Wagner trifft...

"Ich liebe die Kinderaugen, die ganz groß aufgehen"

Wir haben unseren lokalen Einzelhandel noch nie so vermisst wie im Lockdown. Jetzt bangen wir um unsere Innenstädte. Mit unserer neuen Serie „Wagner trifft...“ wollen wir Lust auf lokale Shoppingtouren machen, und mithelfen, den Fußgängerzonen nachhaltig wieder Leben einzuhauchen. Schließlich steht oder fällt mit dem Einzelhandel auch die Attraktivität unserer Innenstädte – und damit ein wichtiger „weicher“ Standortfaktor für die Gewinnung von Fach- und Führungskräften in der Industrie. „Wir wollen ein Spotlight auf den Einzelhandel richten und seine Leistungsstärke zeigen“, sagt Claudia Wagner, Leiterin des Referats Handel & Dienstleistungen bei der IHK Lahn-Dill. Für die LahnDill Wirtschaft besucht sie Händler vor Ort, berichtet über die Vorteile des persönlichen Einkaufens und fragt nach neuen Konzepten für die Innenstädte. Für die aktuelle Ausgabe ist sie bei Timm Günther zu Gast, Inhaber des Spielwarengeschäfts „Spielbär“ in Herborn. 
In 2018 haben Sie den Spielbär in Herborn eröffnet. Aber Sie waren nicht neu in der Branche, sondern betreiben bereits seit 2015 einen Standort in Friedberg. Was hat Sie bewegt, einen zweiten Standort in Herborn zu öffnen?
Timm Günther: Ich bin Herborner, ich liebe die Stadt und ich kannte den Vermieter. Und ich liebe die Kinderaugen, die ganz groß aufgehen, wenn die kleinen Kunden das Geschäft betreten. Die Chance war toll, ich habe sie ergriffen. Vorher habe ich mich allerdings umgehört, ob es die Ware, die ich anbieten wollte, hier schon gibt. Schnell war klar, dass es weder in Herborn, noch in der Umgebung einen Spielwarenladen gibt. Außerdem hatte ich in Friedberg bereits angefangen, einen Online-Handel aufzubauen.
Apropos Online-Handel: Sie nutzen vorbildlich alle Kanäle, ebenfalls seit 2015. Wie hat sich Ihr Online-Angebot in der Corona-Krise bewährt, und wie kooperieren die verschiedenen Geschäftsformen miteinander?
Timm Günther: Das klappt hervorragend. In Friedberg sind wir mit dem Online-Shop, den ich selbst entworfen habe, und dem Ladengeschäft gleichzeitig gestartet. Heutzutage muss man seinen Kunden so ein Angebot machen. Und ich muss sagen, nur durch den Online-Shop sind wir einigermaßen gut durch die Krise gekommen. Und wir arbeiten ständig weiter an unserem Online-Handel. Bislang hatten wir etwa 400 Artikel online stehen. Jetzt haben wir unsere PCs und damit die Kassensysteme in Friedberg und Herborn miteinander vernetzt, haben unsere 10.000 Artikel komplett online stehen, sind inzwischen auf verschiedenen Marktplätzen unterwegs, und das System weiß immer Bescheid, was wo vorrätig ist, was direkt abgeholt werden kann, und was bestellt werden muss. Übrigens: Vor Corona haben wir durch den Online-Handel ein Fünftel des Gesamtumsatzes generiert. Während Corona hat sich das entwickelt: Inzwischen kommen 50 Prozent unseres Umsatzes über den Online-Handel, 25 Prozent über den stationären Handel, zuletzt durch click & meet.
Sie haben sogar eine eigene Puppenklinik. Das klingt nach einem tollen und liebevollen Service mit viel Nachhaltigkeit. Wird dieses Angebot genutzt, und was können wir uns darunter vorstellen?
Timm Günther: Wir haben eine Puppendoktorin, die Puppen und auch Teddys repariert. Auch mit diesem Service sind wir online. Es ist ein seltenes Angebot in Deutschland, wer die Suchworte Puppenklinik und Hessen eingibt, findet uns sofort. Dementsprechend haben wir auch sehr viel zu tun, jede Woche kommen im Schnitt zehn bis zwölf Puppen und Teddys zur Reparatur. Wer online anfragt, kann ein Foto der kaputten Puppe schicken, wir machen einen Kostenvoranschlag, dann können die Kunden entscheiden, ob sich die Reparatur lohnt. Meistens fehlt ein Auge oder die Gummis in den Gliedern sind ausgeleiert. Der Service lohnt sich für beide Seiten, für uns ergibt sich oft ein Folgegeschäft, und die reparierte Puppe bekommt – zum Beispiel - ein neues Kleid. Wir kaufen übrigens auch Puppen an, allerdings nur besondere von Käthe Kruse oder Schildkröt. Wir haben Kontakt zu Puppensammlern und verkaufen einige wieder, für den Rest überlegen wir, ein Puppenmuseum zu eröffnen.
Konsumenten sind anspruchsvoller geworden, haben ihr Kaufverhalten verändert und suchen neben dem Einkaufen das besondere Erlebnis. Die wunderschöne historische Altstadt Herborns mit ihren vielen Fachwerkhäusern erzeugt eine besondere Einkaufsatmosphäre. Was muss Herborn tun, um Menschen zum Verweilen und Einkaufen zu halten beziehungsweise neu zu gewinnen?
Timm Günther: Wichtig sind auf jeden Fall gute Parkmöglichkeiten und ein ansprechender Weg vom Bahnhof in die Innenstadt für die Menschen, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen. Um Frequenz in eine Innenstadt zu bekommen, muss auch ein entsprechendes gastronomisches Angebot vorhanden sein. Ebenfalls wichtig ist, dass es in einer Innenstadt keine Leerstände gibt. Hier tut die Stadt Herborn schon einiges, hat sogar eine Mitarbeiterin, die sich ausschließlich darum kümmert, dass leere Geschäfte sich wieder füllen. Auch auf den „Mix“ kommt es an: Die Leute müssen alles finden, was sie brauchen. Und einheitliche Öffnungszeiten sind von Vorteil. Um gezielt junge Menschen in die Innenstädte zu locken, benötigt man zudem eine gute Verbindung zwischen Online- und Offline-Welt. Denn die jüngeren Leute informieren sich meistens vorher im Internet und wollen wissen, ob die Sachen, die sie brauchen, auch vor Ort vorrätig sind. Meistens lege ich bei Online-Bestellungen Flyer bei, die Lust auf einen Besuch in unserem „echten“ Geschäft machen. Das funktioniert. In Herborn sind die vier verkaufsoffenen Sonntage mit Events übrigens ein richtiger Umsatzbringer: Diese vier Tage im Jahr locken auch Kunden aus der weiteren Umgebung an. Ein richtiger Gewinn.
Spielbär in Herborn
Auf rund 60 Quadratmetern Verkaufsfläche bietet das Spielwarengeschäft Spielbär in Herborn, der Hauptstraße 59/61 Spielwaren für Babys sowie (Klein-)Kinder an. Inhaber Timm Günther legt besonderes Augenmerk bei der Auswahl der Produkte auf eine qualitativ hochwertige Verarbeitung, die Verwendung schadstofffreier Materialien, auf Nachhaltigkeit sowie auf die Auszeichnung „Made in Germany“. Das Sortiment umfasst unter anderem Holzspielwaren, Plüschtiere, Puppen und Puppenzubehör, Bastelartikel, Spielwaren für Draußen, Rücksäcke, Brotdosen, Geschirr, Partyartikel sowie Bücher.
Günther führt bereits seit 2015 das Spielwarenfachgeschäft Puppenstube Friedberg und hat sich mit der Eröffnung des Spielbären in Herborn einen Traum erfüllt. Der gebürtige Herborner ist stark mit der Bärenstadt verwurzelt und hat nun das in Friedberg bewährte Konzept – eine Mischung aus Online- und Offline-Welt in seine Heimatstadt gebracht.
Der dreifache Familienvater weiß, auf was es Eltern ankommt und kennt die Herausforderung, mit Kindern zusammen in einem Spielwarengeschäft einkaufen zu gehen. Damit dies nicht zur Zerreißprobe wird, bietet der Spielbär eine Spielecke für Kinder. Die Erwachsenen können sich in Ruhe beraten lassen. Für Geburtstage können sich Kinder Geschenkekisten zusammenstellen lassen.
Einkaufen in Herborn – Zahlen und Fakten
Herborn im Lahn-Dill-Kreis hat 20.688 Einwohner, der Einzelhandelsumsatz vor der Pandemie pro Einwohner lag bei 8.369 Euro. Zum Vergleich: Der Bundesdurchschnitt liegt bei 6.202 Euro pro Jahr. In Herborn gibt es 177 Einzelhandelsbetriebe mit einer Verkaufsgesamtfläche von 52.640 Quadratmeter. Das bedeutet 2,54 Quadratmeter pro Einwohner Verkaufsfläche, im Bundesdurchschnitt kommen zum Vergleich nur 1,51 Quadratmeter Verkaufsfläche auf einen Einwohner. Standortbereiche für den Handel liegen vorwiegend in der Unteren Au, der Konrad-Adenauer-Straße und im zentralen Versorgungsbereich Innenstadt.

Die Innenstadt besteht aus kleinteiligem Einzelhandel und dem Dill-Center als wichtigem Magnetbetrieb für den zentralen Versorgungsbereich.

Herborn verzeichnet sehr erfolgreiche verkaufsoffene Sonntage mit großen Events. Geplant für dieses Jahr (abhängig von den Entwicklungen der Inzidenzzahlen): Erdbeersonntag, 6. Juni 2021, Kartoffelsonntag, 12. September, Martinimarkt, 7. November 2021. Zusammen mit dem ebenfalls jährlich stattfindenden Brutzelsonntag verzeichnen die Events insgesamt rund 20.000 bis 25.000 Besucher. (Quellen: MB Research 2020 und Einzelhandelsentwicklungskonzept für Herborn von Stadt + Handel 2017)