Der Tag an dem der Shutdown kam

"Alle haben mitgezogen"

 „Wir bekommen über unsere Großhändler viel Ware aus China. Unter anderem auch für den Adventskalender, für den wir immer schon am Jahresanfang ordern müssen“, erinnert sich Heike Susemichel, Geschäftsführerin der Orion Erotik Fachgeschäfte GmbH & Co KG in Biebertal. Beide wussten sofort: Die Corona-Krise wird früher oder später auch Europa erreichen und gründeten im Februar bereits den firmeneigenen Krisenstab – einen Monat bevor der Shutdown in Deutschland verkündet wurde.
„Wir haben als erstes ein Schichtsystem eingeführt“, erinnert sich Heike Susemichel, „damit uns das Gesundheitsamt bei einem Corona-Fall nicht die ganze Zentrale schließt.“ Dann kam die Hiobsbotschaft: „Am 16. März kam der Shutdown, wir wussten: Jetzt müssen wir alle unsere 154 Läden schließen“, erzählt Jens Seipp. Durch das föderale System in Deutschland hatte allerdings jedes Bundesland eigene Verordnungen, die umgesetzt werden mussten. „Mit Unterstützung der IHK Lahn-Dill haben wir diese gesetzlichen Regelungen gut abgearbeitet.“ Am 19. März waren alle Läden geschlossen.
Doch dann ging es erst richtig los. Es wurde noch Ware angeliefert, die abgenommen werden musste, Mitarbeiter mussten wegen möglichen Schäden durch Vandalismus vor Ort sein, der Wasserhahn sollte wegen Legionellengefahr ebenfalls regelmäßig aufgedreht werden, und die Hotelzimmer für die Außendienstbetreuer mussten storniert werden. Heike Susemichel organisierte Telefonketten: „Es gab viel organisatorisch zu klären, vieles musste individuell abgearbeitet werden.“ Und das in einer Zeit, in der die Ladenkette ihren Umsatz auf Null stellen musste – sechs Wochen lang, bei laufenden Kosten. Heike Susemichel: „Uns hat es komplett getroffen – zu 100 Prozent!“
Alle Vermieter von Läden wurden kontaktiert, „einige sind uns auch entgegengekommen“. Der Krisenstab habe geguckt, „was geht“: zum Beispiel Inventuren machen. Trotzdem: Auch Orion in Biebertal musste in die Kurzarbeit gehen. „Ich habe vorher mit allen 100 Mitarbeitern in der Zentrale gesprochen“, so Heike Susemichel. „Das war sehr zeitintensiv, aber es hat sich gelohnt. Alle haben verstanden, um was es geht, sei es beim Thema Homeoffice, beim Thema Schichtbetrieb oder bei der Kurzarbeit. Alle haben mitgezogen. Es war schön, das zu erleben.“ Heike Susemichel ist froh, dass sie ihr Unternehmen komplett ohne Entlassungen durch die Krise führen konnte.
Die Stille im Unternehmen während des Shutdowns war dagegen nicht schön: „Das war geisterhaft. Es kam kein Fax mehr an, keine E-Mail, kein Telefon klingelte.“ Doch den Kopf in den Sand stecken, wollte bei Orion keiner: Und so wurde im kleinen Krisenstab besprochen, wie es weitergehen kann, wenn wieder geöffnet werden darf. Die Mitarbeiter arbeiteten an einem Hygienekonzept, das Orion-Team begann, die Läden auf die Öffnungen vorzubereiten, unter anderem mit Abstandsaufklebern und Schutzwänden. Auch das war nicht einfach: „Wieder einmal hat jedes Bundesland sein eigenes Süppchen gekocht. In einem gab es 10 Quadratmeter Platz pro Kunde, in einem anderen mussten es 20 sein“, so Jens Seipp, der sich für das Filialgeschäft eine bundeseinheitliche Regelung gewünscht hätte.
Inzwischen ist bei Orion ein Großteil der Läden wieder „dort angekommen, wo er vor Corona war – vor allem dank unserer Stammkunden“, sagt Heike Susemichel. Sie hofft, mit einem Umsatzrückgang von zehn Prozent im Jahr 2020 davonzukommen. „Doch“, sagt sie, „traurig ist das. Denn wir hatten zu Jahresbeginn so einen guten Start.“

Kleines Trostpflaster ist vielleicht der Adventskalender, der ist inzwischen – allen Widrigkeiten zum Trotz – gut gefüllt.