Sicherheit in der Gesamtverteidigung

Liegen Produktionsanlagen still, weil Zuliefererattacken die IT lahmlegen? Könnte der Ausfall des Mobilfunks ganze Lieferketten ins Stocken bringen? Angesichts solcher Szenarien steht Deutschlands Wirtschaft vor neuen Fragen – nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine: Wie zäh ist unser System noch? Wie sehr trägt jeder Betrieb mit seiner Resilienz zum großen Ganzen bei?
Die Bundesregierung hat im Juni 2024 neue Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung (RRGV) beschlossen. Erstmals werden darin auch Cyber- und Hybridangriffe als reale Bedrohungen für die staatliche Handlungsfähigkeit und die wirtschaftliche Stabilität berücksichtigt. Die RRGV betonen, dass die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands nicht allein militärisch gedacht werden kann, sondern auf einem umfassenden Zusammenwirken von Streitkräften, öffentlichen Einrichtungen, Wirtschaft und Gesellschaft beruht. Damit wird die zivil-militärische Zusammenarbeit gestärkt – und die Wirtschaft explizit als tragende Säule der nationalen Sicherheitsarchitektur benannt.
Doch was bedeutet das konkret für Unternehmen an Lahn und Dill?

Gesamtverteidigung im Wandel

Der Begriff „Gesamtverteidigung“ meint längst nicht mehr nur militärische Befestigungen oder klassische Landesverteidigung. Vielmehr steht das koordinierte Zusammenwirken aller gesellschaftlichen Kräfte im Mittelpunkt – auch und gerade in Zeiten hybrider Bedrohungen wie Cyberattacken, Desinformationskampagnen oder Sabotageakten. Diese treffen nicht nur staatliche Institutionen, sondern zunehmend auch Unternehmen.
Mit der Novellierung der RRGV hat die Bundesregierung auf diese Entwicklung reagiert. Die neuen Richtlinien integrieren erstmals ausdrücklich den Cyber- und Informationsraum sowie hybride Kriegsführung in die nationale Sicherheitsarchitektur. Damit endete ein 35-jähriges Kapitel hinsichtlich der alten Vorgaben von 1989. Nun wurde ein „maßgeblicher Baustein geschaffen, um die in der Nationalen Sicherheitsstrategie beschriebene nötige Widerstandskraft für einen Konfliktfall zu entwickeln“ (Pressemitteilung des BMI, 26. Juni 2024, zum Kabinettsbeschluss der RRGV).
Ein zentrales Element dieser Neuausrichtung ist die Stärkung der zivilen Verteidigung – insbesondere mit Blick auf logistische Unterstützung: Verkehrslenkung, Sanitätsdienste, Instandsetzung, Treibstoffversorgung oder temporäre Unterbringung zählen zu den Aufgaben, die im Ernstfall auch durch zivile Akteure mitgetragen werden müssen. Für Unternehmen bedeutet das: Sie sind nicht länger nur Teil der wirtschaftlichen Erholung nach einer Krise – sie sind integraler Bestandteil der Vorsorge.

Wirtschaft zwischen Pflicht und Resilienz

Unternehmen sind nicht nur Versorger – sie sind systemrelevant. Als zentrale Akteure in der Energieversorgung, Logistik oder Lebensmittelproduktion können sie im Krisenfall gezielt angefordert werden. Bestehende Sicherstellungs- und Vorsorgegesetze wie das Wirtschaftssicherstellungsgesetz oder das Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz sehen hierfür bereits Melde- und Vorratspflichten vor.
Neu hinzu tritt das Arbeitssicherstellungsgesetz (ASG), das im Spannungs- oder Verteidigungsfall die Möglichkeit eröffnet, Arbeitskräfte in verteidigungswichtige Bereiche zu verpflichten oder in bestehenden Arbeitsverhältnissen zu halten – etwa in der Wasser- und Energieversorgung, im Gesundheitswesen oder in Verkehrsunternehmen. Auch Frauen zwischen 18 und 55 Jahren können im Verteidigungsfall zur Unterstützung im Sanitätswesen herangezogen werden (Art. 12a Abs. 4 GG). Solche Maßnahmen greifen jedoch nur im äußersten Ausnahmefall – entscheidend ist, dass Unternehmen bereits im Vorfeld ihre Resilienz stärken.
Denn auch unterhalb dieser Schwelle können Störungen wie Blackouts, Lieferengpässe oder IT-Ausfälle massive Auswirkungen haben. Besonders betroffen sind kleine und mittlere Unternehmen. Laut einer Bitkom-Studie vom August 2024 waren 81 Prozent der Unternehmen in Deutschland im Vorjahr von Spionage, Sabotage oder Datendiebstahl betroffen – mit einem geschätzten Gesamtschaden von 267 Milliarden Euro. Die Angriffe zielen nicht nur auf Daten, sondern auch auf Produktionsprozesse, Lieferketten und Vertrauen. Der Verfassungsschutz Hessens warnt unter dem Stichwort „Wirtschaftsschutz“ vor hybriden Bedrohungen, die gezielt wirtschaftliche Strukturen destabilisieren.

IHK-Sicherheitsdialog: Vernetzung als Schlüssel

Als Reaktion auf die veränderte Sicherheitslage hatte die IHK Lahn-Dill im Mai 2025 zu einem „Sicherheitsdialog – Resilienz und Zukunftssicherheit für Wirtschaft und Gesellschaft an Lahn und Dill“ eingeladen. Rund 30 regionale Vertreter aus Wirtschaft, Verwaltung und Politik kamen zusammen, um sich über die neuen Rahmenrichtlinien zur Gesamtverteidigung und konkrete Maßnahmen zur Krisenvorsorge auszutauschen.
IHK-Hauptgeschäftsführer Dietmar Persch betonte, dass es unerlässlich sei, dass Unternehmen „sich vernetzen und informieren“. Nur durch abgestimmtes Handeln lasse sich etwa der Schutz kritischer Infrastrukturen sicherstellen oder ein funktionierendes Notfallmanagement aufbauen – beides Voraussetzungen für die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit der Region.
Diese Einschätzung deckt sich mit den Empfehlungen des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das insbesondere KMU zur Nutzung von Checklisten, Szenarienanalysen und klaren Kommunikationsstrukturen aufruft. Unternehmen werden dabei nicht nur als Versorger, sondern auch als Schutzträger in der zivilen Verteidigung verstanden, etwa durch die Aufrechterhaltung von Energieversorgung, Transportlogistik oder Kommunikationsinfrastruktur.

Aufgaben der Kammer

Die IHK Lahn-Dill versteht sich dabei nicht nur als Informationsplattform, sondern als aktiver Partner. Sie berät Unternehmen bei der Entwicklung von Notfallplänen, klärt über gesetzliche Vorgaben auf und vernetzt Betriebe mit Behörden und Sicherheitsakteuren. Die DIHK-Position 2025 hebt hervor, dass IHKs auch operativ in der zivil-militärischen Zusammenarbeit gefragt sind, etwa bei der Fachkräftesicherung oder der Unterstützung bei Verwaltungsverfahren.
Darüber hinaus hat die IHK als Körperschaft des öffentlichen Rechts auch hoheitliche Aufgaben. Bereits in früheren Krisenzeiten stellte sie Unabkömmlichkeitsbescheinigungen aus. Im Verteidigungsfall könnte sie erneut eine zentrale Rolle einnehmen, etwa bei der Umsetzung von Sicherstellungsmaßnahmen oder der Vermittlung zwischen Unternehmen und Behörden.
Ein konkretes Beispiel ist die staatliche Transportorganisation (TOB), die im Krisenfall durch das Bundesamt für Logistik und Mobilität (BALM) koordiniert wird. Hier könnten IHKs unterstützend tätig werden, etwa bei der Erfassung von Fahrzeugen, Fahrpersonal oder Kraftstoffreserven.

Frühzeitige Vorbereitung als Resilienzfaktor

Das Fazit des Sicherheitsdialogs war eindeutig: Resilienz beginnt nicht im Ausnahmezustand, sondern im Alltag. Unternehmen sollten sich nicht als Statisten verstehen, sondern als aktive Gestalter ihrer eigenen Krisenfestigkeit. Frühzeitiges Handeln wirkt besser als hektische Reaktion. Branchenspezifische Krisenkonzepte, ein Ansprechpartner im Betrieb für externe Kommunikation, regelmäßige Übungen und eine funktionierende Notfall-Hotline – all das wird zur neuen Normalität.
Die DIHK betont, dass Resilienz eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist – und dass IHKs als Brückenbauer zwischen Wirtschaft, Staat und Sicherheitsbehörden eine Schlüsselrolle einnehmen. Wer sich jetzt engagiert, legt den Grundstein für künftige Handlungsfähigkeit. Unternehmen in der Region Lahn-Dill können durch präventive Vernetzung und professionelle Vorbereitung ihre Wettbewerbsfähigkeit schützen und zugleich zur Stabilität der Region beitragen.
Wer sich dazu vertiefend austauschen möchte, findet in Thomas Trams, Referent für politische Interessenvertretung und Beratung der IHK Lahn-Dill, einen erfahrenen Ansprechpartner. Der Austausch ist ausdrücklich erwünscht – resiliente Netze entstehen nicht am Reißbrett, sondern im Gespräch.
Thomas Trams