Mentale Gesundheit fängt in der Ausbildung an

Prävention. Das Wort fällt im Gespräch mit Christa Richard über mentale Gesundheit am Arbeitsplatz oft. Und das zurecht, wie die Betriebswirtin und Heilpraktikerin für Psychotherapie aus Gelnhausen mehrfach logisch ausführt. Der Prävention psychischer Probleme steht im schlimmsten Fall ein langer Genesungsprozess mit vielen Unwägbarkeiten und letztlich auch aus wirtschaftlicher Sicht finanziellen Kosten entgegen. Daher sagt Christa Richard: „Genauso wie Unternehmen Maschinen oder den Fuhrpark pflegen, sollte auch die Ressource Mensch gepflegt werden.“
Dass ein seelisch und körperlich gesunder Mitarbeiter am leistungsfähigsten ist, ist längst kein Geheimnis mehr. „Das spiegelt sich knallhart in den Wirtschaftszahlen wider. Ein Mitarbeiter, der aufgrund einer psychischen Belastung ausfällt, kostet das Unternehmen Geld. Zudem ist schwer zu sagen, ob und wann der Mitarbeiter an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann. Also lohnt es sich aus Arbeitgebersicht, im Vorfeld in die mentale Gesundheit zu investieren“, sagt Christa Richard und verweist auf eine weitere Statistik: Die Zahl derer, die aufgrund psychischer Belastung früher in Rente gehen, steige seit Jahren stetig an. Das beweisen auch die Zahlen der Krankenkasse DAK für 2024: „Die Mehrzahl der Fehltage in Hessen gingen 2024 auf das Konto von drei Erkrankungsgruppen: Atemwegserkrankungen, Muskel-Skelett-Probleme und psychische Erkrankungen“, heißt es in einer Mitteilung. Dabei verzeichnet die DAK bei den psychischen Erkrankungen wie Depressionen einen Anstieg um 6,6 Prozent (348 Fehltage je 100 Versicherte).
Am effektivsten ist es, wenn bereits ab der Ausbildung die mentale Gesundheit des neuen Mitarbeiters eine Rolle spielt. Nach Christa Richard in Berufsschule und Betrieb. Genau genommen gehöre das Thema sogar schon in die Schulen, denn rund 20 Prozent der Schüler in der Bundesrepublik zeigen Verhaltensauffälligkeiten oder Anzeichen einer psychischen Erkrankung. Die hohe Zahl der jungen Menschen, die bereits mit einer Erkrankung ihren beruflichen oder weiteren schulischen Weg beschreiten, ist ein Grund mehr, bereits in der Ausbildung das Thema mentale Gesundheit zu forcieren. Dies gelinge am besten durch das positive Vorbild der Ausbilder und Führungskräfte, wie Christa Richard sagt.
Das bedeutet konkret, „dass Pausen eingehalten und klare Strukturen geschaffen werden.“ Damit werde schon zu Beginn der Ausbildung vermittelt, dass freie Zeit der Regeneration dient. Außerdem sei besonders eine klare Kommunikation, die sich auch auf die Erwartungshaltung erstreckt, wichtig. Um effektiv und so stressfrei wie möglich arbeiten zu können, bräuchten Auszubildende klar definierte Aufgaben und die nötigen Mittel, um diese auch zufriedenstellend lösen zu können. Gleichzeitig braucht es ein Zusammenspiel aus genug Freiraum, um sich entfalten zu können, und ausreichend Führung, die für die nötige Sicherheit sorgt. Dies seien Grundlagen, die selbstredend für die gesamte Belegschaft Gültigkeit haben.
Eine Rolle spiele auch das soziale Umfeld im Unternehmen. „Welche Atmosphäre herrscht am Arbeitsplatz? Werden beispielsweise Witze auf Kosten eines einzelnen Mitarbeiters gemacht? Wie geht das Unternehmen mit Konflikten um, deren Entstehung normal und in jedem Miteinander zu erwarten sind? Das sind Fragen, die das soziale Umfeld betreffen“, erklärt der Coach aus Gelnhausen. Denn besonders in diesem Bereich hat der Arbeitgeber einen großen Einfluss. Aber auch ein gesundes Betriebsklima ist letztlich keine Garantie für mentale Gesundheit der Belegschaft: „Jeder durchlebt in seinem Leben mal eine psychische Krise.“ Wichtig sei daher, dass Ausbilder offen für Warnzeichen sind – was natürlich auch für Führungskräfte gilt. „Dabei sollte man auf Abweichungen achten. Ist der Azubi bisher immer pünktlich gewesen und kommt ab einem bestimmten Tag regelmäßig zu spät, dann kann das ein Anzeichen sein. Auch wenn sich jemand auf einmal stark zurückzieht, sehr still oder aggressiv wird, sehr müde oder unkonzentriert ist, könnte das ein Hinweis sein“, erklärt Christa Richard.
Ist einem Ausbilder oder Vorgesetzten ein verändertes Verhalten aufgefallen, sollte das Gespräch gesucht werden – wohlwollend, fürsorglich in einem vertrauensvollen Rahmen unter vier Augen, wie Christa Richard betont. Nicht zu urteilen und weiterhin ansprechbar bleiben, seien weitere unterstützende Maßnahmen. Außerdem kann das Unternehmen aktiv Hilfe anbieten: „Eine gut aufgestellte Personalabteilung hat ein Verzeichnis von unterschiedlichen Anlaufstellen – der Main-Kinzig-Kreis ist diesbezüglich gut aufgestellt. Die Ursache für die Probleme können allerdings auch im Privaten liegen. Liegt es an der Arbeit, sollte das Problem erkundet werden.“
Um frühzeitig Hinweise zu erhalten, sind „Gefährdungsbeurteilungen für psychische Belastungen am Arbeitsplatz“ hilfreich, die übrigens vom Gesetzgeber gefordert sind. Dies kann in Form von Fragebogenaktionen in der Belegschaft, Workshops oder Interviews mit den Mitarbeitern erfolgen. Denn: „Psychische Erkrankungen können jeden treffen, auch Top-Manager sind davor nicht gefeit. Und man darf nicht vergessen, dass sich psychische Probleme auch auf den Körper auswirken können.“ Daher plädiert Christa Richard dafür, den Grundstein für ein erfülltes, gesundes Arbeitsleben bereits in der Ausbildung zu legen – durch Prävention.
Autorin: Julia Meiss
Veröffentlichung: Juni 2025