Der Tag an dem der Shutdown kam

"Unsere Arbeit wird digitaler werden"

Die ersten zwei Wochen hatten sie überhaupt nicht gewusst, was der Shutdown für sie bedeutet. Die Musiker der Hüttenberger Deutsch-Pop-Band Lupid hatten im März grade ihr neues Album eingespielt und für den Monat Mai ihre Club-Tour durch die Republik geplant. „Daran glaubten wir anfangs auch noch“, erinnert sich Frontmann, Sänger und Texter Tobias Hundt. „Ich dachte wirklich, dass geht jetzt mal zwei, drei Wochen lang so, dann wird es wieder wie früher“, erzählt der 33-Jährige weiter. Doch mit jedem weiteren Podcast von Chefvirologe Drosten, den er hörte, dämmerte ihm zunehmend: So, wie bislang, wird es nicht mehr laufen – vor allem in seiner Branche nicht. Und die Kosten für die Produktion des neuen Albums müssen auf anderem Weg als durch eine Live-Tournee eingespielt werden, da war auch die Soforthilfe nur ein Tropfen auf den heißen Stein. „Also war klar“, so Tobias Hundt, „wir müssen umstellen.“
Das tat die Band. Es wurden Videos gedreht, es wurde live gestreamt. Natürlich sei das emotional wie auch finanziell nicht zu vergleichen mit einem Livekonzert, erklärt Tobias Hundt: „Wenn eine Band nicht live unterwegs sein kann, bricht ihr die Haupteinnahmequelle weg.“ In Zahlen: 20 Konzerte musste Lupid absagen, darunter acht Tourkonzerte und acht Festival-Shows. Damit einhergehend entfiel auch das Geschäft mit dem Verkauf von Merchandising-Artikeln. Denn grade nach Live-Konzerten kauften die Fans T-Shirts und andere Artikel mit dem Band-Logo, dem markanten Wolfskopf, erzählen die Musiker. Auch das neue Album sei als CD für die Tournee produziert worden: „Selbst, wenn die meisten Menschen heute Musik streamen, nach Konzerten werden die Alben auf CD als Erinnerung immer gerne gekauft“, so Hundt. 
Die „Picknick-Konzerte“ von Sängerin Nena diesen Sommer, bei denen sie als Vorband dabei waren, seien zwar ein Highlight gewesen, hätten aber finanziell nicht viel eingebracht. „Wenn es gut gelaufen ist, kamen wir bei Null raus, ansonsten haben wir draufgelegt“, sagt Keyboarder Patrick Serafin. Trotz allem seien die Auftritte wichtig gewesen: „Wir wollten schließlich im Gespräch bleiben!“ Doch sollten Großveranstaltungen auch das ganze nächste Jahr über tabu bleiben, sehe es finster aus – für eine ganze Branche, so Patrick Serafin weiter. Kleine Konzerte mit wenig Publikum seien auf Dauer nicht wirtschaftlich. „Wir müssen jetzt in Locations gehen, die möglichst wenig kosten, da wir nicht alle Plätze besetzen können.“ Viele Möglichkeiten gebe es da nicht. In der Eventbranche seien schon die ersten Unternehmen „kaputtgegangen“, „andere werden folgen“, schätzt Serafin weiter.
Er und sein Bandkollege, Schlagzeuger Markus Straßheim, haben noch Glück in der Branche. Beide Musiker haben weitere wirtschaftliche Standbeine, was sich in Corona-Zeiten als absoluter Vorteil erwiesen hat: Markus Straßheim arbeitet hauptberuflich als Elektroingenieur, Patrick Serafin ist in Teilzeit als Sozialpädagoge an einer Grundschule festangestellt und arbeitet außerdem freiberuflich in einer Musikschule.
Tobias Hundt ist der einzige im Trio, der hauptberuflich als Künstler unterwegs ist. Neben seiner Tätigkeit als Sänger und Songwriter für Lupid arbeitet er als Texter für andere Bands. „Vor Corona lebte man als Texter davon, sich mit anderen Musikern zu Writing-Sessions zu treffen. Ich bin dafür zum Beispiel immer einmal im Monat nach Berlin gefahren.“  Das war nun schlagartig vorbei. „Und nicht nur das, man suggerierte Künstlern wie mir auch noch: Jetzt – durch den Shutdown – hast du doch Zeit für den großen Wurf.“ Hatte er nicht. Ganz im Gegenteil. In seinem Kopf kreisten ganz existenzielle Gedanken: „Mich blockierte das erstmal.“
Glücklicherweise nicht lange. Denn den Kopf in den Sand zu stecken, ist keine Option für Tobias Hundt, wie auch für die ganze Band nicht, im Gegenteil: Tobias traf sich – nach kurzer Schockstarre -  online per Videokonferenz mit Musikern zu Writing-Sessions und siehe da: „Ich habe in drei bis vier Wochen plötzlich 20 Songs geschrieben – weil es so einfach war. Man musste nirgendwo hinfahren, machte mit den anderen nicht ständig Kaffee-Pausen, sondern konnte mit viel Zeitersparnis und ohne viel Ablenkung arbeiten.“ Das sei „supereffizient“ gewesen. „Aber“, sagt er auch, „es ersetzt keine Präsenztreffen“. Die wird und muss es wieder geben, ist er sicher. Trotzdem werde Corona die Branche nachhaltig verändern – das steht für Tobias Hundt, Patrick Serafin und Markus Straßheim fest: „Auch unsere Arbeit wird digitaler werden.“
Auch wenn es auf Dauer keine finanzielle Perspektive ist: Hundt, Serafin und Straßheim freuen sich derzeit über kleine Konzerte mit klaren Hygienekonzepten. Ihren „Merchandising-Bauchladen“ haben sie dann auch dabei – und neben CDs, Shirts, Hoodies, Caps und Karten einen ganz neuen Artikel im Programm: Masken mit dem Lupid-Logo – genäht von ihren Familien für einen guten Zweck. Tobias Hundt: „Wir sind Botschafter eines internationalen Kinderhilfswerks, und der Erlös der selbstgenähten Lupid-Masken kommt denen zugute, denen es noch schlechter geht als uns – und das nicht erst seit Corona.“