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Zollunion mit der Türkei - Es geht auch einfacher

Die Zollunion der EU mit der Türkei hat einen schlechten Ruf bekommen. Theoretisch verspricht sie einen „freien“ Warenverkehr innerhalb der Grenzen der EU und der Türkei. Praktisch wird sie immer komplizierter – und wächst sich allmählich zu einem Bürokratie-Tiger aus. Was ist passiert?
In der Vergangenheit reichte für Waren, die in der EU hergestellt oder verzollt eingeführt wurden, eine sogenannte Freiverkehrsbescheinigung des Zolls als Nachweis für eine zollfreie Einfuhr in die Türkei aus. Seit einigen Jahren verlangt die Türkei jedoch für immer mehr Waren einen zusätzlichen Nachweis über den nichtpräferenziellen Ursprung (wo wurde die Ware hergestellt?). Das bedeutet zusätzlichen administrativen Aufwand und Kosten. Denn jetzt muss jedes Unternehmen neben der Zollbehörde auch die Industrie- und Handelskammer als zuständige Stelle für Ursprungszeugnisse anlaufen. Darüber hinaus ist es notwendig geworden, den Ursprung von Handelswaren mit EU oder Drittlands-Ursprung in den Warenwirtschaftssystemen zu dokumentieren und Nachweise von ausländischen Lieferanten einzufordern.
 
Ist die Türkei daran schuld? Nein. Bei Gründung der Zollunion 1995 hat man die Entwicklungen der folgenden Jahre und Jahrzehnte nicht vorausgesehen. Aufgrund der Tatsache, dass die Staaten sich in der Welthandelsorganisation (WTO) nicht auf einen gemeinsamen Zollabbau einigen konnte, haben viele Länder Freihandelsabkommen geschlossen. Inhalt: eine bilaterale Zollvergünstigung, bestenfalls eine Zollbefreiung. Diese „Ausnahme“ von der Regel der gegenseitigen Gleichbehandlung („Meistbegünstigung“) ist allen WTO-Mitgliedern auch erlaubt.
     Türkei saß nicht mit am Verhandlungstisch
Und die EU hat sie in den letzten Jahren auch intensiv genutzt. Allerdings ohne ihren Wirtschaftspartner Türkei mit am Verhandlungstisch sitzen zu lassen. Im Ergebnis bedeutet es, dass eine Ware, für die bei der unmittelbaren Einfuhr in die Türkei eventuell ein hoher Drittlandszoll anfällt, alternativ per Umweg über die EU zollfrei importiert und in die Türkei weitergeleitet werden kann. Dagegen wehrt sich die Türkei seit vielen Jahren mit „Zusatzzöllen“.
Ein ähnlich gelagerter Fall ist die einseitige Präferenzgewährung für Entwicklungsländer. Hier besteht seit einigen Jahren die Situation, dass die Türkei im Unterschied zur EU bei einigen Warengruppen mit Herkunft aus bestimmten Ländern keine Bevorzugung einräumt. Hier kann also ebenfalls eine „Unterwegs-Verzollung“ über die EU zur Vermeidung von Zöllen in der Türkei führen. Um dies zu verhindern, hat die Türkei „Ausgleichszölle“ eingeführt. 
Darüber hinaus gibt es auch „Anti-Dumpingzölle“ für künstlich unter dem Marktpreis verkaufter Ware ausländischer Lieferanten. Dagegen wehrt sich nicht nur die Türkei, sondern auch die EU beziehungsweise einzelne Mitgliedsstaaten, wenn ihre Unternehmen dies anzeigen. Derartige Störungen des Warenhandels waren allerdings schon in den Vorschriften zur Zollunion vorhergesehen.
Es besteht also dringend Handlungsbedarf. Die Zollunion mit der Türkei muss modernisiert werden. Vorschläge dazu liegen schon lange auf dem Tisch: Ganz dringend müssen Streitbeilegungsmechanismen geschaffen werden. Weiterhin sollte die Türkei in den Prozess der EU-Freihandels-Verhandlungen mit einbezogen werden. Ein weiterer Weg, beiderseitiges Wachstum zu fördern, ist der Wunsch der Türkei, unter anderem den Dienstleistungsbereich in die Zollunion aufzunehmen. Leider lässt die gegenwärtige Situation nicht auf eine schnelle Umsetzung der Vorschläge hoffen.
     Türkei-Zölle vermeiden
Wir haben im letzten Heft der LDW berichtet, dass die Türkei Spitzenreiter bei den ausgestellten IHK-Ursprungszeugnissen ist. Kann man diese vermeiden? Oder wird dieser Trend zwangsläufig anhalten?
Immer wieder wird von neuen Türkei-Zöllen berichtet, welche EU-Exporteure belasten soll. Das ist nur die halbe Wahrheit. Richtig ist, dass Waren mit Ursprung in Drittländern, bei denen die Handelsbeziehung von denen der EU abweichen, mit besonderen Zöllen versehen werden. Hier sind Unterwegs-Verzollungen zu vermeiden oder geeignete Nachweise vorzulegen, welche die Zölle bis auf Null drücken können.
Im Gegensatz zu Händlern profitieren Hersteller in der EU beziehungsweise Deutschland weiterhin uneingeschränkt von dem „freien Warenverkehr“ im Rahmen der Zollunion EU-Türkei. Aber auch sie benötigen, um Zweifel der türkischen Zollbehörden auszuräumen, zusätzlich zu einer „Warenverkehrsbescheinigung“ ein „IHK-Ursprungszeugnis“ über den Warenursprung „Deutschland“.


Die Türkei auf dem Weg zu einer bedeutenden Ökonomie

Die Türkei hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer bedeutenden Ökonomie entwickelt. Anstoß hierzu gab Anfang der 80er Jahre in der Türkei die Aufgabe der Importsubstitutionspolitik. Sie ging einher mit der Öffnung des türkischen Markts für ausländische Produkte und Investoren. Einen wesentlichen Impuls gab vor allem die Schaffung der Zollunion mit der EU, die ab 1996 einen vollkommen zollfreien Warenverkehr ermöglichte. Die wirtschaftliche Entwicklung nahm nach der erfolgreichen Bewältigung zweier Wirtschaftskrisen 1999 und 2001 und der Wahl einer stabilen Regierung in 2003 vollends Fahrt auf. Die Türkei glänzte fortan mit hohen Wachstumsraten.
Haupthandelspartner der Türkei ist die EU-27 (ohne VK) und unter ihren Mitgliedsstaaten mit Abstand Deutschland. Über 40 Prozent der türkischen Exporte in Höhe von 69 Mrd. Euro gehen in die EU, ein Drittel der Importe mit einem Volumen von 61 Mrd. Euro kommt aus der EU. Die Türkei ist vor allem traditioneller Lieferant von Agrarprodukten sowie Bekleidungs- und Textilwaren, hat sich aber in den letzten Jahrzehnten zu einem weltweit bedeutenden Automobil-Produzenten einschließlich Zulieferindustrie entwickelt.
Auch aus Sicht Deutschlands und der EU-27 ist die Türkei ebenfalls ein sehr wichtiger Handelspartner und steht sowohl ex- als auch importseitig mit jeweils rund 69 Mrd. Euro an sechster Stelle, hinter Russland, noch vor der wichtigen Industriemacht Japan (Abb. 1). Aus türkischer Sicht ist die Handelsbilanz mit der EU seit 2019 sogar erstmalig positiv (+ 1,5 Mrd. Euro). Der Anteil industrieller Export-Produkte macht auf beiden Seiten rund 95 Prozent aus. Bemerkenswert ist, dass sich die türkische Exportwirtschaft in den vergangenen zehn Jahren (2009 bis 2019) mehr als verdoppeln konnte.
Interessant ist der intensive Austausch bei industriellen Produktgruppen, was auch die Verzahnung der Lieferketten wiederspiegelt. An oberster Stelle steht der beiderseitige Austausch bei Fahrzeugen einschließlich Teilen. Diese machen aus EU-Sicht mehr als 25 Prozent aller türkischen Exportprodukte in Höhe von 18 Mrd. Euro aus. Näheres liefert ein Blick auf die TOP 10 der zwischen der EU und Türkei meist gehandelten Produkte. Türkische Lkws und Omnibusse sind regelrechte Exportschlager und nehmen fast ausschließlich den Weg Richtung EU. Auch bei Kfz gibt es einen türkischen Überschuss. Andersherum ist es bei Fahrzeugteilen, aber auch Motoren, wenn auch nicht ganz so stark. Hier kommen mehr Vorprodukte aus der EU. Ein Hinweis darauf, dass die Wertschöpfung in der türkischen Industrie noch nicht so tiefgehend ist.
Nach dem Automotiv-Sektor folgt in beide Richtungen der Austausch von Maschinen und Geräten. Aus Türkei-Sicht falls ein Viertel aller EU-Exportgüter im Wert von 17 Mrd. Euro in diesen Bereich. Hierzu gehören sicherlich auch Maschinen für die türkische Bekleidungs- und Textilindustrie, die alleine für 13 Mrd. Euro ihre Erzeugnisse in die EU liefert. Aus der Türkei geht ein bedeutender Teil aus dem Bereich „Maschinen und Geräten“ in Höhe von 11, 5 Mrd. Euro in die EU. Hierunter fallen insbesondere weiße und braune Ware, also Haushaltegeräte für Küche und Wohnzimmer.