Digitalisierung & Recht

Vertragsrecht 4.0

Die Art der Verträge und deren Inhalte sind durch die Digitalisierung noch vielfältiger geworden. Die bislang im Bürgerlichen Gesetzbuch gesetzlich normierten Vertragstypen passen oft nicht mehr und können daher allenfalls als Grundlage bei der Gestaltung komplexer und individualisierter Verträge dienen.
Die Vertragsparteien haben somit aktuell die Chance, im Rahmen der Vertragsfreiheit kreative und interessengerechte Lösungen zu finden, da es bislang keine spezifischen gesetzlichen Einschränkungen gibt. Grenzen ergeben sich natürlich aus dem zwingenden Recht (z. B. §§134,138 BGB Gesetzes- od. Sittenwidrigkeit) oder speziellen Vorschriften (z. B. Datenschutz-, Kartellrecht).
Doch wo Licht ist, gibt es auch Schatten.
Es ist die Aufgabe der Vertragsparteien für eine möglichst lückenlose und rechtssichere Gestaltung der Vertragsbeziehung zu sorgen. Bei komplexen Sacherhalten wird dies nur mit der Unterstützung eines Fachmanns möglich, was die Sache aufwendiger macht.  
Nachfolgend stellen wir Ihnen kurz einzelne Regelungsgegenstände vor. Aufgrund der Vielfalt und Komplexität der Verträge kann dies natürlich nicht abschließend sein. Es soll Ihnen aber eine erste Orientierung geben.

Rollen- und Aufgabenverteilung

Zunehmend wird nicht nur das Produkt verkauft, sondern z. B. auch IT- und Datenanalyse-dienstleistungen, mit denen sich Produktionsprozesse verbessern lassen.
Diese werden teilweise durch Dritte (Softwareentwickler, Anbieter von Cloud-Diensten) erbracht. Durch die Einbeziehung weiterer Unternehmen entstehen Wertschöpfungs-netzwerke, die die Frage der jeweiligen Verantwortungsbereiche aufwerfen.
Daher sollte die Rollen- und Aufgabenverteilung (z. B. Updates) klar geregelt werden.

Haupt- und Nebenpflichten

Komplexe Verträge wie z. B. Plattformnutzungsverträge oder Cloud-Computing-Verträge lassen sich nicht ohne Weiteres in die Vertragstypen des BGB einordnen.
Daher ist es sehr wichtig, dass im Vertrag die jeweiligen Rechte und Pflichten im Vertrag genau benannt (z. B. anhand Pflichten und Lastenheft) werden.
Hinweis: Fehlt eine solche Leistungsbeschreibung greift die Rechtsprechung zum „mittleren Ausführungsstandard“, der sich allerdings bei Software, selbst durch einen Sachverständigen, nur schwer bestimmen lässt und somit zur Rechtsunsicherheit führt.

Gewährleistungsrechte

Insbesondere bei IT-Dienstleistungen sollten die Parteien nicht auf die Anwendung der Gewährleistungsrechte der BGB-Verträge (z. B. Kauf-, Miet- u. Werkvertrag) vertrauen.
Wichtig ist, dass die Vertragsparteien konkret festlegen, was als Mangel anzusehen ist und ob es einen Toleranzrahmen (z. B. Ausfallhäufigkeit, Reaktionszeiten etc.) gibt. Dabei lassen sich mithilfe von Service-Level-Agreements (SLA) Qualitätsmaßstäbe und –kriterien objektivieren.

Haftung

Soweit die vertraglichen Pflichten klar definiert sind, lässt sich eine Pflichtverletzung in der Regel feststellen. Trotzdem können sich Nachweisprobleme ergeben. Es ist daher denkbar, die Anforderungen an den Schadennachweis abzusenken oder die Schadensberechnung zu pauschalieren. Wichtig ist, dass die Vertragsparteien eine Regelegung treffen, wie und durch wen die relevanten Vorgänge in der „Smart Factory“ softwaregestützt zu protokollieren sind und wer unter welchen Voraussetzungen Zugriff auf die Protokolldateien haben soll.

Standards und Schnittstellen

Bei einer software- oder internetbasierten Vernetzung industrieller Produktionsanlagen (CPS) ist es notwendig, dass alle relevanten Bestandteile der Produktionsumgebung nahtlos miteinander zusammenarbeiten können. Daher ist es notwendig, dass im Vertrag die Standards und Schnittstellen, insbesondere die Programmier- und Kommunikations-schnittstellen, festgehalten werden.
Die Interessenlage kann hier durchaus unterschiedlich ausfallen. Der Betreiber einer Smart-Factory wird offene Standards bevorzugen, um Maschinen unterschiedlicher Hersteller in das CPS einzubinden. Der Hersteller bevorzugt hingegen eine herstellerbezogene Lösung, da er selbst gerne ein Komplettpaket aus Maschine, Software und IT-Dienstleistungen anbieten möchte.

M2M-Kommunikation

Die Kommunikation von Maschine zu Maschine (M2M) ist das zentrale Element der intelligenten Produktionsumgebung. Soweit die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Unternehmen erfolgt, sollten die Grundregeln der M2M-Kommunikation in einem Rahmenvertrag geregelt werden.
Zwar ist weitgehend anerkannt, dass Maschinenerklärungen Willenserklärungen i.S.v. §§ 116 ff. BGB sein können, die regelmäßig dem Maschinennutzer zugerechnet werden, allerdings lassen sich durch die Regelungen Ungewissheiten, insbesondere auch beim Einsatz von selbstlernenden Algorithmen und/oder künstlicher Intelligenz von sog. Softwareagenten beseitigen.
So kann z. B. eine Regelung bezüglich der Zurechnung von Willenserklärungen bei Softwarefehlern erfolgen.

Data Ownership/Datennutzungsrecht

Bislang gibt es kein mit dem Eigentum vergleichbares Herrschaftsrecht an Daten.
Letztendlich privilegiert die fehlende Zuweisung denjenigen der die Daten tatsächlich unter seiner Kontrolle hat. Er entscheidet über die Art der Speicherung und sichert sie gegen den unberechtigten Zugriff.
Um die Nutzung und die Verwertung durch andere Parteien zu ermöglichen, muss dies vertraglich geregelt werden.
Insbesondere um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu wahren, sollten die Regelungen (Data-Sharing etc.) sorgfältig und mit Vorsicht erarbeitet werden. Ebenso können solche Regelungen auch mit den Rechten Dritter kollidieren (Datenschutz der Beschäftigten).

IT-Sicherheit

Da die Beteiligten des cyber-physischen Systems (CPS) die IT-Sicherheitsrisiken nur gemeinsam absichern können, ist es sehr wichtig, hierüber vertragliche Vereinbarungen zu treffen. Es sollte insbesondere genau geregelt werden, wer welche Verantwortung in Bezug auf die IT-Sicherheit trägt.
Standpunkt:
Das aktuelle Vertragsrecht steht den technischen Innovationen der Industrie 4.0 grundsätzlich nicht entgegen. Allerdings wird die Vertragsgestaltung komplexer und verlangt von den Beteiligten, dass sie im Rahmen des rechtlichen Spielraums umfassende und interessengerechte Regelungen zu den teilweise schwierigen Fragen treffen. Dabei müssen sie die Einschränkungen durch das zwingende Recht (z. B. AGB-Recht, Kartellrecht) beachten.