes in Wetzlar leider nicht mehr in unserem IHK-Bezirk an Lahn und Dill. Ist es schwierig, einen geeigneten Standort zu finden? Was würden Sie sich für einen Standort hier wünschen?
Heike Susemichel: Für uns ideal sind so genannte Fachmarktlagen oder Geschäfte in Ausfallstraßen. Wir haben in der Regel keine Geschäfte in der ersten Reihe, wir bevorzugen die zweite – wie beispielsweise den ehemaligen Lahnhof in Wetzlar. Leider gibt es immer noch sehr viele Vorbehalte gegen unsere Branche. Dabei können unsere Vermieter in anderen Städten bestätigen: Wir sind ein super Mieter, absolut pflegeleicht. Das Thema Sauberkeit ist für uns das allerwichtigste. Darauf legen wir größten Wert, sonst würden unsere Geschäfte nicht laufen. Wir haben keine Kabinen, keine speckigen Vorhänge. Die Kunden müssen sich bei uns wohlfühlen. Standorte in Bahnhofsvierteln sind für uns deswegen ebenfalls ein „No-Go“.
Sie betreiben heute rund 140 Standorte in unterschiedlichsten Städten und beschäftigen sich vielfältig mit Innenstadtentwicklung. Unsere Innenstädte haben sich durch den wachsenden Online-Handel, verändertes Konsumentenverhalten, fehlende Nachfolgeregelungen und schließlich durch Corona verändert. Was brauchen Ihrer Meinung nach Innenstädte jetzt dringend, um bestehen zu können?
Heike Susemichel: Händler, Gastronomen und Dienstleister müssen an einem Strang ziehen. Das beginnt beim Thema Öffnungszeiten, aber auch die Sortimente müssen stimmen und das Personal muss passen – Kunden dürfen nicht verschreckt werden. Dazu benötigen wir Innenstadtkonzepte mit Festen und Aktionen. Wir müssen uns jetzt gemeinsam aufstellen. Es gibt Städte, in denen das gelingt, andere kämpfen mit enormen Leerständen.

Biebertal hat rund 10.100 Einwohner, der Einzelhandelsumsatz betrug 2021 2.191 Euro pro Kopf und Jahr. Zum Vergleich: Der Bundesdurchschnitt lag 2021 bei 5.596 Euro. Rund 110 Einzelhandelsbetriebe sind in der IHK Lahn-Dill gemeldet. Biebertal besteht aus den Ortsteilen Fellingshausen, Frankenbach, Königsberg, Krumbach, Rodheim-Bieber und Vetzberg. Mit durchschnittlich 9 Prozent mehr Kaufkraft lag Biebertal in den vergangenen Jahren über dem Bundesdurchschnitt. Die Burg Vetzberg und der Gailsch’e Park gehören unter anderem zu den Sehenswürdigkeiten von Biebertal. Die Gemeinde ist bei Heimat shoppen dabei.
(Quellen: MB Research 2021, IHK-Selektion September 2021)

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