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Herausforderung Klimaneutralität
Der Weg zur Klimaneutralität ist eine wahre Herkulesaufgabe: In den Unternehmen stehen Investitionen an, die oft höchst komplexe Produktionsprozesse grundlegend umstellen oder ablösen sollen. Das Energienetz muss im Rekordtempo stark erweitert werden. Durch ein Umstellen alter und das Verlegen neuer Trassen ist ein Wasserstoffnetz zu schaffen. Aus dem Boden wachsen soll zudem auch ein CO2-Netz, mit dessen Hilfe abgeschiedener Kohlenstoff aus unvermeidbaren Emissionen gespeichert und/oder weitergenutzt werden kann. Viel mehr erneuerbare Energie muss erschlossen sowie gespeichert werden und in die Netze gelangen – und all das, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden. Kein leichtes Unterfangen, wenn man bedenkt, dass mit Kohle und Kernkraftwerken perspektivisch fast zwei Drittel der gesicherten Leistung vom Netz gehen.
Das Zusammenspiel vieler Akteure, ihre Intelligenz und ihr Einfallsreichtum sind gefragt, um all diese Aufgaben zu bewältigen. Erzeuger und Verbraucher gleichermaßen brauchen einen verlässlichen Rahmen und (Markt-)Instrumente, mit denen das Wissen und die Ressourcen vieler kombiniert werden können. Der Staat sollte das Gängelband aus Ver- und Geboten loslassen, stattdessen viel stärker mit wirtschaftlichen Anreizen arbeiten und Unternehmern wie Bürgern Entscheidungsfreiheit zurückgeben.
Vereinbarkeit von Transformation und Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen
Ihren Beitrag für die notwendige gesellschaftliche Debatte formulierte die IHK-Vollversammlung Ende September 2024 in ihren klimapolitischen Grundsatzpositionen.
Wichtige Inhalte sind:
- Die Vollversammlung der IHK Halle-Dessau spricht sich für eine ökonomisch, ökologisch und sozial ausgewogene Klimapolitik aus, die gleichermaßen effektiv und effizient sein muss. Nur so sind Klimaschutz, Klimaanpassung und die Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Wirtschaft miteinander in Einklang zu bringen.
- Die Emissionsvermeidung muss international organisiert werden – und zwar organisiert mit technologieoffenen marktwirtschaftlichen Instrumenten wie dem Emissionshandelssystem, nicht durch kleinteilige Ge- und Verbote für einzelne Emissionsquellen und Technologien. Lokale und nationale politische Maßnahmen hingegen sollten sich auf Anpassung an den Klimawandel konzentrieren.
- In Kurzform heißt das: Vermeidung muss eine globale Maßnahme mit globaler Wirkung sein; die Anpassung eine lokale Maßnahme mit lokaler Wirkung.
- Internationale Verlagerungseffekte von Klimaschutzmaßnahmen sind in die Betrachtungen zur Wirksamkeit der CO2-Emissionsvermeidung einzubeziehen. Das erfordert eine globale Nettobetrachtung von Klimaschutzmaßnahmen, weil Treibhausgase und die Erderwärmung sich nicht um nationale Grenzen scheren.
- Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen dürfen die Versorgungssicherheit mit Energie und Wärme nicht gefährden. Deutschland gehört zu den Standorten mit einer der weltweit niedrigsten Energie-Ausfallminutenzahl. Dieser Standortvorteil muss erhalten bleiben.
- Zu bedenken ist freilich, dass manche Produktionsanlagen und -prozesse so sensibel sind, dass ihnen nicht einmal Stromausfälle oder auch nur zu starke Schwankungen von wenigen Sekunden oder gar Millisekunden Dauer zugemutet werden dürfen. Das Ziel “Versorgungssicherheit” ist also höchst anspruchsvoll – selbst sehr gute “Durchschnittswerte” reichen nicht.
- Vermeidung allein reicht nicht: Für technisch und wirtschaftlich unvermeidbare CO2-Emissionen müssen Carbon-Management-Möglichkeiten geschaffen werden, sonst droht die Verlagerung dieser Produktion und der damit verbundenen CO2-Emissionen. Alle technisch und wirtschaftlich möglichen Optionen sind unvoreingenommen und sachlich zu prüfen und auszuschöpfen; insbesondere Abscheidung, Lagerung, Transport und Nutzung von CO2 kann eine Chance für etablierte Standorte darstellen, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.
- Nationale Bemühungen können international nur dann als Vorbild dienen, wenn die Klimapolitik glückt, ohne die industrielle Wertschöpfung hierzulande zu schwächen. Strategien, die zu einer De-Industrialisierung und zu einer Schwächung der Wertschöpfungsbasis führen, werden international keine Nachahmer finden. Damit wäre dem Weltklima nicht gedient. Eine „Degrowth-Strategie“ führt in die Irre.
Deutliche Alarmzeichen
Dass die IHK den Druck auf die energiepolitische Debatte hochhält und verstärkt, ist dringend geboten. Denn die regionale Wirtschaft – energieintensiv und eng mit allen anderen Wirtschaftsbereichen verflochten – leidet besonders stark unter unabgestimmten, zu teuren CO2-Vermeidungsmaßnahmen. Während vor 2023 noch viele Unternehmen in der Energiewende Chancen für ihren Betrieb sahen, überwiegen inzwischen die Risiken. Das Energiewende-Barometer der IHK-Organisation 2024 bestätigt vor allem eines: Die deutsche Wirtschaft hat das Vertrauen in die Energiepolitik verloren. 31 Prozent der Unternehmen investieren gegenwärtig nicht in Kernprozesse: zu teuer, zu unsicher, zu bürokratisch. Dass Unternehmen außerhalb Deutschlands aber durchaus investieren, auch das sagen die knapp 3.300 an der Befragung beteiligten Unternehmen. Im vergangenen Jahr kündigten neun Prozent der Unternehmen Verlagerungen ins Ausland an. Und sechs Prozent von ihnen setzen diese nun um. Der Wirtschaftsstandort Deutschland wird immer weniger attraktiv. Hier muss dringend gegengesteuert werden.
Die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Energiewende-Barometer 2024 sowie die vollständigen Befragungsergebnissen können Sie hier nachlesen.
Kontakt
Hendrik Senkbeil
Franziska Böckelmann