Verfall des gesetzlichen Urlaubs kann arbeitsvertraglich ausgeschlossen werden

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 15. Juli 2025 entschieden, dass der gesetzliche Mindesturlaub auch bei langjähriger Krankheit nicht zwingend verfällt – wenn der Arbeitsvertrag den Verfall ausdrücklich ausschließt. Damit wird deutlich: Vertragsautonomie schlägt kollektivrechtliche Regelungen, auch wenn diese von Kirchen oder kirchlichen Arbeitgebern stammen.
Im konkreten Fall war eine Pflegekraft von 2010 bis 2023 bei einem kirchlichen Träger beschäftigt. Der Arbeitsvertrag aus dem Jahr 2009 enthielt eine eigenständige Regelung zum Urlaubsanspruch. Zwar sahen die später geltenden Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie (AVR-DD) einen Verfall von Urlaub nach einer bestimmten Frist vor. Doch die Parteien hatten im Vertrag vereinbart, dass der gesetzliche Mindesturlaub bei langandauernder Krankheit nicht verfällt.
Die Arbeitnehmerin war von Juli 2015 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Juni 2023 ununterbrochen arbeitsunfähig. Nach ihrem Ausscheiden verlangte sie die Abgeltung des nicht genommenen Urlaubs aus den Jahren 2016 bis 2021 – insgesamt 16.908 Euro. Der Arbeitgeber verweigerte die Zahlung mit dem Hinweis auf die AVR-DD und die von der Rechtsprechung entwickelte 15-Monatsfrist. Danach erlöschen Urlaubsansprüche spätestens 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres.
Das Arbeitsgericht wies die Klage zunächst ab, das Landesarbeitsgericht gab ihr statt. Das Bundesarbeitsgericht bestätigte nun die Entscheidung der zweiten Instanz und wies die Revision des Arbeitgebers zurück.
Die Richter machten deutlich: Auch bei durchgehender Krankheit entsteht der Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub. Arbeitnehmer, die krankheitsbedingt nicht arbeiten können, sind insoweit denjenigen gleichgestellt, die ihre Arbeitsleistung tatsächlich erbringen. Entscheidend ist aber, ob und wann der Anspruch wieder erlischt. Nach ständiger Rechtsprechung verfällt der Urlaub bei Langzeiterkrankung grundsätzlich 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres. Diese Grenze gilt auch dann, wenn eine kollektivrechtliche Regelung – wie die AVR-DD – einen kürzeren Übertragungszeitraum vorsieht. Soweit sie den gesetzlichen Mindesturlaub betreffen, sind solche Regelungen teilweise nichtig, weil sie gegen Paragraf 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit Paragraf 13 Absatz 1 Bundesurlaubsgesetz (BurlG) verstoßen.
Im vorliegenden Fall war jedoch etwas anderes vereinbart: Der Arbeitsvertrag enthielt eine eigenständige Klausel, die den Verfall des gesetzlichen Urlaubs bei Krankheit ausschloss. Nach Auffassung des BAG ist eine solche Regelung wirksam und geht den AVR-DD vor. Das Gericht stellte ausdrücklich klar, dass kirchliche Arbeitgeber, sobald sie sich der privatautonomen Vertragsgestaltung bedienen, den zwingenden Regeln des staatlichen Arbeitsrechts unterliegen. Ihr Selbstverwaltungsrecht schütze sie nicht vor den Folgen ihrer eigenen Gestaltungsspielräume.
Damit musste der Arbeitgeber den gesetzlichen Mindesturlaub der Klägerin aus sechs Jahren mit einem Betrag von rund 17.000 Euro abgelten.
BAG, Urteil vom 15. Juli 2025 Az.: 9 AZR 198/24