Bürokratie abbauen jetzt!
Debatte: So bleiben wir hinter unseren Erwartungen zurück!
„Wettbewerbsfähigkeit stärken!“, unter diese Leitidee hat die IHK Halle-Dessau ihre Arbeit im Jahr 2025 gestellt. Eine der maßgeblichen Ursachen dafür, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gegenwärtig leidet, ist die ausufernde Bürokratie. Wo die Unternehmen der Schuh drückt, welche Folgen das hat und was sich ändern muss, darüber diskutieren Anja Twietmeyer und Michael Münch mit IHK-Präsident Sascha Gläßer.
Sascha Gläßer: Wenn ich mit Unternehmern über die aktuell verlorene Wettbewerbsfähigkeit diskutiere, sind
die Ausgangspunkte je nach Betroffenheit sehr unterschiedlich. Hohe Energiepreise und Unternehmenssteuern, bröckelnde öffentliche Infrastruktur, wachsender Arbeits- und Fachkräftemangel, hohe Arbeitskosten oder schleppende Digitalisierung. Meist folgt der sachlichen Analyse ein Befund und Vorschläge, was anders zu machen wäre. Wenn das Wort „Bürokratie“ fällt, sind allerdings viele oft gleich auf der Palme. Wie geht es Ihnen, Frau Twietmeyer und Herr Münch?
Sascha Gläßer ist Vorstand der Volksbank Halle eG und Präsident der IHK Halle-Dessau.
Anja Twietmeyer: Ich lasse mich nicht so schnell auf die Palme
treiben. Was unsere Emotionen bei dem Thema aber mitunter zum Überschäumen bringt, ist aus meiner Sicht, dass sie sich nicht so greifen lässt wie eines der von Ihnen genannten Themen. Sie ist ein Symptom für unsere grundsätzlichen Probleme, denen wir überall begegnen und die miteinander zusammenhängen. Ich mache die Kette mal auf: Überbordende Bürokratie trifft auf mangelnde Arbeitsfreude und Verantwortung für die eigene Arbeit in allen Bereichen der Gesellschaft – das Ergebnis sind dann viele der genannten Hemmnisse. Wir halten uns an der Schaufel fest und warten auf schriftliche Arbeitsanweisungen, statt die Arbeit sinnvoll zu organisieren. Genehmigungen verlangen immer mehr Gutachten, für die es immer weniger Fachfirmen gibt. Wir verlassen den Arbeitsplatz, wenn die Zeit (die übrigens immer kürzer wird) um und nicht, wenn die Arbeit getan und das angestrebte Ergebnis erreicht ist. Gleichzeitig jammern wir dann aber über bröckelnde Infrastruktur. Wir treffen bundesweit auf wenig leistungsfähige Verwaltungen, deren Digitalisierungsgrad erschütternd ist.
Anja Twietmeyer ist Prokuristin der Saalemühle Alsleben GmbH und Vizepräsidentin der IHK Halle-Dessau.
Bürokratie verselbstständigt sich zunehmend
Michael Münch: Neben diesen grundsätzlichen Problemen kommen ganz konkrete Konsequenzen täglich im Betrieb an. Zwei aktuelle Beispiele: Beim
Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hieß es, kleinere und mittlere Unternehmen seien davon gar nicht betroffen. Das ist weltfremd. Denn natürlich müssen auch wir gegenüber großen Geschäftspartnern garantieren, alle Regularien daraus zu erfüllen. Dass die neue Bundesregierung das jetzt alles streichen will, ist vernünftig. Das Problem ist aber damit nicht vom Tisch. Jetzt plant die EU-Kommission die Regulierung von „PFAS“, den sogenannten Ewigkeitschemikalien. Natürlich sind wir alle für den Schutz menschlicher Gesundheit und Umwelt. Das Beispiel zeigt aber, wie sich Bürokratie inzwischen verselbstständigt. Obwohl dazu noch keine wirklich belastbaren Details vorliegen, beginnen Großunternehmen bereits, sich darauf einzustellen und sich abzusichern. Das führt dazu, dass der Mittelstand nachzieht, um dann nicht überrollt zu werden. Wohlgemerkt zu einem Zeitpunkt, wo weder Details noch Wissen oder Fachleute dafür vorhanden sind. Welches Echo kommt denn bei Ihnen als IHK-Präsident an, Herr Gläßer?
Michael Münch ist CEO/ geschäftsführender Geschäftsführer der Sonotec GmbH Halle (Saale) und Mitglied im Ausschuss für Industrie, Agrar- und Baugewerbe sowie Vorsitzender des Arbeitskreises Innovation und Technologietransfer der IHK Halle-Dessau.
Sascha Gläßer: Ein ähnliches. Übrigens auch aus dem eigenen Unternehmen. Das Bankgewebe ist ja besonders stark reguliert. Und mit den Regularien kommen auch die Berichtspflichten. Was Unternehmen dabei vor allem ärgert, ist, wenn Regelungen nicht nur Wachstum bremsen, sondern auch realitätsfern sind, wie Sie es beschrieben haben. Dazu kommen die Kosten. Der Normenkontrollrat hat den sogenannten laufenden Erfüllungsaufwand allein auf Bundesebene auf rund 27 Mrd. Euro 2024 beziffert – da zählen Lasten von EU-Ebene oder aufgrund von Regularien des Bundeslandes noch gar nicht mit.
Michael Münch: Ich frage mich, wie sich das Thema auf eine Sachebene zurückholen lässt, um wirklich etwas zu ändern.
Bürokratieabbau: klare Ziele, messbare Fortschritte!
Sascha Gläßer: Aus meiner Sicht geht es jetzt vor allem um drei Punkte:
- Belastungen müssen konkret benannt, quantifiziert und priorisiert werden. Dabei ist der Fokus auf betroffene Branchen und unterschiedliche Unternehmensgrößen zu legen.
- Dafür brauchen wir einen sachlichen und vor allem lösungsorientierten Dialog zwischen Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Als Unternehmer müssen wir dafür das, was uns im Alltag an Bürokratie belastet, systematisch erfassen und bewerten. Je konkreter, desto anschaulicher werden die Folgen sichtbar.
- Der daraus folgende Bürokratieabbau muss an klaren Zielen und messbaren Fortschritten überprüfbar sein. Das setzt eine starke Beteiligung der Wirtschaft an Gesetzesfolgeabschätzungen und Praxischecks von Vorschriften voraus. Im Land werden wir hier in der IHK selbst aktiv werden, im Bund über die DIHK.
Wo würden Sie beide aus der betrieblichen Praxis dabei Akzente setzen?
Schnelligkeit, Planbarkeit, Kulturwandel
Anja Twietmeyer: Eine Folge des Bürokratieabbaus muss es sein, Verfahren zu beschleunigen. Wir alle sind froh, in einem Rechtsstaat zu leben, aber der stranguliert sich zunehmend selbst. Ein aktuelles Beispiel: Für die Betriebserweiterung unserer Gruppe an zwei Standorten brauchen wir eine Bebauungsplanänderung. Mindestens zwei Jahre stellen uns die Behörden dafür in Aussicht, mit der Unsicherheit von Klageverfahren. Die können im Extremfall mit der Überlastung der Gerichte gerne zu einem zehnjährigen Verfahren ausufern. Danach folgt das eigentliche Genehmigungsverfahren nach Bundesimmissionsschutzgesetz – mindestens ein Jahr Verfahrensdauer nach Antragserstellung. Bedarf: jetzt. Investitionsstart: frühestens in vier Jahren. Das lähmt und frustriert jeden Tag. Wir investieren weniger, als wir könnten und müssten – und fallen damit hinter unsere Möglichkeiten zurück.
Michael Münch: Für mich steht eine bessere Planbarkeit und Kontinuität beim Bürokratieabbau ganz oben. Als international ausgerichteter Mittelständler hängt unsere Wettbewerbsfähigkeit stark von der eigenen Innovationsfähigkeit und einer funktionierenden Vernetzung mit der Forschungslandschaft ab. Gerade bei letzterem kommen Förderprojekte ins Spiel. Für mehrere Partner in der Wissenschaft sind die damit verbundenen Mittel existenziell bedeutsam. Wenn wie jetzt noch kein Bundeshaushalt existiert, hängt vieles in der Luft und geht nicht weiter. Und selbst wenn die Rahmenbedingungen eigentlich klar sind, sind viele Projekte nicht kalkulierbar, weil Förderhöhen oft erst weit nach grundsätzlicher Bewilligung feststehen oder unklar ist, wann die bewilligten Mittel fließen. Damit setzen wir unter anderem eine der wirklichen Stärken Deutschlands permanent aufs Spiel, die für die Rückkehr an die Spitze wirklich wichtig sind: Teile der Grundlagen- und angewandten Forschung.
Sascha Gläßer: Ich will zu Schnelligkeit und Planbarkeit noch Kulturwandel hinzufügen, weil das sowohl in Ihren Themen anklingt als auch immer wieder in Gesprächen mit IHK-Mitgliedern aufkommt. Wir müssen als Gesellschaft wieder lernen, nicht jedes Risiko mit einer Regel ausschließen zu wollen. Die damit vermeintlich gewonnene Sicherheit ist ein Irrweg, weil so niemand mehr Neuland betritt. Für diesen notwendigen Schritt braucht Deutschland weniger Misstrauenskultur, sondern mehr Vertrauen in Unternehmen. Sie erwirtschaften mit ihren Belegschaften unseren Wohlstand. Dazu gehört endlich auch eine Aufgabenkritik: Gesetze müssen praxisorientiert und regelmäßig auf Überflüssiges überprüft werden. Und: Vor jeder neuen Regelung muss eine ehrliche Folgekostenabschätzung stehen inklusive Stopp bei Unverhältnismäßigkeit.
Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung enthält übrigens dazu viele richtige Absichten, etwa reduzierte Melde- und Berichtsplichten oder beschleunigte Genehmigungsverfahren. Jetzt zählt aber, all das auch mit Leben zu füllen und ganz konkret für Entlastung zu sorgen.
Unsere Diskutanten
Anja Twietmeyer ist Prokuristin der Saalemühle Alsleben GmbH und Vizepräsidentin der IHK Halle-Dessau.
Michael Münch ist CEO/ geschäftsführender Geschäftsführer der Sonotec GmbH Halle (Saale) und Mitglied im Ausschuss für Industrie, Agrar- und Baugewerbe sowie Vorsitzender des Arbeitskreises Innovation und Technologietransfer der IHK Halle-Dessau.
Sascha Gläßer ist Vorstand der Volksbank Halle eG und Präsident der IHK Halle-Dessau.
Anja Twietmeyer ist Prokuristin der Saalemühle Alsleben GmbH und Vizepräsidentin der IHK Halle-Dessau.
Michael Münch ist CEO/ geschäftsführender Geschäftsführer der Sonotec GmbH Halle (Saale) und Mitglied im Ausschuss für Industrie, Agrar- und Baugewerbe sowie Vorsitzender des Arbeitskreises Innovation und Technologietransfer der IHK Halle-Dessau.
Sascha Gläßer ist Vorstand der Volksbank Halle eG und Präsident der IHK Halle-Dessau.