„Die Politik sollte mehr den Bezug zu den kleinen Unternehmen suchen“

2016 hat Christoph Schmitt das seit 1902 in der Innenstadt von Haiger bestehende Traditionsunternehmen ENGEL Bauzentrum übernommen und parallel dazu ein Grundstück direkt an der B277 erworben. Dort investierte er in ein neues Gebäude und verlagerte den Standort von der Innenstadt an den Ortsrand: Die Bauweise des modernen Fachzentrums erlaubt nun die Durchfahrt mit PKW und LKW
© IHK Lahn-Dill
und deren Beladen – ist also ein Drive-In. Das neue ENGEL Bauzentrum hält Baustoffe für Unternehmen und Privatpersonen für Tiefbau, Rohbau, Ausbau und Gartenbau sowie für den Innenausbau bereit. Seit diesem Jahr sitzt Christoph Schmitt zudem in der Vollversammlung der IHK Lahn-Dill und vertritt die Interessen der regionalen Wirtschaft, insbesondere des Einzelhandels.
Herr Schmitt, wir haben Sie unter anderem für das Interview ausgesucht, weil Sie eine besondere Nähe zur Baubranche haben. Diese befindet sich aufgrund von Rohstoffmangel, gestiegenen Baukosten, fehlenden Fachkräften und vor allem durch den Mangel an Bauland und sich ständig verschärfende Bauvorschriften in einer anhaltenden Krise. Wie betroffen ist Ihr Unternehmen und welche Auswirkungen erwarten Sie auf andere Bereiche?
Christoph Schmitt: Die Baustoffpreise sind zum Großteil auf dem Niveau vor dem Ukrainekrieg. So sind die Preise für Fliesen aus Italien und Spanien die letzten drei Jahre fast stabil geblieben, da in den Ländern die Energiepreise kaum gestiegen sind. Die gestiegenen Spritpreise und Mauterhöhungen muss die Industrie umlegen. Die Preise werden meiner Meinung nach nicht wieder sinken.
Der Fachkräftemangel zeigt sich bei unseren Handwerkern. Und natürlich kaufen weniger Handwerker auch weniger ein. Der Bedarf an neuen Gebäuden ist ungebrochen. Die Nachfrage nach Bestandsimmobilien ist in den letzten Monaten wieder gestiegen. Dazu kommt der Wunsch nach Verschönerung des vorhandenen Wohnraums, denn es wird wieder mehr renoviert und saniert. Dabei geht es nicht nur um die energetische Sanierung, auch um neue Bäder, Küchen, neue Böden oder einfach nur neue Wände. Da sind wir mit unserer modernen Ausstellung die richtige Adresse. Wir bringen Privatkunden und Handwerker zusammen.
Einzelhandelsgeschäften in Innenstadtlagen fehlt Frequenz, die Diskussionen über verkehrsarme Innenstädte bereiten zunehmend Sorgen, schließlich hinterlässt der Online-Handel sichtbare Spuren. Die Sorgen um die Erreichbarkeit und Parkmöglichkeiten teilen Sie nicht: Sie haben Parkflächen, um die Sie stationäre Geschäfte beneiden. Aber welchen Einfluss hat der Online-Handel auf Ihr Geschäft?
Christoph Schmitt: Der Onlinehandel ist für uns vorrangig ein preisrelevantes Thema. Es werden vielfach niedrige Preise vermittelt, die sich jedoch bei genauem Hinsehen durch Versandkosten nicht immer bestätigen. Der Einzelhandel sollte sich durch eine hohe Beratungskompetenz und Schnelligkeit auszeichnen und dem Kunden zeigen, dass sich um seinen Bedarf gekümmert wird. Wir bemustern Türen und vermitteln den Schreiner. Wir geben Fliesen mit nach Hause, tauschen unkompliziert um, beraten mit unseren Handwerkern vor Ort. Wir im Einzelhandel dürfen nicht jammern: Der Großteil der Kunden schätzt die Beratung, wünscht sich eine freundliche Ansprache, schnelle Lösungen, marktgerechte Preise und honoriert das mit seinem Kauf.
Die Zukunft vieler Unternehmen ist aufgrund fehlender Nachfolgeregelungen ungewiss. Ihre beiden Söhne sind schon jetzt im Unternehmen integriert. Die Nachfolge dürfte damit für Sie perfekt gelöst sein?
Christoph Schmitt: 2016 hatten die Inhaber des ENGEL Bauzentrum keine Nachfolge. Wir haben uns getraut und mit neuen Ideen, sehr guten Mitarbeitern und viel Arbeit den inzwischen seit 122 Jahren bestehenden Baustoffhandel zu Wachstum verholfen. Ja, ich freue mich sehr, dass meine Söhne sich für das Geschäft stark machen.

Die härteste Arbeit, das Unternehmen zukunftsfähig zu machen, war die Digitalisierung, welche wir vom ersten Tag an umgesetzt haben. Da haben meine Söhne und die Mitarbeiter hart gearbeitet. Heute ist EDIFACT, der elektronische Datenaustausch mit der Industrie, nicht mehr wegzudenken. Der Kunde an der Theke bekommt sofort eine Information über die Warenverfügbarkeit bei der Industrie. Der Anschluss an die I&M Eurobaustoff, dem größten Einkaufsverband Europas, war für uns ein großer Schritt im vergangenen Jahr. Dazu betreiben wir mit 60 weiteren Baustoffhändlern ein riesiges Zentrallager südlich von Heidelberg, aus dem unsere Kunden täglich Ware erhalten. Wir gehen also optimistisch in die Zukunft – sowohl beim Thema Generationswechsel als auch beim Thema Digitalisierung und Vernetzung.
Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Standort in Haiger, und wie wichtig ist für Ihr Unternehmen eine funktionierende Innenstadt? Was würden Sie sich von der Politik für Ihren Standort und für Haiger wünschen?
Christoph Schmitt: Der Umzug auf die grüne Wiese war nicht unproblematisch. Doch Bürgermeister, Bauamtsleiter und besonders der Landrat haben mir Wege zu einer schnelleren Baugenehmigung gezeigt. Ich schätze den direkten Draht ins Rathaus. Die Politik sollte mehr den Bezug zu den kleinen Unternehmen suchen. Der Bürger und die Interessen der Unternehmen sollten mehr im Fokus stehen als parteipolitische Querelen. Wenn die Reaktion im Kreis und Rathaus immer so schnell wäre wie die Strafzettelverteilung vor Baustellen und in der Innenstadt, würden es die Bürger einfacher haben. Grundsätzlich kann ich aber sagen: Wir fühlen uns in Haiger sehr wohl.
Das Interview führte Claudia Wagner.
Haiger liegt am östlichen Rand des Westerwaldes, an den südlichen Ausläufern des Rothaargebirges und ist die nördlichste Stadt im Lahn-Dill-Kreis. Sie hat 19.623 Einwohner (Stand 01.01.2023) und gehört zu den Kommunen im Lahn-Dill-Kreis, die einen leichten Bevölkerungszuwachs verzeichnen (301 mehr zum Vorjahr).

Neben der Kernstadt hat Haiger 13 Stadtteile, Sechshelden, Langenaubach, Flammersbach, Allendorf, Seelbach, Steinbach, Rodenbach, Fellerdilln, Dillbrecht, Offdilln, Weidelbach, Oberroßbach und Niederroßbach.

2023 lag der Einzelhandelsumsatz mit 6310 Euro pro Kopf und Jahr leicht über dem Bundesdurchschnitt von 6291 Euro. Die Stadt hat 270 Einzelhandelsbetriebe mit Autohäusern, Tankstellen und Online-Shops. Zu den regelmäßigen Veranstaltungen gehört unter anderem der Lukasmarkt mit einem verkaufsoffenen Sonntag im Oktober. Dieses Jahr nimmt Haiger zum ersten Mal an „Heimat shoppen“ im September teil.

Die Industrieunternehmen in Haiger sind beachtlich, gehören teils zu Weltmarktführern oder sogenannten Hidden Champions. Die Friedhelm-Loh-Gruppe ist der mit Abstand größte Arbeitgeber im Lahn-Dill-Kreis.
Quellen: Wikipedia, MB Research, IHK-Selektion März 2024.
LahnDill Wirtschaft Juli/August 2024