Reitz Naturstein KG

"Der Bürokratieaufwand ist das größte Hemmnis"

Es passierte während eines Service-Einsatzes in Indien, als ein junger Inder plötzlich einem Mitarbeiter des Aßlarer Unternehmens Reitz Natursteintechnik auf die Schulter klopfte und auf Deutsch fragte: „Suchen Sie noch Mitarbeiter? Ich möchte in Deutschland arbeiten.“ Wenn Geschäftsführer Christopher Reitz die Geschichte erzählt, merkt man ihm die Begeisterung sofort an: „Ich erzähle das gerne, weil das, was dann folgte, ein großartiges Beispiel für gelungene Integration ist“, erklärt der 33 -jährige, der das Unternehmen mit 135 Mitarbeitern inzwischen in zweiter Generation führt.
Darryl Emmanuel Leo war bestens vorbereitet. Der 26-Jährige hatte in seinem Heimatland Maschinenbau studiert und nebenbei Deutsch gelernt. „Wir haben Maschinenbediener gesucht. Da Darryl in Indien als Teamleiter in einer CNC-Maschinenfabrik gearbeitet hatte, war es ein Match“, so Reitz weiter, der auch bei den Wirtschaftsjunioren Wetzlar aktiv ist. Ein halbes Jahr später hatte Darryl Emmanuel Leo sein Visum, konnte nach Deutschland einreisen, bedient nun eine CNC-Maschine, wird intern im Unternehmen weitergebildet und lernt weiter fleißig Deutsch. Das Ziel: „Er soll in Zukunft bei uns als Programmierer arbeiten“, sagt Christopher Reitz. Auch ist Darryl nicht mehr der einzige Inder im Unternehmen. Reitz: „Drei Monate später haben wir noch einen Bekannten von Daryll, auch mit CNC-Erfahrung, geholt.“ Auch bei Karthick Rathinasamy laufe die Integration einwandfrei. Christopher Reitz. „Die Menschen wollen hier arbeiten, sie sind richtig engagiert dabei.“ Derzeit arbeitet der Firmenchef an einer Online-Plattform, um gezielt in Indien weitere Fachkräfte zu gewinnen – unter anderem mit Kurzfilmen über spezielle Arbeitsvorgänge im Betrieb auf Englisch.
Bereits nach Ausbruch des Ukraine-Krieges hatte das Aßlarer Unternehmen schon drei Ukrainer eingestellt, die Kriegsflüchtlinge bei der Wohnungssuche unterstützt, Einbauküche und Möbel organisiert sowie bei Behördengängen geholfen. Alle drei arbeiten heute im Messraum an der Feinstbearbeitung von Granit. Auch hier habe die Integration hervorragend funktioniert.
Doch was so einfach klingt, war für das Unternehmen harte Arbeit und fand größtenteils auf Englisch statt. Denn nicht alle Neuankömmlinge hatten wie Darryl Emmanuel Leo Deutschkenntnisse. Ulrike Herr, seit einem halben Jahr als Assistenz in der Geschäftsführung tätig, kümmert sich deshalb aktiv um das „Ankommen“ der Menschen mit Migrationshintergrund in der Firma Reitz. Darunter der Ämtermarathon beim Ausstellen eines europäischen Führerscheins, die Verlängerung des Visums, die Kommunikation mit der Krankenkasse, die Suche von passenden Sprachkursen, die Eröffnung eines Kontos. Ulrike Herr: „Alleine wären die Menschen hier in Deutschland hoffnungslos überfordert“, sagt Ulrike Herr. „Unser größtes Problem ist der hohe Bürokratieaufwand. Da muss dringend etwas passieren.“ Bei Darryl laufe – nach einem halben Jahr üblich – beispielsweise gerade das Visum aus, so die Reitz-Mitarbeiterin bei Redaktionsschluss im Gespräch mit der IHK Lahn-Dill. Fatal: Ohne gültigen Aufenthaltstitel würde als nächstes das Konto von Darryl gesperrt, so die Auskunft der Bank bei der Kontoeröffnung. Dann komme der indische Kollege nicht mehr an sein Geld und auch die laufenden Kosten wie beispielsweise die Miete können nicht mehr abgebucht werden. Wie die LDW kurz vor Andruck erfuhr, hat Darryl – nicht zuletzt wegen der Unterstützung des Unternehmens Reitz – auf den „letzten Drücker“ einen Termin bei der Ausländerbehörde bekommen – und ein Visum für weitere vier Jahre.
Ankommen in Deutschland ist auch teuer. Der indische Führerschein müsse durch einen amtlich bestellten Dolmetscher übersetzt und schließli
ch – ebenfalls kostenpflichtig – neu ausgestellt werden, auf die Umschreibung entfällt eine Antragsgebühr, so Ulrike Herr weiter. Dafür müsse ein neuer Sehtest absolviert und der Erste-Hilfe-Kursus aufgefrischt werden. Alles kostet Geld. Erschwerend hinzu komme, dass die Digitalisierung bei den Behördengängen quasi nicht oder nur sporadisch und mangelhaft existiere, ergänzt Christopher Reitz. „Und das kostet zusätzlich Zeit!“
Christopher Reitz: „Im Allgemeinen waren unsere Erfahrungen mit den Mitarbeitern der Behörden trotz der hohen Auslastung sehr positiv. Sie waren immer sehr freundlich und hilfsbereit, was den Prozess sehr angenehm gemacht hat. Es gab nur eine Ausnahme, bei der wir nicht ganz so gute Erfahrungen gemacht haben.“
Für Christopher Reitz und Ulrike Herr steht fest: „Wir unterstützen, wo wir können.“ Und sie raten Unternehmen, die Fachkräfte aus dem Ausland in ihrem Betrieb integrieren wollen, die Menschen aktiv beim Ankommen in Deutschland an die Hand zu nehmen. Dazu gehöre auch die Klärung von Fragen wie: Wo steht die richtige Kirche für die Glaubensausübung, wo kann man in einem lokalen Verein Fußball spielen, in welcher Kita gibt es noch einen freien Platz für das Kind? Wichtig sei, dass man den Menschen nicht das Gefühl gebe, sie seien nur zum Arbeiten hier. Ulrike Herr: „Wir müssen ihnen Starthilfe geben, sich ein Privatleben aufzubauen.“ Erfahrungsgemäß dauere das rund 24 Monate. Wenn es nicht klappt, ist man bei der Firma Reitz auch zur Stelle: „Grundsätzlich zahlen wir den Flug nach Deutschland und bieten einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit sechsmonatiger Probezeit. Sollte jemand innerhalb dieser sechs Monate zurückwollen, zahlen wir auch den Rückflug“, erklärt Christopher Reitz. Doch solche Probleme hat man bei Reitz derzeit nicht, im Gegenteil, die Integration erreicht gerade ein neues Level. So kam diesen Herbst von indischer Seite die Frage nach einem ganz speziellen deutschen Brauchtum: „Gehen wir zusammen aufs Oktoberfest?“                                                               
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LahnDill Wirtschaft November/Dezember 2023



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