IHKplus 2.2024 | Titelthema

Fachkräfte: Verstärkung gesucht

Der Fachkräftemangel hat die Suche nach Personal für viele der rund 150.000 Unternehmen im Kammerbezirk Köln verändert. Beim Azubi-Marketing, der Bindung von Mitarbeitenden und der Integration von zugewanderten Menschen gibt es im regionalen Mittelstand kreative Lösungen.
Einmal im Leben den Papst beschallen, das Wacken-Openair-Festival auf die Bühne bringen oder eine Fußball-WM in Szene setzen – eine Ausbildung zur Fachkraft für Veranstaltungstechnik bei der Production Resource Group (PRG) in Kerpen bietet jungen Menschen die Chance, die Welt der Events kennenzulernen. Sie lernen Bühnen zu errichten und wirken an beeindruckenden Shows, Festivals, Sport- und Firmenevents mit.
30 solcher Ausbildungsplätze hat PRG als Anbieter von Veranstaltungstechnik 2024 zu vergeben. „Immer mehr Bewerberinnen und Bewerber lernen wir auf Jobmessen und über Schulen kennen“, sagt Lothar Samel, der bei PRG in Kerpen die Ausbildungsabteilung leitet. Beim Recruiting setzt Samel auf seine Ausbildungsbotschafterinnen und Ausbildungsbotschafter, die von der IHK Köln gezielt als Ansprechpersonen auf Augenhöhe geschult werden. „Unsere Azubis sind viel näher an der Zielgruppe dran und können die Schülerinnen und Schüler authentisch für eine betriebliche Ausbildung bei uns begeistern. So erreichen wir junge Menschen, die sonst nie bei uns gelandet wären.“

Ausbildung: exzellente Alternative zum Studium

Wie Lothar Samel entwickeln immer mehr Ausbildungsbetriebe neue Strategien, um Jugendliche auf eine duale Ausbildung aufmerksam zu machen. Der Grund: In den nächsten zehn Jahren scheiden altersbedingt in NRW 1,5 Millionen Beschäftigte aus dem Arbeitsmarkt aus. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die eine duale Ausbildung anstreben.
„In der Region Köln erwerben zwei Drittel die (fachgebundene) Hochschulreife, und viele junge Menschen denken immer noch, dass sie nach dem Abi studieren müssen“, sagt Uwe Vetterlein, Hauptgeschäftsführer der IHK Köln. „Doch es gibt viele exzellente Alternativen zu einem Studium, die auch zu sehr attraktiven Gehältern führen. Darüber hinaus wird man in einer Ausbildung vom ersten Tag an bezahlt, während man im Studium oft genug noch draufzahlen muss. Hinzu kommt in einer dualen Ausbildung die sofortige Einbindung in die Arbeitswelt, mit interessanten Aufgaben und der Übernahme von Verantwortung, die vielen jungen Menschen viel Freude bereitet.“
Schon gewusst? So unterstützte die IHK Köln 2023:
80 Unternehmen und 1.000 Jugendliche beim Azubi-Speedating der IHK Köln;
300 Bewerbungsgespräche mit Jugendlichen, 84 Jugendliche wurden danach erfolgreich von der Ausbildungsstellenvermittlung der IHK Köln in Betriebe vermittelt;
200 IHK-Veranstaltungen für Schülerinnen und Schüler zur Berufsorientierung;
438 Bildungsberatungen zur Berufsausbildung.
Umso schlimmer sei es, dass der Azubi-Mangel im vergangenen Jahr so groß war wie noch nie: 2023 konnte laut DIHK-Ausbildungsumfrage unter bundesweit mehr als 14.000 Unternehmen jedes zweite nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzen. Von diesen Unternehmen erhielt mehr als jedes dritte keine einzige Bewerbung.

In persönlichen Kontakt mit Jugendlichen kommen

Eine Ursache hierfür ist die noch ausbaufähige Berufsorientierung in den Schulen, weshalb sich acht von zehn Unternehmen in Deutschland hier künftig stärker engagieren wollen. 61 Prozent planen zudem, mehr Praktikumsplätze und damit Einblicke in den Betriebsalltag anzubieten.
Eine weitere Möglichkeit, um an Azubis zu kommen: Einfach ausprobieren. Der Girls' Day ist eine Gelegenheit dazu. Die Kölner EBF-EDV-Beratung Föllmer GmbH zum Beispiel hat dazu Ende April erstmals zehn Mädchen aus der 7. und 8. Klasse eingeladen, die Ausbildungsberufe bei EBF kennenzulernen und selbst ein Armband mit einem Microcontroller zu programmieren, das im Dunkeln leuchtet, Melodien abspielen kann und auf das Drehen des Arms reagiert. Die Botschaft: Programmieren macht Spaß und ist kreativ.
Beim Recruiting sind direkte Begegnungen zwischen Unternehmen und potenziellen Azubis ein wichtiger Erfolgsfaktor. „Die persönliche Nähe, Schülerinnen und Schüler im direkten Gespräch über die Ausbildung zu informieren und den eigenen Betrieb für sie durch Praxistage erlebbar zu machen, ist heute wichtiger denn je“, sagt auch Thomas Dickes, Ausbildungsleiter beim Kölner Obst- und Gemüsegroßhandel Rosenbaum Früchte. „Früher konnten wir unsere Ausbildungsplätze über Initiativbewerbungen und Tipps aus dem Bekanntenkreis besetzen. Heute finden wir unseren Nachwuchs auf Recruiting-Messen und über Aushänge an Schulen.“
Weitere Maßnahmen der Rosenbaumgruppe, um die Fachkräfte von morgen ans Unternehmen zu binden: Die Azubis lernen die gesamte Wertschöpfungskette kennen, mit Stationen beim Landwirt, in einem Supermarkt, in der Buchhaltung und im Key-Account-Management.

Kampagne für Nachwuchswerbung in Sportvereinen

Auch Kampagnen sind ein Mittel, um freie Ausbildungsplätze bekannt zu machen. Dabei ist Werbung „mit der Gießkanne“ weniger erfolgversprechend als zielgerichtete Aktionen. Ein Beispiel: Schmidt + Clemens in Lindlar startete 2023 die Kampagne „ ein großer Wurf“, um sich bei jungen Handballerinnen und Handballern als Arbeitgebermarke bekannt zu machen. Das inhabergeführte Familienunternehmen bildet in kaufmännischen und gewerblich-technischen Berufen aus und weiß, dass sich viele potenzielle Nachwuchskräfte in Sportvereinen finden lassen.
„S+C gehört zu den Hidden Champions in Deutschland. Wir sind gerne Champion. Aber das Hidden ist heute ein Problem“, sagt S+C-Marketingchef Lars Niemczewski. „Lindlar kennt keiner. Aber Gummersbach ist als Handballstadt bundesweit bekannt. Deshalb unterstützen wir den Handballprofi- und -breitensport in der Region.“ Die Kampagne läuft über Social Media und über Stände bei Sportveranstaltungen, wo auch Eltern und Großeltern gemeinsam mit den Jugendlichen Informationen einholen können.

Auch Älteren eine Chance als Azubi geben

Ein weiterer Tipp bei der Azubi-Suche: Ruhig mal außerhalb eingefahrener Wege suchen. So wie von René Zweiacker beschritten, Inhaber der Weinhandlung Kleefisch in Köln. Er hat mit Britta Pallada eine Auszubildende eingestellt, die bereits 25 Jahre Erfahrung als Werbetexterin hatte und umsatteln wollte.
„Das Alter sagt ja nichts über den Menschen aus“, meint er. „Besonders im Verkauf steht Alter für Erfahrung und mit einem breit aufgestellten Team sprechen wir sehr gut unterschiedliche Kaufinteressierte an." Auch hervorragende Leistungen sind keine Sache des Alters: Britta Pallada hat ihre Ausbildung 2022 „sehr gut“ abgeschlossen und war bei der Bestenehrung der IHK Köln dabei.

IHK-Fachkräfteberatung und -Unterstützung beim Azubi-Marketing

Bei der Entwicklung von Strategien zur Bewältigung des Fach- und Arbeitskräftemangels ist die IHK Köln auf verschiedenen Ebenen aktiv. Die Fachkräfteberatung der Kammer etwa unterstützt Mitgliedsbetriebe bei der Personalbedarfsplanung, informiert über Förderprogramme für berufliche Fort- und Weiterqualifizierung.
Schon gewusst? So unterstützte die IHK Köln 2023:
522 Fachkräfteberatungen in Unternehmen;
416 „Bildungsscheck“-Beratungen für Unternehmen;
568 Beratungen zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse;
Über 500 Teilnehmende bei Info-Veranstaltungen zu Aufstiegsfortbildungen.
Um die Berufsorientierung in den Schulen noch stärker zu forcieren, beraten sechs Mitarbeitende der IHK Köln die Mitgliedsfirmen beim Azubi-Marketing und der Azubi-Rekrutierung.
„Wir verfügen über ein dichtes Netzwerk zu den Schulen und Berufskollegs in der Region und helfen Unternehmen dabei, mit jungen Menschen in Kontakt zu kommen, dort, wo sie sich aufhalten: vor allem in den Schulen, auf Messen und in den sozialen Medien“, sagt Saskia Pflugradt aus dem Team Ausbildungsmarketing bei der IHK Köln. Das Team macht Unternehmen mit Veranstaltungen, Beratungen, Workshops und Online-Seminaren fit für ein zielgruppenspezifisches Ausbildungsmarketing auf allen Ebenen.
„Vielen Jugendlichen fehlt der Einblick in die Bandbreite der verschiedenen Berufsfelder und Ausbildungswege“, sagt Christina Sampl, ebenfalls aus diesem Team. Um das zu ändern, sind im Bezirk der IHK Köln 2024 rund 150 Ausbildungsbotschafterinnen und -botschafter in Schulen, Berufskollegs und auf Recruiting Events unterwegs. „Durch den offenen Austausch mit Gleichaltrigen werden die Jugendlichen angeregt, über ihre eigenen Zukunftsmöglichkeiten nachzudenken.“
Der Einsatz in Sachen Berufsorientierung und Azubi-Marketing zahlt sich aus: Im Kammerbezirk der IHK Köln konnte mit 8.017 unterschriebenen Ausbildungsverträgen 2023 erstmalig nach den Coronajahren wieder die 8000er-Marke geknackt werden.

Fachkräfte sind in vielen Berufen knapp

Kreative neue Ideen sind nicht nur beim Azubi-Recruiting gefragt. Denn die Unternehmen brauchen jetzt Fachkräfte. Laut Fachkräfte-Report 2023/2024 der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) kann aktuell jeder zweite Betrieb Stellen zumindest teilweise nicht besetzen. Die Zahl der offenen Stellen lag im 4. Quartal 2023 bundesweit bei 1,73 Millionen.
Das Dramatische daran: Bei 84 Prozent dieser Stellen war der ursprünglich geplante Besetzungstermin bereits verstrichen. Ein Rekordwert bei den sofort zu besetzenden Stellen, der die Dringlichkeit bei der Personalsuche vieler Unternehmen zeigt. Was auf jeden Fall hilft: Zufriedene Mitarbeitende, die über Empfehlungsmarketing neue Interessierte für den Betrieb begeistern können. Und neue Mitarbeitende gut integrieren.
Schon gewusst? DIHK-Report Fachkräfte 2023/2024:
82 Prozent der Unternehmen erwarten negative Folgen durch den Fachkräftemangel
55 Prozent sehen in der Einstellung ausländischer Fachkräfte eine Option
Auf ein starkes Miteinander setzt auch Thomas Lierz, Inhaber der Tom Hotels in Wesseling. „Die Herausforderung, gute Fachkräfte zu finden und zu halten, ist in der Hotellerie nichts Neues“, sagt Lierz. „Wir sind ein sehr internationales Team und die Mitarbeitenden haben individuelle Wünsche und Bedürfnisse. Ich versuche als Unternehmer, auf diese persönlichen Vorstellungen einzugehen. Wir kümmern uns. Wichtig ist, die gemeinsame Leidenschaft zur Hotellerie und das Wir-Gefühl.“
So hat Lierz Teammitglieder bei der Wohnungssuche unterstützt oder findet Lösungen, wenn es um die Mobilität geht – angefangen beim Jobfahrrad über Firmenwagen mit Privatnutzung für Führungskräfte bis hin zum mobilen Arbeiten, wenn zum Beispiel keine Anreisen zu erwarten sind und die Mitarbeitenden daher auch außerhalb des Hotels mit dem Laptop weiterarbeiten können.

Fachkräftepotenziale: Frauen, Ältere und Einwanderung

Individuelles Engagement von Unternehmen ist nur die eine Seite der Medaille bei der Fachkräftesicherung. „Es gibt drei Potenziale, die wir unbedingt heben müssen“, sagt Dr. Nicole Grünewald, Präsidentin der IHK Köln.
Fachkräfte finden
Die IHK Köln unterstützt Unternehmen bei der Fachkräftesicherung und -suche. Alles zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und zur Bildungs- und Fachkräfteberatung unter www.ihk-koeln.de/arbeitskraefte
Das erste sind die topausgebildeten weiblichen Fachkräfte, von denen es in Deutschland bereits viele gibt. Frauen arbeiten häufig nur in Teilzeit, weil sie sich um Kinder und Angehörige kümmern. „Viele Frauen würden gern mehr arbeiten, können das aber nicht, weil die Kita-Plätze fehlen. Hier ist die Politik gefordert, das Angebot quantitativ und qualitativ zu verbessern“, so Grünewald.
Das zweite Potenzial sind ältere Arbeitnehmende, die – obwohl sie vielleicht schon in Rente gehen könnten oder sogar schon in Rente sind – gerne länger arbeiten würden, für die sich dies jedoch finanziell nicht lohnt. Auch hier müssen weitere Anreize geschaffen werden.
Das dritte Potenzial liegt in der Einwanderung. „Die Unternehmen selbst investieren laufend in Ausbildung und Qualifizierung ihrer Mitarbeitenden. Das reicht jedoch nicht“, sagt Jasna Rezo-Flanze, Leiterin Qualifizierungsberatung der IHK Köln. „Es ist immer noch viel zu kompliziert, Fach- und Arbeitskräfte aus dem Ausland einzustellen und Geflüchtete in Arbeit zu bringen.“

Geflüchtete aus der Ukraine als Festangestellte in der Produktion

Mit mehreren Veranstaltungen will die IHK Köln deshalb in Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit im Laufe des Jahres Gelegenheit bieten, dass sich Menschen mit Fluchthintergrund und Unternehmen mit Fachkräftebedarf unkompliziert kennenlernen können. Das Familienunternehmen GIZEH Verpackungen GmbH & Co. KG aus Bergneustadt beschäftigt bereits ukrainische Flüchtlinge in seiner Lebensmittelverpackungsproduktion.
Unmittelbar nach dem 24. Februar 2022 entschloss sich das Unternehmerpaar Ralf und Jacqueline Jung, mehrere ukrainische Frauen und deren Kinder an drei GIZEH-Produktionsstandorten in Deutschland und Polen unterzubringen. Mit großem persönlichem Engagement kümmerte sich die Familienunternehmerin, mit Unterstützung einiger Kolleginnen und Kollegen, um die Wohnungssuche für die Menschen aus der Ukraine und um Schul- und Kitaplätze.
Gemeinsam mit GIZEH-Personalleiterin Pia Ulbrich unterstützte sie zudem bei Verwaltungsgängen und organisierte Sprachunterricht. „Mittlerweile leben alle mit ihren Familien in eigenen Wohnungen und haben sich als festangestellte Mitarbeitende in unsere Produktion integriert“, sagt Jacqueline Jung.
Mit den Neuregelungen zur Arbeits- und Fachkräfteeinwanderung vom 1. März 2024 hat die Politik die Zuwanderung für Fachkräfte aus Drittländern erleichtert. Diese können künftig in Deutschland arbeiten, wenn sie mindestens zwei Jahre Berufserfahrung haben sowie über einen im Herkunftsland staatlich anerkannten Berufs- oder Hochschulabschluss verfügen. Sie müssen keine in Deutschland anerkannte Ausbildung vorweisen.
Fachkräfte finden und binden – gerade für kleine und mittlere Unternehmen eine Herausforderung. Mit Kreativität, persönlichem Einsatz, Wir-Gefühl und der Bereitschaft, neue Wege zu gehen, lassen sich Auszubildende und Mitarbeitende finden. Für alles Weitere ist die Politik gefordert.