IHK-Verbund Mittelhessen

Der Markt entscheidet

Technologien der Zukunft standen im Mittelpunkt der Herbstsitzung des Arbeitskreises Verkehr im IHK-Verbund Mittelhessen in Kooperation mit dem Arbeitskreis Alternative Antriebstechnik. Gastgeber war Michael Kraft, Geschäftsführender Gesellschafter der Neils & Kraft GmbH & Co. KG.
Von Petra A. Zielinski
„Nichts ist so beständig wie der Wandel.“ Dass dieser Satz des griechischen Philosophen Heraklit von Ephesos nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat, darin waren sich die rund 30 Mitglieder des Arbeitskreises Verkehr einig. Nach einer Begrüßung durch dessen Leiter Wolfgang Bork stellte Michael Kraft sein Mercedes-Autohaus und die Servicewerkstatt mit Sitz in Gießen, Wetzlar, Hungen und Lützellinden vor. „Die Kernmärkte sind gesättigt, produktseitige Unterschiede werden immer kleiner und das Kundenverhalten wird flexibler“, stellte Kraft gleich zu Beginn klar. Eine abnehmende Markentreue sei zu beobachten. Darüber hinaus führe eine zunehmende Digitalisierung zu erheblichen Veränderungen im Vertrieb. „Es besteht die Gefahr, dass Vertriebsportale den Fachhandel ersetzen. Dem muss mit zeitgemäßen Vertriebsstrategien begegnet werden“, führte er weiter aus. Bereits 65 Prozent der Kunden würden sich vor dem Betreten des Autohauses online informieren.
Mit dem neu gestalteten Vertriebszentrum habe man in Gießen eine digitale Markenarchitektur geschaffen. „Hier gibt es keine festen Arbeitsplätze im Kundenkontaktbereich mehr“, stellte Michael Kraft klar. Einzig für individuelle Gespräche stünden Einzelkabinen zur Verfügung. Der Empfang sei „proaktiv“. Jeder Besucher, der den Empfangsbereich betrete, werde angesprochen. Ziel sei eine „Inszenierung des Autos“. Dem Medienkonzept entsprechend, habe man überall Bildschirme aufgestellt, auf denen die Besucher Informationen erhalten würden.
Informationsplattform für Interessierte
Die vielfältigen Angebote der Geschäftsstelle Elektromobilität Hessen stellte Jürgen Schilling von der LEA LandesEnergieAgentur Hessen GmbH vor. „Die LEA wurde 2017 als Abteilung der Hessen Agentur gegründet und ist seit 2020 eine eigenständige Tochtergesellschaft, die im Auftrag der Hessischen Landesregierung zentrale Aufgaben bei der Umsetzung der Energiewende und des Klimaschutzes ausführt“, erklärte er. Hauptauftraggeber seien das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen sowie das Umweltministerium. Die Geschäftsstelle Elektromobilität könne auf ein bundesweites Netz zurückgreifen. Ihre Aktivitäten richteten sich vor allem an hessische Kommunen, aber auch an Verbände, Kammern, Gewerbevereine und Busbetreiber. Als Beispiele nannte Schilling die E-Lotsen-Schulung für Kommunen, an der bereits 300 Menschen teilgenommen hätten, sowie die Online-Seminarreihe „Elektrisch unterwegs“, die unterschiedliche Fragen zur Elektromobilität aufgreife, wie etwa das Thema Aufbau von Ladeinfrastruktur in Wohneigentümergemeinschaften oder Mietwohnungen. „eCoach“ sei ein umfassendes Erstberatungsprogramm für Busbetriebe.
Ja zu alternativen Antriebsformen
Mit den technischen Grundlagen, den Einsatzgebieten sowie der notwendigen Infrastruktur für E-Fuels und die Dieselkraftstoff-Alternative HVO 100 beschäftigte sich Kim Dennis Backhaus. Der Marketingleiter der Adolf Roth GmbH & Co. KG beantwortete die Frage, ob diese neuen Antriebsformen Klimaretter seien mit einem deutlichen Ja. „Ohne den Einsatz von E-Fuels können die Treibhausgasziele nicht erreicht werden“, unterstrich er. Leider sei Deutschland im Gegensatz zu Ländern wie Italien, den Niederlanden oder Schweden hier noch „Brachland“. „Aktuell gibt es in ganz Europa nur 100 Zapfsäulen.“ Mercedes setze die alternativen Antriebsstoffe bereits seit 2016 im Lkw-Bereich ein, lobte er.
Tanken ohne Umrüstung
Während HVO-100-Diesel ein erneuerbarer Kraftstoff sei, der durch Hydrotreating von Öl und Fetten aus Biomasse hergestellt werde, basiere der Produktionsprozess von E-Fuels nicht auf Biomasse, sondern würde mittels elektrischer Energie aus Wasser und Kohlenstoffdioxid hergestellt. Nur wenige wüssten, dass jedes Dieselfahrzeug ohne Umrüstung des Motors mit HVO betankt werden könne. „Pro Liter Diesel spart man beim Einsatz von HVO 2,39 Kilogramm CO2“, führte der Experte weiter aus. Darüber hinaus verringere der Einsatz die Emission gefährlicher Stoffe wie Feinstaub, Kohlenwasserstoff, Stickoxide, Kohlenmonoxid und Polyzyklischer Aromatischer Kohlenwasserstoffe (PAH).
Derzeit werde der Verkauf von erneuerbaren Kraftstoffen streng durch die deutsche Gesetzgebung reguliert. „HVO-100-Diesel kann ohne Einschränkung für die Verwendung in Off-Road-Anwendungen, in der Bauindustrie, der Landwirtschaft, der Eisenbahn, in Schiffen und Stromerzeugungsaggregaten verkauft werden“, zählte Backhaus auf. Auch Kommunen und öffentliche Einrichtungen könnten HVO nutzen, um ihre Klimaziele nach dem „Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungsgesetz“ zu erfüllen. Private Fuhrparkbetreiber hingegen würden ausschließlich zu Forschungs- und Testzwecken Zugang zu HVO-100-Diesel erhalten. Dies bedürfe einer speziellen Genehmigung durch die zuständigen Landesbehörden. Die Adolf Roth GmbH verfüge Stand heute über ein zwei Millionen Liter umfassendes Tanklager in Koblenz, ein weiteres sei im Frühjahr kommenden Jahres geplant, sagte Backhaus.
Verkehrssektor muss Beitrag leisten
Dass insbesondere der heute nahezu ausschließlich mit Dieselkraftstoff betriebene schwere Straßengüterfernverkehr ein großer Verursacher von CO2-Emissionen ist, stellte Marcus Weller vom Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe e.V. klar. „Rund 740 Millionen Tonnen CO2 wurden 2021 in der EU durch die Verbrennung von Kraftstoffen im Straßenverkehr ausgestoßen. Tendenz steigend.“ Daher müsse auch der Verkehrssektor seinen Beitrag leisten, um die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu mindern, wie es die Bundesregierung vorschreibt. Für den schweren Straßengüterverkehr formuliere deren Klimaschutzprogramm das Ziel, bis 2030 etwa ein Drittel der Fahrleistung elektrisch oder auf Basis strombasierter Kraftstoffe zu erbringen. Die EU schreibe ihren Mitgliedsstaaten den Aufbau eines Schnellladenetzes für Lkw vor. Bis 2025 müssten die Länder an ihren Hauptverkehrsachsen alle 60 Kilometer eine Ladestation mit einer Kapazität von 1,4 Megawatt errichten.
Nötige Infrastruktur schaffen
„Wie aber sollen diese Ziele erreicht werden?“, fragte der Referent. „Zur Umsetzung muss zunächst die nötige Infrastruktur geschaffen werden.“ Hier gelte es, langfristig vernünftige politische Rahmenbedingungen und Fördermaßnahmen zu etablieren sowie die Batterietechnologien weiter zu verbessern. Marcus Weller plädierte für eine flächendeckend verfügbare Megawatt Charging System (MCS)-Ladeinfrastruktur, durch die auch die Batteriekapazität im Fahrzeug deutlich kleiner dimensioniert werden könnte. „Prognosen zufolge sind für einen EU-weiten Aufbau 11.000 Ladepunkte für schwere Nutzfahrzeuge bis 2025 und 42.000 bis 2030 erforderlich“, betonte er. „Auf Deutschland heruntergebrochen, müssten bis 2025 3.750 und bis 2030 14.350 Ladepunkte aufgebaut werden.“ Der Markt werde entscheiden, welche Antriebstechnologien sich in welchem Bereich durchsetzen würden. Fest stehe jedoch, dass deren Nutzung im Vergleich zu konventionell betriebenen Fahrzeugen kostenseitig wettbewerbsfähig sein müsse.
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