"Wandlungsfähigkeit wird neue Kernkompetenz"

Er kennt die Herausforderung, und er kennt den Wandel. Der neue Präsident der IHK Lahn-Dill, Dr. Felix Heusler, ist Geschäftsführer und Gesellschafter der Isabellenhütte in Dillenburg und führt das Familienunternehmen in der achten Generation. Die Hütte, erstmals 1482 urkundlich erwähnt, „ist“, so sagt der promovierte Wirtschaftswissenschaftler, „empirischer Beleg dafür, dass die Wirtschaft mit dem Unberechenbaren rechnen muss“. Für den Wandel, der auf die Wirtschaft in der Region zukommt, hat der 49-Jährige die Ärmel bereits hochgekrempelt.
Kriege, Industrialisierung, unaufhaltsamer Fortschritt – die Vorfahren von Felix Heusler haben die Isabellenhütte in den fünf Jahrhunderten ihres Bestehens mehr als einmal neu denken müssen. Wie kaum ein anderes Unternehmen steht die Isabellenhütte damit für die von Wandel geprägte Wirtschaftsgeschichte in der Industrieregion an Lahn und Dill. Heute heißen die Herausforderungen Klimawandel, Fachkräftemangel und Digitalisierung, bieten aber – richtig und rechtzeitig angepackt – große Chancen für unsere Wirtschaftsregion, sagt der neue Präsident im Interview.
Herr Heusler, Klimawandel, Energiepolitik, Kreislaufwirtschaft und Demografie sind die Stichworte. Sie sehen hier mehr Chancen als Risiken für unsere Mitgliedsunternehmen. Wo liegen die Chancen?
Dr. Felix Heusler: Um ein treibhausgasneutraler und damit auch in Zukunft wettbewerbsfähiger Standort zu sein, benötigt es Investitionen in und Innovationen für die Produktionsstrukturen. Das bedeutet: In der Industrie stehen technologische Umbrüche an. Unsere Chance als industriestarker Kammerbezirk liegt darin, diese Technologien für die Transformation jetzt zu nutzen, sie vielleicht selbst zu entwickeln und dann auch zu exportieren. Eine gute Zusammenarbeit mit Hochschulen wie beispielsweise der THM läuft bereits.
Wie kann man Unternehmen überzeugen, auf klimafreundliche Produktionsprozesse umzustellen?
Dr. Felix Heusler: Klimaschutz und Energieeffizienz sind aus Unternehmer-Sicht zwei Seiten derselben Medaille. Es macht daher aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht schon lange keinen Sinn mehr, das Thema zu ignorieren: In Zeiten von stetig steigenden Energiepreisen und Versorgungsunsicherheiten ist eine möglichst effiziente Nutzung von Energie eine wichtige „Lebensversicherung“ der Industrie und sichert unsere Wettbewerbsfähigkeit. Dass damit aus ökologischer Sicht auch dem Klimawandel begegnet wird, zeigt die zwingende Logik in dieser Argumentation: „Ohne Wirtschaft kein Klimaschutz“.
Durch die aktuellen Probleme, auch vor dem Hintergrund der geopolitischen Spannungen, sehen wir erste Bestrebungen weg von der Globalisierung, hin zu mehr „Made in Europe“. Auch eine Chance für uns?
Dr. Felix Heusler: Allerdings. Hat der technologische Fortschritt in den vergangenen Jahrzehnten dazu geführt, dass viele Arbeitsplätze ins Ausland, vor allem in die Niedriglohnländer, verlagert worden sind, sehen wir jetzt ein umgekehrtes Phänomen: Die Digitalisierung führt dazu, dass erste Produktionsstandorte und damit Arbeitsplätze wieder zurück in die entwickelten Industrieländer geholt werden. Gewiss wird dieser Trend durch die angesprochenen tektonischen Verschiebungen noch verstärkt. Im schlimmsten Fall wird die Welt folglich wieder in „Gut“ und „Böse“, in „Freund“ und „Feind“ aufgeteilt werden. Aber auch dann ergeben sich Chancen für die, die sich als „Freunde“ positionieren.
Welche Risiken gibt es für unsere Region?
Dr. Felix Heusler: Dass wir zu langsam sind und uns andere Länder technologisch überholen. Dazu kommt unser Fachkräftemangel. Letzterer zeichnet sich vor allem in den Branchen ab, die für die ökologische Transformation wichtig sind. Berufe für Energie-, Gebäudetechnik und Bau werden zur Erreichung der Klimaziele in den kommenden Jahren personell vor besonderen Herausforderungen stehen.
Generell gilt: Wir brauchen für die Transformation Fachkräfte mit neuen Kompetenzen/Qualifikationen, da müssen schon in der Ausbildung die Grundlagen gelegt werden. So wird bereits in einigen Unternehmen vermehrt auf das Thema Automatisierung und Robotik gesetzt, um fehlende Mitarbeiter zu kompensieren. Es werden in Zukunft also weniger Routine-, stattdessen mehr komplexe Tätigkeiten gefragt sein, denn die neuen Maschinen und Anlagen müssen ja auch betreut und bedient werden.
Wie können wir Schritt halten?
Dr. Felix Heusler: Die Bildungsträger an Lahn und Dill sind – in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft – bereits am Thema dran. Gemeinsam mit den Gewerblichen Schulen in Dillenburg hat die IHK Lahn-Dill zum Beispiel einen passenden Lehrgang für Facharbeiter konzipiert, der berufsbegleitend die Basiskompetenzen zu Industrie 4.0, Robotik und additiver Fertigung vermittelt. Bei der THM gibt es seit vier Jahren die Stiftungsprofessur Industrie 4.0, die von der IHK Lahn-Dill initiiert wurde und von Spitzenunternehmen aus der Region anteilig finanziert wird. Das nenne ich praxisnahe Forschung und Lehre, hier können wir erhebliche Potenziale zur nachhaltigen Technologieentwicklung heben. Mit dem neuen interdisziplinären Master-Studiengang bei StudiumPlus „Future Skills und Innovation“ werden berufsübergreifende Querschnittkompetenzen vermittelt. Die Absolventen werden Gestalter des digitalen Wandels und von großem Interesse für die Wirtschaft sein. Ich blicke da optimistisch in die Zukunft.
Außer Industrie 4.0 - welche Kompetenzen benötigen wir noch in der zukünftigen Arbeitswelt?
Dr. Felix Heusler: Das Thema Nachhaltigkeit wird die Berufswelt verändern. Immer mehr Unternehmen werden in Zukunft darüber berichten müssen, wie nachhaltig sie unterwegs sind. Überprüft wird das anhand der ESG-Kriterien Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung). Kompetenzen sind also gefragt bei Themen wie Verringerung der Umweltverschmutzung, Reduktion von Treibhausgasemissionen oder Steigerung der Energieeffizienz. Bei der Frage, wie es um faire und gesunde Arbeitsbedingungen steht, benötigen wir Know-how im Bereich des Gesundheitsschutzes oder auch der Arbeitssicherheit. Und für die besagte nachhaltige Unternehmensführung werden Unternehmenswerte und Kontrollprozesse neue Schwerpunkte sein.
Die duale Ausbildung hat nach wie vor ein Imageproblem. Sehen Sie im Thema Nachhaltigkeit eine Chance, die duale Ausbildung attraktiver zu machen?
Dr. Felix Heusler: Die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz haben einen hohen Stellenwert bei jungen Menschen. Duale Ausbildungsberufe, die einen unverzichtbaren Beitrag zur energieeffizienteren Produktion leisten, können damit auch für die „Fridays-for-Future-Generation“ interessant werden. Hier können sich junge Menschen bei der Gestaltung einer gemeinsamen nachhaltigen Zukunft aktiv einbringen.
Welche weiteren Themen werden unsere Mitgliedsunternehmen in den kommenden Jahren beschäftigen?
Dr. Felix Heusler: Ganz klar das Thema Cybersicherheit, weil wir unsere innovativen Technologien absichern müssen. Hier hat die IHK Lahn-Dill bereits eine Agenda entwickelt – angefangen bei Informationsmöglichkeiten über niedrigschwellige Beratungsangebote für Unternehmen wie Sprechstunden und Workshops bis hin zu Tagesveranstaltungen mit Experten von BSI und Verfassungsschutz. Wir gehen ab sofort an die Umsetzung. Das Thema wird in meiner Amtszeit eine große Rolle spielen.
Wann müssen die Herausforderungen spätestens angegangen werden, wenn die Region nicht abgehängt werden soll?
Dr. Felix Heusler: Der Wandel hat doch längst begonnen! Vor dem Hintergrund anhaltend schwieriger geopolitischer Eskalationen, ungebremsten Kostensteigerungen respektive steigender Inflation, instabilen Lieferketten sowie einer unmittelbar drohenden Energieknappheit muss sich jetzt zeigen, wie wandlungsfähig wir sind. Wir sind die industriestärkste Region in Hessen und nehmen hier auch deutschlandweit einen Spitzenplatz ein. In den vergangenen 200 Jahren Industriegeschichte haben wir mehr als einmal bewiesen, dass wir an Lahn und Dill das Thema Transformation beherrschen. Um Beschäftigung und Wohlstand in unserer Region weiterhin zu sichern, sind Vernetzung, Technologietransfer und Qualifizierung wichtiger als je zuvor. Wandlungsfähigkeit wird zu einer neuen Kernkompetenz. Diese Herausforderung möchte ich mit unseren Mitgliedsunternehmen gemeinsam annehmen.
Dr. Felix Heusler, geboren 1972 in Siegen, wuchs in Dillenburg „im Schatten“ des heimischen Familienbetriebs auf. Er studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Darmstadt und der Université Catholique de Louvain (Belgien) und war bis 2004 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU München und der Universität Duisburg-Essen tätig. Parallel dazu promovierte er zum Doktor der Wirtschaftswissenschaften (Dr. rer. oec.). Seine Dissertation zum Thema „Implementierung von Supply Chain Management“ wurde mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Wissenschaftspreis des Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME).

Nach Erfahrungen als Einkäufer bei der DaimlerChrysler AG in Sindelfingen kehrte er 2007 zur Isabellenhütte Heusler GmbH & Co. KG zurück, bei der er auch Gesellschafter ist. 2012 erfolgte seine Ernennung zum Geschäftsführer, seit 2020 bekleidet er die Rolle des CFO. Gemeinsam mit seinen beiden Kollegen Holger Spiegel (CEO) und Thilo Gleisberg (CTO) führt Felix Heusler das Familienunternehmen in der achten Generation. Im zurückliegenden Jahrzehnt hat sich die Isabellenhütte seitdem von einem kleinen Mittelständler zu einem global ausgerichteten High-Tech-Unternehmen mit über 1000 Mitarbeitern und knapp 200 Millionen Euro Umsatz weiterentwickelt. Die ehemalige Kupferhütte gilt als das älteste Industrieunternehmen in Hessen und produziert heute unter anderem Präzisionswiderstände und Sensormodule für Elektroautos.

Felix Heusler engagiert sich seit 2011 im Industrieausschuss der IHK Lahn-Dill, seit 2014 vertritt er die Interessen der regionalen Wirtschaft in der Vollversammlung, 2019 wurde er als Vizepräsident in das Präsidium der industriestärksten Kammer in Hessen gewählt, seit dem 13. Juli 2022 steht er als Präsident an der Spitze der IHK Lahn-Dill.

Der passionierte Naturliebhaber ist verheiratet und hat drei Kinder. Im weiteren Ehrenamt engagiert er sich als Vizepräsident beim DRK Kreisverband Dillkreis e.V., in seiner Freizeit findet er Ausgleich beim Sport (Badminton, Mountainbike, Golf) und beim Rasenmähen.