01.03.2013

Rechte der Anlieger bei Straßenbaumaßnahmen

Straßenbaumaßnahmen sind ebenso wie Kanal- oder Gleisbauarbeiten für die Anlieger häufig mit erheblichen Beeinträchtigungen bei der Nutzung ihrer Grundstücke und Gebäude verbunden. Während dies für private Anlieger zu Unbequemlichkeiten wie schlechterer Erreichbarkeit oder dem vorübergehenden Wegfall von Parkplätzen vor dem Grundstück führen kann, erleiden gewerbliche Anlieger, deren Kunden infolge der Baumaßnahmen fernbleiben, überdies teils empfindliche Umsatzeinbußen.
Dann stellt sich schnell die Frage, ob dem Betrieb ein Anspruch auf Entschädigung gegen den öffentlichen Träger der Baumaßnahme zusteht. Längst nicht jede beeinträchtigende Baumaßnahme der öffentlichen Hand führt allerdings zu einem Anspruch auf Entschädigung. Dieses Merkblatt soll betroffenen Unternehmen einen ersten Überblick geben, unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden kann.

1. Grundsätzliches

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Gewerbebetrieb in seiner umfassenden Erscheinungsform, d. h. in allem, was den Betrieb und seinen wirtschaftlichen Wert ausmacht, durch das Grundgesetz geschützt. Er fällt unter den Schutz des Eigentums nach Artikel 14 GG (Grundgesetz). Dieser Schutz umfasst jedoch nicht den Lagevorteil eines Gewerbebetriebs etwa an einer Straße mit günstiger Verkehrsanbindung, denn dieser Lagevorteil ist von Anfang an mit dem Risiko der Änderung behaftet. Verschlechtert sich eine günstige Lage als Folge von Straßenbaumaßnahmen oder dergleichen, besteht deswegen kein Anspruch auf Entschädigung. Dagegen können Straßenbauarbeiten und vergleichbare Baumaßnahmen der öffentlichen Hand unter anderen Gesichtspunkten zu Entschädigungsansprüchen führen. Dabei steht das Eigentum unter dem Vorbehalt der Sozialbindung nach Artikel 14 Abs. 2 GG. Das bedeutet, dass Verbesserungen oder Veränderungen, die allen zugutekommen, grundsätzlich hingenommen werden müssen.
  • Zu einem Sonderopfer mit der Folge eines Entschädigungsanspruchs kommt es jedoch, wenn die Folgen der Straßenbauarbeiten nach Dauer, Art, Intensität und Auswirkungen so erheblich sind, dass eine entschädigungslose Hinnahme nicht mehr zuzumuten ist, oder
  • wenn die Beeinträchtigungen rechtswidrig oder unverhältnismäßig sind.
Auch § 15 Abs. 1 des Straßengesetzes für Baden-Württemberg (StrG) bestimmt, dass Eigentümern und Besitzern von Grundstücken, die an einer Straße liegen oder von ihr eine Zufahrt oder einen Zugang haben (Straßenanlieger) kein Anspruch darauf zusteht, dass die Straße nicht geändert oder nicht eingezogen wird. (Die zitierten Vorschriften sind unter dem Bürgerservice Landesrecht BW abrufbar.)

2. Was ist überhaupt geschützt?

Wird das Betriebsgrundstück bei den Bauarbeiten durch Mauerrisse, Erdrutsche, Überschwemmungen o. ä. beschädigt, so besteht ein Anspruch auf Schadenersatz wegen Eigentumsverletzung.
Zum geschützten Eigentum zählt auch das so genannte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, wozu allerdings nicht bloße Umsatz- oder Gewinnchancen gehören. Neben der Substanz des Betriebes ist von diesem Schutz der Anliegergebrauch umfasst. Hierzu gehört primär der Kontakt nach außen, der dem Betrieb den Zugang von der Straße her gewährt.
Dabei sind bloße Lagevorteile nicht geschützt, solange der Zugang als solcher nicht beeinträchtigt wird. Dies gilt auch, wenn diese Lagevorteile den Betrieb wirtschaftlich begünstigen und ggf. ausschlaggebend für die Standortwahl waren, sowie selbst in den Fällen, in denen der Betrieb durch den Fortfall dieser Vorteile über kurz oder lang eingestellt werden muss (Beispiel: Fortbleiben der Kundschaft einer Tankstelle nach Bau einer Umgehungsstraße oder Erreichbarkeit nur noch auf Umwegen).
Eine Entschädigungspflicht wegen Beeinträchtigung des Anliegergebrauchs besteht jedoch, wenn der Betrieb durch die Baumaßnahmen endgültig vom öffentlichen Wegenetz abgeschnitten oder der Zugang wesentlich erschwert wird. Wann eine solche erhebliche Beeinträchtigung des Anliegergebrauchs vorliegt, ist nicht für jedes Unternehmen einheitlich zu beantworten, entscheidend ist vielmehr der konkrete Einzelfall. Während etwa ein Reparaturbetrieb für Lkw eine besonders leicht zugängliche und ausreichend breite Einfahrt benötigt, muss ein Restaurant lediglich in dem allgemein üblichen Umfang an das Straßennetz angeschlossen sein. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, ob die jeweiligen Besonderheiten der örtlichen Lage für die konkret ausgeübte gewerbliche Grundstücksnutzung bzw. Betriebsart unverzichtbar sind.
§ 15 Abs. 2 StrG bestimmt hierzu folgendes: Wenn Zufahrten oder Zugänge auf Dauer durch die Änderung oder die Einziehung von Straßen unterbrochen werden oder ihre Benutzung erheblich erschwert wird, hat der Träger der Straßenbaulast einen angemessenen Ersatz zu schaffen oder, soweit dies nicht zumutbar ist, eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Dies gilt aber dann nicht, wenn das Grundstück eine anderweitige ausreichende Verbindung zum öffentlichen Wegenetz besitzt oder wenn die Zufahrten oder Zugänge auf einer widerruflichen Erlaubnis beruhen.
Eine gleichlautende Regelung findet sich für Bundesstraßen und Bundesautobahnen in § 8a Abs. 4 des Bundesfernstraßengesetzes (FStrG). Zu beachten ist, dass bei Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen die Straßenbaulast grundsätzlich beim Bund liegt (vgl. § 5 Abs. 2 FStrG). Dies gilt aber nicht bei Gemeinden mit mehr als 80.000 Einwohnern. Gemeinden mit mehr als 50.000, aber weniger als 80.000 Einwohnern können auf Wunsch Träger der Straßenbaulast werden (vgl. § 5 Abs. 2a FStrG). Die genannten Vorschriften können Sie unter “Gesetze im Internet” abrufen.

3. Was ist noch zumutbar?

Der Betrieb muss es bis zu einer gewissen Opfergrenze hinnehmen, wenn der Zugang oder sonstige Anbindungen vorübergehend beeinträchtigt werden. Das ist z. B. der Fall, wenn aufgrund von Arbeiten am Straßenkörper, die der Verbesserung und Modernisierung dienen, vorübergehend
  • nur noch Fußgänger den Betrieb erreichen können,
  • Autos nur noch in einer Richtung oder überhaupt nicht mehr durch die Straße fahren oder nicht mehr vor dem Betrieb halten dürfen,
  • Lkw infolge von Verkehrsregelungen oder Einengungen der Straße den Betrieb nicht mehr anfahren können,
  • Umwege zu machen sind,
  • die Sicht auf den Betrieb, z. B. durch Bauzäune, beeinträchtigt wird,
  • Schutzgitter am Straßenrand aufgestellt werden, um das Überqueren der Straße durch Fußgänger zu verhindern.
In solchen Fällen müssen Umsatzrückgänge für einige Wochen oder gar Monate entschädigungslos hingenommen werden, sofern die Baumaßnahmen den Betrieb nicht ungewöhnlich schwer treffen oder seine Existenz gefährden. Es gibt keine festen Grenzen für hinzunehmende Bauzeiten oder Größenordnungen eines noch vertretbaren Umsatzeinbruchs. Eine Überschreitung der Opfergrenze kommt jedoch insbesondere im Falle ungewöhnlich schwerer Ertragsrückgänge in Betracht. Maßstab ist dabei der wirtschaftlich gesunde Betrieb, der über die Jahre auch Rücklagen für solche Fälle gebildet hat. Stellen sich bei einem Betrieb bereits nach kurzer Zeit der Baumaßnahmen tiefgreifende Schwierigkeiten ein, so ist dies nach Auffassung der Rechtsprechung ein Indiz dafür, dass der Betrieb schon vorher wirtschaftlich angeschlagen war.
Bei ein- und derselben Baumaßnahme kann es daher vorkommen, dass nicht alle Anlieger gleichermaßen Anspruch auf Entschädigung haben, da etwa kleine Ladengeschäfte eher betroffen sind als große Kaufhäuser, deren Anziehungskraft die Kunden eher Umwege in Kauf nehmen lässt. Ebenso ist eine gesperrte Fahrbahn für eine Tankstelle ungleich schlimmer als für ein Schuhgeschäft, während dieses ein gesperrter Gehweg stärker trifft als eine Unternehmensberatung, die ihre Kunden häufig vor Ort und nicht in den eigenen Büroräumen beraten wird.
§ 15 Abs. 3 StrG trifft hierzu folgende Regelung: Wenn Zufahrten oder Zugänge für längere Zeit durch Straßenarbeiten unterbrochen werden oder ihre Nutzung erheblich erschwert wird, ohne dass von Behelfsmaßnahmen eine wesentliche Entlastung ausgeht, und dadurch die wirtschaftliche Existenz eines anliegenden Betriebs gefährdet wird, so kann dessen Inhaber eine Entschädigung in Höhe des Betrags beanspruchen, der erforderlich ist, um das Fortbestehen des Betriebs bei Anspannung der eigenen Kräfte und unter Berücksichtigung der gegebenen Anpassungsmöglichkeiten zu sichern. Der Anspruch richtet sich gegen den, zu dessen Gunsten die Arbeiten im Straßenbereich erfolgen. Dies gilt aber dann nicht, wenn das Grundstück eine anderweitige ausreichende Verbindung zum öffentlichen Wegenetz besitzt oder wenn die Zufahrten oder Zugänge auf einer widerruflichen Erlaubnis beruhen.
Die entsprechende Regelung für Bundesstraßen finden Sie in § 8a Abs. 5 FStrG.

4. Fälle geringerer Opfergrenzen

Die Grenze für hinzunehmende Opfer ist allerdings geringer, wenn das Bauvorhaben überwiegend überörtliche Zwecke verfolgt bzw. seine Verkehrsbedeutung weit über die von Modernisierungsmaßnahmen an einer einzelnen betroffenen Straße hinausreicht, wie etwa beim U-Bahn-Bau oder der tunnelartigen Absenkung von Bundesstraßen. In solchen Fällen muss die Beeinträchtigung nicht wie sonst ungewöhnlich schwer sein. Es kommt lediglich darauf an, ob die Maßnahme ohne Entschädigung unzumutbar wäre, wobei wiederum der Einzelfall entscheidend ist.

5. Pflichten der Behörden

Im Falle von Beschränkungen und Beeinträchtigungen der Betriebe durch Straßenbaumaßnahmen müssen die Behörden den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Daher sind sie unter anderem gehalten, die Straßenbaumaßnahmen so zu planen und zu gestalten, dass sie die Anlieger nicht unnötig beeinträchtigen.
Beeinträchtigungen bleiben nur dann entschädigungslos, wenn sie nach Art und Dauer nicht über das hinausgehen, was bei ordnungsgemäßer Planung und Durchführung der Arbeiten notwendig und unvermeidbar ist. Bei einer nicht unerheblichen Überschreitung dieser Grenze besteht dagegen ein Anspruch auf Entschädigung. Überflüssige Verzögerungen sind deshalb durch sorgfältige Planung und Durchführung zu vermeiden. Unter diesem Gesichtspunkt kann es auch geboten sein, mehrere Straßenbaumaßnahmen nicht zeitgleich, sondern zeitlich versetzt durchzuführen, wenn ansonsten ein Fernbleiben der Kundschaft in großem Ausmaß zu erwarten wäre. Sofern die Behörden etwa mit nur geringen zusätzlichen öffentlichen Mitteln die Gefahr einer Existenzvernichtung abwenden können, müssen sie dieses auch tun.
Problematisch ist dabei allerdings, dass die Notwendigkeit der konkreten Planung und Durchführung einer Straßenbaumaßnahme für Außenstehende zumeist schwer nachprüfbar ist. Grundsätzlich ist es nämlich Sache des Betroffenen, darzulegen und zu beweisen, dass die angegriffene Baumaßnahme unverhältnismäßig ist. Dies zwingt den Anlieger jedoch nicht dazu, ständig die Baustelle vor dem eigenen Grundstück zu beobachten und eine Aufstellung des zeitlichen Ablaufs der Bauarbeiten vorzulegen (BGH, Urteil vom 06.11.1997, Az.: III ZR 198/96). Ist der von der Behörde für die Bauarbeiten veranschlagte Zeitplan wesentlich überschritten worden, so gilt dies als Indiz dafür, dass die Arbeiten unverhältnismäßig lange gedauert haben. Hier kehrt sich die Darlegungs- und Beweislast um: Die Behörde steht in der Pflicht darzulegen, welche Ursachen zur Verzögerung geführt haben.
Grundsätzlich sollten die Behörden betroffene Anlieger frühzeitig von den Plänen informieren und auch die beabsichtigten Baumaßnahmen zeitlich und örtlich präzisieren. Eine Verpflichtung dazu besteht nach der Rechtsprechung jedoch nur bei umfangreicheren Beschränkungen: Die Pflicht der Straßenbaubehörde, vor Beginn von Straßenbauarbeiten mit Verkehrsbeschränkungen die betroffenen Anlieger anzuhören und auf ihre Belange bei ihren Plänen Rücksicht zu nehmen, gilt nur bei umfangreichen Arbeiten wie etwa beim U-Bahn-Bau, nicht aber bei Kanal- und Rohrverlegungsarbeiten, durch die der Straßenverkehr lediglich eingeschränkt wird, und bei denen die Behinderungsdauer relativ kurz ist. In diesen Fällen reicht eine Ankündigung der Arbeiten in der örtlichen Presse aus (OLG Koblenz, Urteil vom 07.06.2000, Az.: 1 U 964/97).

6. Höhe der Entschädigung, Wegfall des Anspruchs

Die Höhe der Entschädigung kann hinter der eines Schadensersatzanspruchs zurückbleiben, da im Wege der Entschädigung kein voller Ersatz, sondern nur ein angemessener Ausgleich erfolgen soll.
Bei vorübergehenden Eingriffen in den Gewerbebetrieb ist die Minderung der Erträge maßgebend, höchstens aber der Wert des Betriebes. Dabei kommt es auf den gesamten Betrieb an, nicht nur auf den Ertrag einer einzelnen beeinträchtigten Filiale. Nicht zu berücksichtigen sind bloße Erwerbsmöglichkeiten, Gewinnaussichten, Hoffnungen oder Chancen.
Gelegentlich erlangt ein Betrieb durch die Straßenbaumaßnahmen auch einen Vorteil, z. B. in Form einer verbesserten Geschäftslage innerhalb einer neu gestalteten Fußgängerzone oder neu geschaffener Parkplätze. Solche Vorteile führen nur dann zu einer Minderung der Entschädigung, wenn lediglich dieser Betrieb und nicht auch andere Anlieger den betreffenden Vorteil erlangen.
Zu beachten ist auch, dass ein Anspruch auf Entschädigung ausscheidet, wenn der Betroffene es schuldhaft unterlassen hat, einen Eingriff in seinen Gewerbebetrieb mit den zulässigen Rechtsmitteln abzuwehren (OLG Hamm, Urteil vom 30.06.2003, Az.: 22 U 173/02). So verliert ein betroffener Straßenanlieger jeglichen Anspruch auf Entschädigung und möglichen Schadensersatz, wenn er es unterlassen hat, Rechtsmittel gegen die Sperrung einer Straße einzulegen (Brandenburgisches OLG, Urteil vom 10.02.1998, Az.: 2 U 193/96).
Wird aber eine Straßenbaumaßnahme aus für den Betrieb nicht erkennbaren Gründen unnötig verzögert und dauert die Beeinträchtigung länger als ursprünglich bekannt gegeben wurde oder wurde die Straßenbaumaßnahme notwendig, weil beispielsweise Rohrleitungen erneuert werden müssen, dann muss der Betrieb keine Rechtsmittel einlegen, sondern kann direkt eine Entschädigung verlangen.

7. Rechtsprechungs-Auswahl

Die Rechtsprechung zur Entschädigung bei Straßenbauarbeiten ist vielfältig, weshalb die nachfolgend kurz zitierten oder auszugsweise wiedergegebenen Entscheidungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Sie sollen betroffenen Unternehmern lediglich einen ersten Überblick geben:
  • Der Anlieger muss die Behinderungen durch Ausbesserungs- und Verbesserungsarbeiten an der Straße grundsätzlich entschädigungslos dulden. Die Behörde muss jedoch bei solchen Arbeiten den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten und jede überflüssige Verzögerung vermeiden. Die Verkehrsbehinderungen durch derartige Straßenarbeiten bleiben nur dann in den entschädigungslos hinzunehmenden Grenzen, wenn sie nach Art und Dauer nicht über das hinausgehen, was bei ordnungsgemäßer Planung und Durchführung der Arbeiten mit möglichen und zumutbaren Mitteln sachlicher und persönlicher Art notwendig ist. Bei einer nicht unerheblichen Überschreitung dieser Grenze besteht ein Anspruch auf Entschädigung wegen rechtswidrigen enteignungsgleichen Eingriffs. Zu den Arbeiten an der Straße, deren vorübergehende Folgen der Anlieger bei sachgemäßer Durchführung grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen hat, gehören auch die Arbeiten an Versorgungsleitungen und ähnlichen Anlagen, die üblicherweise im Interesse der Allgemeinheit mit der Straße verbunden oder im Straßenkörper untergebracht werden. Das gleiche gilt für Behinderungen durch Arbeiten, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, die Straße den veränderten Verkehrsbedürfnissen anzupassen (BGH, Urteil vom 6.11.1997, Az.: III ZR 198/96).
  • Auch bei ordnungsgemäß durchgeführten Bauarbeiten zur Modernisierung und Anpassung der Anliegerstraße an gestiegene Verkehrsbedürfnisse kann die Grenze von der entschädigungslos hinzunehmenden Sozialbindung des Anlieger-Eigentums zum entschädigungspflichtigen enteignenden Eingriff überschritten werden, wenn die Arbeiten nach Art und Dauer sich besonders einschneidend, gar existenzbedrohend, auf den Anliegergewerbebetrieb ausgewirkt haben (BGH, Beschluss vom 27.11.1986, Az.: III ZR 245/85).
  • Auch wenn der Zugang zum Ladenlokal durch Bauarbeiten erheblich erschwert ist, muss es jeder Anlieger hinnehmen, dass die Straße, von der er Nutzen ziehen kann, entsprechend den örtlichen Bedürfnissen erneuert und umgestaltet wird (OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.11.1997, Az.: 24 U 261/96).
  • Aus dem Fernstraßengesetz lässt sich kein Entschädigungsanspruch für Umsatzeinbußen ableiten, die aus der Verlagerung von Verkehrsströmen als Folge einer Veränderung des Wegenetzes herrühren (BVerwG, Beschluss vom 21.10.2003, Az.: 4 B 93/03).
  • Bauarbeiten an Straßen können rechtswidrig sein, wenn die Arbeiten nach Art und/oder Dauer über dasjenige hinausgehen, was bei ordnungsgemäßer Planung und Durchführung mit zumutbaren Mitteln möglich gewesen wäre. Die Vollsperrung einer Bundesstraße über einen Zeitraum von 17 Monaten ist unverhältnismäßig und deshalb rechtswidrig, weil in nennenswertem Umfang mit Straßenbauarbeiten erst lange nach der Vollsperrung begonnen wurde und weil ein Anliegerverkehr wegen der fortbestehenden Befahrbarkeit der Straße möglich gewesen wäre (Brandenburgisches OLG, Urteil vom 10.02.1998, Az.: 2 U 193/96).
  • Die Entschädigung bei einer Enteignung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Betroffenen zu bestimmen. Sie muss angemessen sein und soll grundsätzlich den eingetretenen Vermögensverlust ausgleichen. Trotz dieser Ausgleichsfunktion ist die Enteignungsentschädigung kein Schadensersatz, so dass der Betroffene nicht verlangen kann, so gestellt zu werden, wie wenn der Eingriff nicht vorgenommen worden wäre (vgl. BGH, Urteil vom 20.12.1971, III ZR 79/69, VersR 1972, 537, zitiert nach juris). Anders als der Schadensersatz bestimmt sich die Enteignungsentschädigung nach der durch den Eingriff herbeigeführten Wertänderung des betroffenen Vermögens. Der Geldwert, den der Betroffene anstelle des entzogenen Sachwertes erhalten soll, ist deshalb an dem Verkehrswert der entzogenen „Substanz“ und nicht an einer hypothetischen Vermögensentwicklung auszurichten. Bewirkt beispielsweise der Eingriff in einen Gewerbebetrieb dessen endgültige Schließung, dann muss der Wert des Betriebes ermittelt und dieser Betrag als Entschädigung geleistet werden (vgl. BGH a. a. O.). Die hypothetische Weiterentwicklung darf nicht berücksichtigt werden. Es wird nur dasjenige entschädigt, was im Augenblick des Zugriffs vorhanden ist und genommen wird (Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 12.11.2009, Az.: 11 U 152/08, zitiert nach juris).
  • In seinem Urteil vom 17.12.2004 hat der VGH Baden-Württemberg (Az.: 5 S 1914/03) u.a. folgendes ausgeführt: Eine Existenzgefährdung eines Betriebs im Sinne von § 15 Abs. 3 StrG liegt vor, wenn langfristig keine volle Kostendeckung erreicht wird. Zu den hierbei zu berücksichtigenden Kosten gehört auch der Unternehmerlohn.

    Ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 3 StrG kann sich nur aus Arbeiten an der Straße ergeben, die einem Betrieb eine Zufahrt bzw. einen Zugang zum öffentlichen Wegenetz unmittelbar vermittelt, nicht aber aus Arbeiten an anderen Straßen.

    § 15 Abs. 3 StrG begründet keinen Entschädigungsanspruch für allgemein durch Straßenarbeiten entstandene ungünstige örtliche Verhältnisse wie etwa für einen durch die Arbeiten bedingten Mangel an öffentlichen Parkplätzen in unmittelbarer Betriebsnähe. Dies ergibt sich aus Folgendem: § 15 StrG regelt allein die Rechtsstellung des Anliegers an einer bestimmten Straße, soweit ihm diese die Zufahrt bzw. den Zugang zum allgemeinen Straßennetz vermittelt. Der von der Vorschrift geschützte „Kontakt nach außen“ bleibt gewahrt, wenn eine genügende Verbindung mit dem unmittelbar vor dem Anliegergrundstück gelegenen Straßenteil und dessen Anbindung an das öffentliche Wegenetz erhalten bleibt. Das Vertrauen in den unveränderten Fortbestand einer bestimmten Zufahrt oder eines bestimmten Zugangs ist nicht geschützt (BGH, Urt. v. 10.11.1977, Az.: III ZR 157/75 ). § 15 StrG gewährleistet wie § 8a FStrG nicht, dass ein Grundstück ohne jegliche Einschränkung angefahren werden kann. Die Vorschrift garantiert nicht eine optimale, sondern nur eine nach den jeweiligen Umständen zumutbare Erreichbarkeit. Darüber hinaus vermittelt Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG einem Grundstückseigentümer keine weitergehenden Rechte (BVerwG, Beschl. v. 11.05.1999, Az.: 4 VR 7.99). Im Übrigen genießt ein Gewerbebetrieb den Schutz des Art. 14 GG nur insoweit, wie der Unternehmer Inhaber einer Rechtsstellung ist, das heißt soweit er gegen die Beeinträchtigung seines eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs rechtlich abgesichert ist. Objektivrechtlich nicht geschützte Erwerbsmöglichkeiten, Gewinnaussichten, Hoffnungen oder Chancen fallen nicht darunter. Der unveränderte Fortbestand einer bestimmten Verbindung einer Anliegerstraße mit dem öffentlichen Wegenetz bildet daher regelmäßig keine in den Schutz des Anliegers einzubeziehende Rechtsposition (BVerwG, Beschl. v. 21.10.2003, Az.: 4 B 93.03 und Bayer. VGH, Urt. v. 24.06.2003, Az.: 8 A 02.40090 zum nicht gegebenen Anspruch auf Entschädigung bei Umsatzeinbußen des Inhabers einer Tankstelle infolge Untertunnelung einer Bundesstraße; BVerwG, Urt. v. 28.01.2004, Az.: 9 A 27.03; vgl. auch OLG Koblenz, Urt. v. 07.06.2000, Az.: 1 U 964/97). Eine für den Betroffenen günstigere Handhabung der Anspruchsvoraussetzungen des § 15 Abs. 3 StrG insoweit ist auch nicht in den Fällen geboten, in denen die Bedeutung eines Vorhabens über die einzelne Straße weit hinausreicht. In solchen Fällen hat die Rechtsprechung lediglich die im vorliegenden Fall ohnehin überschrittene „Opfergrenze“ niedriger angesetzt und darauf abgestellt, ob die Folgen des Eingriffs für den Anlieger nach Dauer, Intensität und Auswirkung so erheblich sind, dass ihm eine entschädigungslose Hinnahme nicht mehr zuzumuten ist (vgl. BGH, Urt. v. 07.07.1980 – III ZR 32/79 – a. a. O. zur Untertunnelung eines Platzes mit einer Straße vergleichbar dem Bau einer U-Bahn).

8. Exkurs: Folgen für Mietverhältnisse

Für die von Straßenbaumaßnahmen betroffenen Unternehmen, die ihre Geschäftsräume gemietet haben, stellt sich bei erheblichen Beeinträchtigungen die Frage, ob der Mietvertrag gekündigt oder zumindest die Miete gemindert werden kann.
Da eine unberechtigte Mietminderung den Mieter teuer zu stehen kommen kann, sollen hier zunächst die allgemeinen Voraussetzungen für die Geltendmachung von Mängeln des Mietobjekts erläutert werden: Der Mieter ist berechtigt, die Zahlung des Mietzinses zu verweigern oder den Mietzins der Höhe nach zu mindern, wenn die Mieträume zu Beginn des Mietverhältnisses oder danach mit einem Mangel behaftet sind, der die vertragsmäßige Nutzung aufhebt oder beeinträchtigt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob den Vermieter ein Verschulden an der Entstehung des Fehlers trifft oder nicht. Eine nur unerhebliche Beeinträchtigung berechtigt nicht zur Mietzinsminderung. Kennt der Mieter bei Vertragsschluss den Mangel der Mietsache oder ist ihm der Mangel infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, stehen ihm die Minderungsrechte nur zu, wenn der Vermieter den Mangel arglistig verschwiegen hat. Nimmt der Mieter eine mangelhafte Sache an, obwohl er den Mangel kennt, so kann er die Minderung nur geltend machen, wenn er sich seine Rechte bei der Annahme vorbehält. Weitere Voraussetzung einer Mietminderung ist, dass der Mieter dem Vermieter den Mangel unverzüglich anzeigt.
Vor einer Minderung der Miete ist dringend zu empfehlen, sich zunächst den Mietvertrag aufmerksam durchzulesen und sich anschließend im Einzelfall beraten zu lassen!
Denn beide Parteien können das Mietminderungsrecht anders als bei der Wohnraummiete vertraglich ausschließen. Das bedeutet, dass der Mieter den Mietzins nicht einseitig mindern kann, auch wenn der Mietgegenstand nach seiner Auffassung gravierende Mängel aufweist. Der Mieter muss die Mietminderung in diesem Fall vor Gericht durchsetzen.
Die Rechtsprechung zur Mietminderung infolge von Straßenbauarbeiten ist sehr einzelfallbezogen, in der Grundtendenz jedoch vermieterfreundlich. Es wird davon ausgegangen, dass ein Unternehmen bei einem längerfristigen Mietvertrag mit gelegentlichen Straßenbaumaßnahmen rechnen muss, ohne deswegen die Miete mindern zu können. Eine Mietminderung kann das Unternehmen allenfalls dann vornehmen, wenn es sich um langandauernde Straßenbaumaßnahmen handelt, die mit erheblichen Folgen für den Geschäftsbetrieb verbunden sind. Folgen, die im Einzelfall zur Mietminderung berechtigen können, sind z. B. der stark erschwerte Zugang zum Gebäude, oder wenn der Geschäftsbetrieb überhaupt nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Wird aber infolge der Straßenbaumaßnahme die Verkehrsführung geändert und tritt deshalb eine erhöhte Lärmbelästigung auf, dann ist dies noch kein Grund die Miete zu mindern. Etwas anderes kann u. U. gelten, wenn der Vermieter bzw. Verpächter von den Planungen für die Straßenbaumaßnahmen wusste, aber dies dem Mieter vor Vertragsabschluss nicht mitteilte oder wenn die Baumaßnahmen vom Vermieter/Verpächter selbst in Auftrag gegeben worden sind. Mit gelegentlichen Straßenbaumaßnahmen begrenzten Ausmaßes in der Nähe eines innerstädtischen Ladenlokals muss der Mieter eines langfristigen Mietvertrages aber von vornherein rechnen. Er kann deswegen keine Mietminderung geltend machen.
Sprechen Sie zunächst also unbedingt mit Ihrem Vermieter und versuchen Sie, sich mit ihm darüber zu einigen, ob, in welcher Höhe und wie lange der Mietzins angesichts der Straßenbauarbeiten gekürzt werden kann. Treffen Sie diese Vereinbarung aus Beweisgründen unbedingt schriftlich als Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag.   
Hier finden Sie einige Beispiele aus der Rechtsprechung:
Die Zugangsbehinderung zu einem Ladenlokal infolge Baumaßnahmen stellt einen Mangel der Mietsache dar, auch wenn sie nicht durch vom Vermieter beeinflussbare Baumaßnahmen hervorgerufen wird (hier: völlige Zugangsversperrung wegen Bau einer U-Bahn-Trasse) (KG Berlin vom 12.11.2007, Az.: 8 U 194/06).
Mit gelegentlichen Straßenbaumaßnahmen begrenzten Ausmaßes in der Nähe eines innerstädtischen Ladenlokals muss der Mieter eines langfristigen Mietvertrages von vornherein rechnen (OLG Hamburg vom 06.12.2000, Az.: 4 U 121/00).
Der Mieter eines Geschäftslokals ist nicht deshalb zur Kündigung des Mietvertrages berechtigt, weil die Zugänglichkeit seines Geschäfts durch Straßenbauarbeiten beeinträchtigt wird. Diese Beeinträchtigung stellt keinen Mangel der Mietsache dar, denn das Risiko, dass sich auf Grund welcher Umstände auch immer (allgemeiner Attraktivitätsverlust des Gebiets, Ansiedlung marktstarker Konkurrenten, Verkehrsmaßnahmen) die Kunden verlaufen, trägt alleine der Mieter (OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.11.1997, Az.: 24 U 261/ 96).
War ein Ladenlokal an einem zentralen Platz in einer Großstadt vermietet worden und beginnen später (nach etwa einem Jahr) umfangreiche Bauarbeiten auf dem Platz und damit verbundene Erdaushubarbeiten (wegen des Baus einer Tiefgarage) in unmittelbarer Nähe des Ladenlokals, sodass über Jahre hinweg der Zugang zu dem Ladenlokal nur über Bretterstege möglich ist, berechtigt dieser Mangel den Mieter zur fristlosen Kündigung des Gewerberaummietvertrages (OLG Dresden, Urteil vom 18.12.1998, Az.: 5 U 1774/98).  

9. IHK-Tipp: Leitfaden Baustellenmarketing

Die Handelsreferenten der zwölf IHKs in Baden-Württemberg haben zusammen mit der CIMA Beratung und Management GmbH einen Leitfaden zum Thema Baustellenmarketing herausgegeben. Zielgruppen sind Handels- und Gewerbevereine, Kommunen, Wirtschaftsförderer und Stadtmarketing-Verantwortliche.
Größere öffentliche Baumaßnahmen in Geschäftslagen stellen alle Beteiligten vor besondere Herausforderungen. Denn die Geschäftsleute vor Ort verzeichnen in aller Regel Umsatzeinbußen, wenn ihre Ladenlokale über längere Zeit nur noch eingeschränkt zugänglich sind oder sich die Kunden durch Lärm- und Abgasemissionen belästigt fühlen. Gut meinende Worte der Stadtväter über beste Aussichten und Rahmenbedingungen nach Beendigung der Baustelle bringen fehlende Kunden nicht zurück, wenn nicht bereits vor der Bauphase Gegenmaßnahmen ergriffen oder entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Baustellenmarketing kann diese unausweichlichen Nachteile zwar nicht völlig aus der Welt schaffen, trägt aber entscheidend dazu bei, schlimme Fehlentwicklungen in betroffenen Unternehmen zu vermeiden oder zumindest abzumildern. Die aufgezeigten Best-Practice Beispiele sollen motivierend und beispielgebend sein und die Angst vor notwendigen Modernisierungsmaßnahmen nehmen. Sie sollen helfen, diese praktischen Erkenntnisse auch für die positive Entwicklung der Innenstadt einzusetzen.