Titelthema Verkehr

A45 - Interview zum Stand der Dinge

Die A 45, auch als Sauerlandlinie bekannt, ist die Lebensader unserer Region. Über den derzeitigen, sechsspurigen Ausbau äußert sich Eugen Reichwein, Außenstellenleiter in Dillenburg, Niederlassung Westfalen der Autobahn GmbH, im Interview.
An der Talbrücke Rahmede wurden vor gut einem Jahr Verformungen im Überbau gefunden, die eine sofortige Sperrung der A45 für den gesamten Verkehr notwendig machten. Droht so etwas auch in unserer Region? (Wenn nein, warum nicht?)
Eugen Reichwein: Das Autobahnnetz, so wie wir es heute kennen, stammt ganz überwiegend aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts; es ist nach den damaligen Standards konzipiert und gebaut worden. Dem Bau lagen die Prognosen der damaligen Zeit zu Grunde. Die Talbrücke Rahmede wurde für eine Verkehrsbelastung von 25.000 Fahrzeugen täglich geplant. Bis zum Jahr 2015 war die Belastung auf 64.000 Fahrzeuge in 24 Stunden angestiegen. Hinzu kommen das mit den Jahren gestiegene zugelassene Gesamtgewicht und die gestiegenen Achslasten der Lkw. Das geht auf die Substanz.
Wir haben unsere Brücken im Blick, und die Prüfmechanismen funktionieren. Zudem sind wir gerade an der A45 nicht nur mit derzeit 15 Neubauprojekten schon dabei, die Brücken zu ersetzen. Sieben Talbrücken sind zudem bereits erneuert. Bei einem Großteil der übrigen Bauwerke können wir durch eine Verstärkung die Tragfähigkeit steigern und so die Nutzungsdauer der Bauwerke verlängern.
Inzwischen laufen die Planungen für den Ersatzneubau auf Hochtouren, unter anderem, weil Planfeststellung und Plangenehmigung für Rahmede entfallen dürfen. Das ist leider nicht die Regel. Wie können die komplizierten und langwierigen Verfahren beim Autobahnbrücken- und Straßenbau vereinfacht und damit beschleunigt werden?
Eugen Reichwein: Am 27. Januar hat das Fernstraßenbundesamt den Bescheid für das Entfallen von Planfeststellung und Plangenehmigung erteilt. Das heißt, dass die Autobahn Westfalen innerhalb eines Jahres Baurecht für den Brückenneubau erhalten hat! Das war nur möglich, weil wir vieles parallel in Angriff genommen haben. So mussten wir nicht nur mit zahlreichen Eigentümerinnen und Eigentümern eine Einigung über einen Grunderwerb oder eine Inanspruchnahme erzielen, sondern auch alle umweltfachlichen Aspekte abarbeiten. Hier hat die Autobahn eng mit den zuständigen Behörden und Verbänden zusammengearbeitet. Für diese gute Kooperation, die auch im weiteren Verfahren Bestand hat, sind wir sehr dankbar.
Wir würden uns wünschen, dass das, was an der Talbrücke Rahmede so gut funktioniert hat, auch für die weiteren Ersatzneubauprojekte an der A45 möglich wäre. Schließlich geht es darum, die Brücken auf dieser wichtige Verbindungsachse von Nord nach Süd so schnell wie möglich zu ersetzen.
Die Preissteigerungen gehen auch an der Bauindustrie nicht vorbei. Wir wirken sie sich konkret auf den Ausbau der A 45 aus? Können die geschätzten 350 Millionen Euro für den sechsspurigen Ausbau der Strecke und Ersatzneubau der Brücken zwischen Gießen und Siegen gehalten werden?
Eugen Reichwein: Die Autobahn GmbH schöpft alle Möglichkeiten aus, um sämtliche Bauprojekte im vorgesehenen Kosten- und Zeitplan voranzutreiben. Dies erfolgt insbesondere im Dialog mit der Bauwirtschaft. Mit Blick auf die bestehenden Verträge ohne Stoffpreisgleitklauseln strebt die Autobahn GmbH eine partnerschaftliche und faire Lösung an, die auch die Belange der Bauwirtschaft angemessen berücksichtigt. Bei den neuen Ausschreibungen werden bereits Stoffpreisgleitklauseln angewendet, wenn dies haushaltsrechtlich zulässig ist. Klar ist aber, dass wir derzeit aufgrund des Krieges in der Ukraine und den damit verbundenen Folgen nicht mehr mit den „normalen“ inflationsbedingten Preissteigerungen rechnen können.
Und: Liegt die Autobahn GmbH mit den Arbeiten im Plan?
Eugen Reichwein: In unserem Zuständigkeitsbereich (Außenstelle Dillenburg der Niederlassung Westfalen) liegen wir beim Bau der großen Talbrücken auf der A45 im Zeitplan. Sechs Talbrücken werden derzeit zeitgleich gebaut. Darunter ist die Talbrücke Kalteiche, die Ende Juli freigegeben wird. Weiterhin können wir im Juni den kompletten Verkehr bei der Talbrücke Onsbach auf das erste fertiggestellte Brückenbauwerk umlegen. Bei den anderen Talbrücken (Volkersbach, Bornbach, Bechlingen und Heubach) sind die ersten Teilbauwerke fast vollständig abgebrochen und der Neubau beginnt in Kürze.
Wie wirkt sich das Thema Fachkräftemangel bei der sechsspurigen Erweiterung der A45 und dem Brückenbau aus? Gibt es ausreichend Bauingenieure?
Eugen Reichwein: Auch wir als Autobahn GmbH haben mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen. Konkret und allein für unsere Außenstelle Dillenburg bedeutet dies: Trotz großer Anstrengungen im Recruiting sind einige Stellen (vorwiegend Ingenieure, aber auch Techniker und Kaufleute) vakant. Wir setzen uns aber aktiv ein, um den nötigen Nachwuchs zu bekommen: Unter anderem beschäftigen wir Duale Studierende. Wir kooperieren mit der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) am Standort Wetzlar, wo sich die Studienzeiten im dualen Studium mit Praxiszeiten bei uns im Unternehmen abwechseln.
Diese Zusammenarbeit mit StudiumPlus – ist das eine Lösung für den Fachkräftemangel im Baubereich? Wie sind Ihre Erfahrungen? Kann dieses „Dillenburger Modell“ Schule machen?
Eugen Reichwein: Das ist unsere große Hoffnung. Wir wünschen uns, dass wir in einigen Jahren den Bedarf an Ingenieurinnen und Ingenieuren aus den eigenen Reihen decken können. Dazu stehen wir in sehr engem und für alle Beteiligten optimalen Austausch mit der THM. Zum einen doziert einer unserer Mitarbeiter dort, auf Wunsch und in Abstimmung mit den jeweiligen Professoren vergeben wir immer wieder praxisbezogene Masterarbeiten und wir führen regelmäßig Baustellenbesichtigungen für die Studierenden durch. Für den Masterstudiengang, bei dem ein Brückenentwurf zu erstellen war, wurden beispielsweise von uns die Grundlagen und Daten einer Brücke an der A45 bereitgestellt und die Studierenden konnten sozusagen live und vor Ort Bauwerksproben entnehmen.
Ich persönlich sehe diese Vorgehensweise als große Chance für uns, dem Fachkräftemangel zu begegnen. Im letzten Jahr haben wir drei Studierende eingestellt, in diesem Jahr werden im August noch einmal fünf junge Frauen und Männer dazukommen.
Der Vorteil für die Studierenden ist, dass sie schon während des Studiums bei uns mit praktischen Aufgaben des Ingenieurs betraut werden. Dadurch lernen sie unsere Aufgaben kennen. Im Gegenzug können wir bereits während der Ausbildung erkennen, wie sich die Studierenden in unsere Teams integrieren und wo ihre Stärken liegen. Wir hoffen sehr, dass die jungen Menschen nach dem Studium bei uns ihr fachliches „Zuhause“ finden, nicht nur, weil wir hochinteressante Projekte für Bauingenieure bieten, sondern auch, weil wir über ein ausgezeichnetes Betriebsklima und viele Entwicklungsmöglichkeiten verfügen.
Das Interview führte Iris Baar
Eugen Reichwein
Der studierte Bauingenieur (Technische Hochschule Darmstadt) startete seine Karriere 1986 als Referendar beim Hessischen Straßenbauamt Weilburg. Nach der großen Staatsprüfung war Eugen Reichwein in der Abteilung Konstruktiver Ingenieurbau beim Straßenbauamt Bensheim tätig, anschließend beim Straßenbauamt Hanau unter anderem für die Straßen- und Brückenbauarbeiten im Zuge des Neubaus der A 66 Bad Soden-Salmünster bis Schlüchtern zuständig. Ab 1994 wirkte er im Amt für Straßen- und Verkehrswesen Dillenburg in verschiedenen Positionen, bis er 2012 bei Hessen Mobil erst in Wiesbaden und ab 2016 als Regionaler Bevollmächtigter Westhessen für die Landkreise Gießen, Lahn-Dill, Limburg-Weilburg und Marburg- Biedenkopf zuständig war. Ab 2000 bis heute ist er Leiter der Außenstelle Dillenburg der Niederlassung Westfalen der Autobahn GmbH des Bundes. Eugen Reichwein ist verheiratet und hat drei Kinder.
Die Autobahn GmbH des Bundes
Bis Ende 2020 haben die Bundesländer die Autobahnen im Auftrag des Bundes verwaltet. Seit dem 1. Januar 2021 liegt alles in einer Hand: Planung, Bau, Betrieb, Erhalt, Finanzierung und vermögensmäßige Verwaltung übernimmt nun die Autobahn GmbH des Bundes. Mit der Reform wird das Wissen und das Können von Fachleuten aus allen 16 Ländern gebündelt. Vieles lässt sich so effizienter organisieren – vor allem in Zentralfunktionen wie Digitalisierung und IT, der länderübergreifenden Planung oder der Buchhaltung.

Die Zentrale der Autobahn GmbH ist in Berlin angesiedelt. Mit zehn Niederlassungen, die in der Fläche wiederum durch insgesamt 41 regionale Außenstellen unterstützt werden, ist die Autobahngesellschaft bundesweit vertreten.
 

Die Niederlassung Westfalen
Von den Mooren des niedersächsischen Emslands über das dicht besiedelte Ruhrgebiet bis hinein ins nördliche Hessen erstreckt sich das Gebiet der Niederlassung Westfalen. Aus gehend von der Zentrale in Hamm werden im Niederlassungsgebiet rund 1.385 Autobahnkilometer geplant, gebaut, erhalten und betrieben. Mit ihren fünf Außenstellen in Bochum, Hagen, Netphen, Dillenburg und Osnabrück sowie mit ihren 18 Autobahnmeistereien und zwei Projektbüros wird der reibungslose Verkehr in der Region sichergestellt.