"Ein Serviceangebot im Einzelhandel ist wichtig"

Das Schmuck- und Uhrengeschäft am historischen Marktplatz in Braunfels besteht seit 44 Jahren. Claudia Martini gehört seit 1990 zum Team und hat das Geschäft vor zehn Jahren im Rahmen einer Nachfolgeregelung übernommen. Neben Trend- und Uhrenmarken gehören Schmuck aus Gold, Silber und Titan sowie Trauringe zum festen Sortiment des Altstadtgeschäftes.

Frau Martini, Nachfolgeregelungen im stationären Einzelhandel sind etwas ganz besonders. Welche Überlegungen haben für Sie bei der Übernahmeentscheidung eine Rolle gespielt und welche Hilfestellungen sind für eine Übernahme nötig oder wünschenswert?
Claudia Martini:
Ich hatte es leicht, ich bin in die Nachfolge geradezu hineingewachsen. Ich kannte das Geschäft und die Kunden, das minimiert das Risiko, sich selbstständig zu machen. Außerdem wächst man mit seinen Aufgaben. Ich kann es nur empfehlen, sich selbstständig zu machen. Wichtig ist natürlich, dass man Leidenschaft für die Produkte, die man verkauft und für die Kundschaft mitbringt. Ich höre gerne zu und führe mit meinen Kunden Gespräche auch nach dem Einkauf. Wichtig für den Einzelhandel ist natürlich auch eine gut funktionierende Nachbarschaft, die muss man pflegen. Wir hier in Braunfels tun das.
Unsere Gesellschaft und das Einkaufen verändern sich stetig. Wir suchen das Erlebnis beim Einkaufen oder schätzen – seit Corona umso mehr – das Service- und Dienstleistungsangebot. Sie bieten unter anderem auch Reparaturservice für Schmuck und Batteriewechsel für Uhren an. Ist Ihrer Meinung nach der Verkauf von Waren aus dem Regal oder der Vitrine ohne Dienstleistungen in Zukunft noch möglich?
Claudia Martini:
Ein Serviceangebot im Einzelhandel ist wichtig. Ich muss meinen Kunden schließlich einen Grund bieten, warum er ausgerechnet hierher zum Einkaufen kommen soll. Dazu zählt die Wertschätzung, also das persönliche Gespräch. Aber auch ein Dienstleistungsangebot. Ich arbeite beispielsweise mit einem Goldschmied und einem Uhrmachermeister zusammen, bin eine große Freundin der Reparatur und biete eine entsprechende Beratung an - meist auch in Form eines Kostenvoranschlags. Meine Kunden sind sehr dankbar, dass ich ihnen ehrlich sage, ob sich eine Reparatur lohnt oder nicht.
Wir erleben immer mehr, dass Öffnungszeiten durch Mangel an Beschäftigten nicht beständig aufrechterhalten werden können. Vor Corona wäre es noch undenkbar gewesen, das Geschäft früher zu schließen oder sogar einen Tag geschlossen zu halten. Jetzt erleben wir zunehmend, dass Geschäfte nicht immer sechs Tage geöffnet sind. Ist diese Entwicklung für kleinere und mittlere Städte schädlich?
Claudia Martini:
Nicht einheitliche Öffnungszeiten halte ich gerade für kleinere Städte wie Braunfels für gefährlich. Da bleiben uns ganz schnell die Kunden weg. Denn die meisten Menschen kommen nicht nur für ein Geschäft hierher, sie wollen das ganze Angebot, sie brauchen also Sicherheit. In diesem Zusammenhang halte ich auch Mittagspausen und Betriebsferien für nicht mehr zeitgemäß. Das Internet kennt schließlich keine Pausen, und die Onlineshops sind für den stationären Einzelhandel immer noch die größte Konkurrenz. Ich würde mir vom Stadtmarketing daher wünschen, das wenigsten Kernöffnungszeiten in Braunfels ausgeschrieben werden.
Braunfels ist eine touristische Stadt mit historischer Altstadt, Marktplatz und bezauberndem Schloss. Das sind Vorteile gegenüber vielen anderen Städten. Dennoch braucht es einen abwechslungsreichen Mix und gastronomische Angebote, um Gäste zu begeistern. Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Standort, und was würden Sie sich für Braunfels wünschen?
Claudia Martini:
Ich bin sehr zufrieden, der Platz am Markt könnte nicht besser sein. Ich arbeite hier, wo andere Urlaub machen. Doch könnte die Stadt für ihre Gewerbetreibenden mehr tun, zum Beispiel den Marktplatz mit Blumenkübeln verschönern. Und dass an den verkaufsoffenen Sonntagen das Ordnungsamt die Kunden, deren Parkticket abgelaufen ist, nicht aufschreibt. Wer extra an einem verkaufsoffenen Sonntag hierher fährt und dann ein Knöllchen bekommt, hat ein negatives Einkaufserlebnis und kommt höchstwahrscheinlich nicht wieder. Es gibt Städte, die erheben an den Aktionstagen gar keine Parkgebühren. Das würde ich mir für Braunfels auch wünschen!
LahnDill-Wirtschaft September/Oktober 2024