Schienengüterverkehr

"Ein wichtiger Standortfaktor für Mittelhessen"

Jonas Goebel, Dezernent beim Regierungspräsidium Gießen (Dezernat für Regionalplanung und Bauleitplanung) und regionaler Schienencoach für die Region Mittelhessen, spricht über Chancen und Herausforderungen des Schienengüterverkehrs und von Gleisanschlüssen in Mittelhessen.
Herr Goebel, wo sehen Sie die Vorteile und Chancen von Gleisanschlüssen für Unternehmen?
Durch Gleisanschlüsse und insbesondere Terminals, die grundsätzlich für Dritte nutzbar sind, können Warenströme gebündelt und damit Synergien genutzt werden. Zudem sind steigende Preise für Energieträger ein Kostentreiber im Transportwesen, vor allem im Straßengüterverkehr. Indem wir Lkw-Transporte auf die Schienen bringen, leisten wir einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz und wirken gleichzeitig dem Fachkräftemangel in der Transportbranche entgegen. Eine zukunftsorientierte Aufstellung der Erreichbarkeit der Region ist ein wichtiger Standortfaktor für Mittelhessen.
Was sind die größten Herausforderungen bei der Umsetzung?
Ein hochbelastetes Schienennetz als Folge des Sanierungsstaus der Infrastruktur. Im Schienengüterverkehr kommt es aus diesem Grund immer mal wieder zu erheblichen Verspätungen. Zudem ist die Reaktivierung oder Errichtung von Gleisanschlüssen mit umfangreichen und komplexen Verfahren und Regularien verbunden. Die hierzu notwendigen finanziellen, aber auch zeitlichen und personellen Ressourcen halten viele Unternehmen von der Thematik ab. Darüber hinaus stellten sich die reinen Transportkosten, um Güter auf den Schienen zu transportieren, in der Vergangenheit häufig nicht als konkurrenzfähig gegenüber der Straße dar.
Können Sie uns Beispiele für Unternehmen mit Gleisanschluss in Mittelhessen nennen?
Unter anderen verfügt Emil Keilich GmbH & Co. KG in Wetzlar über einen Gleisanschluss. Die mittelhessische Stahlindustrie im Raum Dillenburg wickelt ebenfalls Verkehre über die Schiene ab, beispielsweise hat die Outokumpu Nirosta GmbH in Dillenburg einen Gleisanschluss. Weiterhin verfügt das Logistikunternehmen Kühne + Nagel International AG in der genutzten Liegenschaft in Haiger über einen Gleisanschluss und in Biedenkopf-Breidenstein wird eine Holzverladestelle betrieben. Mit der Errichtung eines GleEbensoisanschlusses befasst sich die Reitz Natursteintechnik KG aus Aßlar. Dies verdeutlicht die Vielfalt der an der Schiene interessierten oder bereits verlagernden Unternehmen und damit auch die Möglichkeiten des Schienengüterverkehrs. Es ist ein wachsendes unternehmerisches Interesse an der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schienen wahrzunehmen.
Seit 1984 ist die Anzahl der Gleisanschlüsse von 95 auf 15 im Jahr 2020 zurückgegangen. Ist in nächster Zeit wieder mit einem Anstieg zu rechnen?
Leider wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Güterverladestellen zugunsten des Straßengüterverkehrs geschlossen. Um diese wertvolle Infrastruktur zu sichern, werden im Regionalentwurf Mittelhessen 2021 insgesamt 34 Güterverladepunkte – Bestand und Planung – als regionalplanerisches Ziel ausgewiesen. Bestand heißt hier nicht zwangsläufig, dass dieser genutzt wird, sondern dass die Infrastruktur vorhanden ist und eine Reaktivierung denkbar wäre. Letztendlich sind die Reaktivierung oder Errichtung und der Betrieb eine unternehmerische Entscheidung.
Wie werden Gleisanschlüsse gefördert?
Das Land Hessen fördert beispielsweise die Errichtung von Gleisanschlüssen, aber auch Untersuchungen zur Reaktivierung oder dauerhaften Sicherung von Gleisanschlüssen. Auch auf Bundesebene gibt es zahlreiche Förderrichtlinien im Kontext des Schienengüterverkehrs, beispielsweise im Zusammenhang mit Gleisanschlüssen oder Terminals des kombinierten Verkehrs.
Das Interview führte Petra A. Zielinski

Schienencoach: Schubkraft für mehr Gleise
Mobilität ist nicht nur ein Grundbedürfnis unserer Gesellschaft sowie Basis allen Wirtschaftens, sondern unter dem Aspekt der Erreichbarkeit einer Region von großer Bedeutung als Standortfaktor für Unternehmen. Zur Unterstützung dieser Herausforderungen hat das Regierungspräsidium Gießen die Funktion des Regionalen Schienencoaches Mittelhessen geschaffen, die von Jonas Goebel im Dezernat für Regionalplanung und Bauleitplanung wahrgenommen wird. Er ist Ansprechpartner für am Schienengüterverkehr interessierte Unternehmen und Kommunen. Ebenso behält er die wirtschaftliche Entwicklung der Region und die Infrastruktur im Auge, bündelt regionale Belange und Bedarfe und gibt sie im Austausch mit der Branche und der Politik an relevante Stellen weiter – unter anderem mit dem „Netzwerktreffen Schienengüterverkehr Mittelhessen“. Wer Teil dieses Netzwerks werden möchte, kann sich mit Jonas Goebel vom Regierungspräsidium Gießen in Verbindung setzen (Tel.: 0641 303-2420, jonas.goebel@rpgi.hessen.de).