Abschied des IHK-Präsidenten

Nie mit Verdruss, immer mit Zuversicht

Mitte Juni legt IHK-Präsident Matthias Martiné auf eigenen Wunsch sein Amt nieder. Mehr als sechs Jahre lang hat er die inhaltliche Ausrichtung der IHK Darmstadt an der Spitze des Ehrenamtes maßgeblich mitgeprägt. Und das in herausfordernden Zeiten: Corona-Krise, Ukraine-Krieg, Energieengpässe und Rezession gaben sich die Klinke in die Hand. Aufbruchstimmung? Fehlanzeige. Doch nicht mit Verdruss, sondern immer mit Zuversicht blickte Martiné nach vorn.
Text: Patrick Körber
Eines hätte Matthias Martiné wohl nie erwartet, als er 2019 zum Präsidenten der IHK Darmstadt gewählt wurde: dass er in seinem Amt mal unter großem Applaus vor rund 17.000 Menschen sprechen wird. Doch so kam es, weil es ihm ein Anliegen war, dass auch die IHK Darmstadt ihr Wort erhebt, wenn Tausende auf dem Darmstädter Karolinenplatz gegen Rechtsextremismus und für Demokratie demonstrieren. Martinés Rede, die unter der Überschrift Auf Hass lässt sich kein Wohlstand bauen stand, wurde vielfach in den Medien zitiert, und noch ein Jahr später kamen Medienanfragen, die auf seinen Auftritt vom 23. Januar 2024 zurückkamen.

Ein Freund der klaren Worte

Und nachdem Martiné sich auf großer Bühne für Weltoffenheit starkmachte, positionierte er sich auch zur letzten Bundestagswahl – in einem persönlichen Brief an die IHK-Mitgliedsunternehmen mit klaren Worten und für einen Politikwechsel im Sinne der Wirtschaft. Regulierungswahn und Bürokratielasten müssten ein Ende haben, Unternehmen bräuchten wieder Spielräume, um selbst zu gestalten. Ein Weiter so dürfe es nicht geben. In seiner sechsjährigen Amtszeit scheute der gelernte Bankkaufmann und heutige Vorstandssprecher der Volksbank Darmstadt-Mainz nie das klare Wort – stets im angemessenen, verbindlichen Ton. Als Volksbanker und im IHK- Ehrenamt hat er das Ohr nah an den Unternehmen und immer ein Gespür, wo der Schuh gerade drückt. Unterstützt von Konjunkturumfragen der IHK Darmstadt ordnete er profund die Wirtschaftslage ein, leitete daraus die Bedürfnisse der Wirtschaft und die entsprechenden politischen Forderungen ab.
Seine ersten Jahre als IHK-Präsident waren allerdings vom Krisenmodus gekennzeichnet. In den Corona-Jahren ab 2020 ging es für viele Unternehmen schlicht ums nackte Überleben und für die IHK um die Umorganisation ihrer Beratungsdienstleistungen und um intensive politische Arbeit. Mitarbeiter*innen aus allen Bereichen der IHK Darmstadt fanden sich mit einem Mal am Telefon wieder, um täglich hunderte Anfragen von Unternehmen zu Soforthilfen unter Corona zu beantworten und bei Förderanträgen zu helfen. Parallel dazu forderte die IHK mit ihrem Präsidenten in zahlreichen Gesprächen, Positionspapieren und Presseinformationen Anpassungen der Hilfen für Unternehmen. Und plötzlich brachen auch die Ausbildungszahlen ein, sodass auch das Thema Berufsorientierung noch stärker in den Fokus der IHK-Arbeit rückte. Nicht nur in diesem Zusammenhang fiel es Matthias Martiné leicht, glaubhaft für den Wert der dualen Ausbildung einzustehen, ist er als Vorstandssprecher einer der größten Volksbanken Deutschlands doch selbst das beste Beispiel für eine Karriere nach der Ausbildung.
Die Corona-Krise war kaum überwunden, da folgten die nächsten Nackenschläge für die heimische Wirtschaft: Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 stand die Energieversorgung mit einem Mal in Gefahr. Extrem gestiegene Energiekosten und gestörte Lieferketten machten vor allem dem produzierenden Gewerbe schwer zu schaffen. Bis heute ist es nicht wirklich gelungen, die Energiekosten auf ein europaweit wettbewerbsfähiges Niveau zu bringen. Als IHK-Präsident war Matthias Martiné bis zuletzt gefragt als Mahner und Verfechter unternehmerischer Interessen, aber auch als jemand, der Zuversicht verbreitet, dass die Wirtschaft die Kraft aufbringen wird, die Krise zu überwinden.
Als wären die externen Krisen nicht schon raumgreifend genug, sah sich die gesamte bundesdeutsche IHK-Organisation im Sommer 2022 einem Cyber-Angriff ausgesetzt, der die digitale Kommunikation intern und extern lahmlegte. Es wurden zwar keine Daten gestohlen, aber zur Sicherheit mussten Daten, Programme und Systeme erst auf Herz und Nieren gecheckt werden, bevor sie wieder uneingeschränkt nutzbar waren. Da half ein Präsident im Rücken, der nie die Ruhe und nie den Blick für das Wesentliche verliert.

Vertreter der südhessischen Wirtschaft

Da wäre das Jahr 2023 wie gemacht gewesen, die Krisen zu überwinden. Auf dem IHK-Sommerfest, wenige Monate vor der hessischen Landtagswahl, appellierte Martiné für Mut, Kraft und Zuversicht – fest davon überzeugt, dass Unternehmen auch selbst Gesellschafter ihres Erfolgs sind. Doch sind die Konjunkturaussichten bis heute trübe. Die Rezession bleibt der neuen Bundesregierung erhalten, daran vermag auch erst mal der Koalitionsvertrag nichts zu ändern. Doch immerhin finden sich viele IHK-Forderungen – und damit mögliche Impulse für neue wirtschaftliche Dynamik – im Koalitionsvertrag der hessischen Landesregierung und nun auch der Bundesregierung wieder. Immer wieder begleitete Matthias Martiné in seinem hundertprozentigen Ehrenamt die Hintergrundgespräche mit politischen Mandatsträger*innen auf allen Ebenen, um für die Interessen der Wirtschaft – mit Nachdruck – zu werben. Er machte sich stark, die Wettbewerbsbedingungen für die Wirtschaft zu verbessern – ob für KMU oder auch die großen Unternehmen. So betonte Martiné immer wieder, welche Bedeutung die Industrie für Deutschland und insbesondere den Standort Südhessen hat. Ein Viertel der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Südhessen hängt direkt und weitere 35 Prozent indirekt am produzierenden Gewerbe.
Wenn ihn immer auch die großen Transformationsthemen wie Nachhaltigkeit, Demografie oder Digitalisierung bewegt haben, hat Matthias Martiné nie den Bezug zu den regionalen Fragen verloren. Er konnte auf seinen zahlreichen Firmenbesuchen immer wieder inhaltliche Brücken bauen zu den Bedürfnissen der Unternehmen vor Ort. Immer nahbar, immer auf Augenhöhe.
Mehr als sechs Jahre hat sich Matthias Martiné mit voller Kraft und großem – auch zeitlichem – Engagement in den Dienst des Ehrenamts gestellt. Auf eigenen Wunsch zieht sich der 62-Jährige zurück und legt sein Amt Mitte Juni nieder. Hintergrund für die Entscheidung ist meine hauptberufliche Tätigkeit, die mich auch in den kommenden Monaten weiterhin stark fordern wird. Daher kann ich diesem anspruchsvollen Ehrenamt bei der IHK nicht weiter im gebotenen Umfang gerecht werden, begründet der Präsident seine Entscheidung, die innerhalb wie außerhalb der IHK auf Verständnis, aber auch auf großes Bedauern stößt.
In der IHK-Vollversammlung am 17. Juni 2025 wird sein*e Nachfolger*in aus dem Kreis der 72 Gremiumsmitglieder gewählt.

Leuchttürme

In seiner Amtszeit hat Matthias Martiné gemeinsam mit der Vollversammlung die inhaltliche Ausrichtung der IHK-Arbeit über zwei Legislaturperioden geprägt. Der Themensetzung für die Jahre 2024 bis 2029 ging unter dem Titel Wirtschaft2040 ein intensiver Analyse- und Beteiligungsprozess voraus.

Thematisch setzte die IHK unter Martiné Schwerpunkte auf Transformation und Zukunftsfähigkeit der Region. Daher spielte die Zukunft der Innenstädte genauso eine Rolle wie der demografische Wandel und der Fachkräftemangel. Die Folgen von Sustainable Finance und der Green Deal beschäftigten ebenfalls die Programmatik der IHK. Passend dazu erarbeitete die IHK Darmstadt aktuelle industriepolitische Positionen und erneuerte mit Leitlinien das Selbstverständnis für einen ehrbaren Kaufmann.

Ferner wurde unter Martinés Ägide die Zusammenarbeit in den beiden Metropolregionen Rhein-Neckar (MRN) und Rhein-Main (PERFORM) deutlich intensiviert. Für das gemeinsam mit der Stadt Darmstadt etablierte Gründerzentrum HUB31 konnten die Technische Universität und die Hochschule als neue Gesellschafter gewonnen und die Zusammenarbeit im Gründer- Ökosystem der Region weiter gefestigt werden. Die IHK Darmstadt initiiert

2019 das erste MINT-Zentrum in Südhessen am Schuldorf Bergstraße, sieben sind es mittlerweile, und ein achtes steht unmittelbar vor der Eröffnung. Unter Martiné als Präsident wurde Robert Lippmann 2021 als neuer Hauptgeschäftsführer gewonnen. Und letztlich brachte Martiné die Entscheidung mit voran, die sanierungsbedürftige IHK-Liegenschaft weiterzuentwickeln.

Drei Fragen an IHK-Präsident Matthias Martiné

Wenn Sie zurückblicken: Welche Ziele haben Sie erreicht?
Gemeinsam mit anderen in der IHK engagierten Menschen konnten viele Ziele erreicht werden. Besonders froh bin ich, dass es gelungen ist, die Unterstützung der IHK für noch mehr Mitgliedsunternehmen konkret erlebbar zu machen und die Relevanz der IHK als wichtigen Gesprächspartner in Politik und Gesellschaft weiter zu verbessern.
Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger beziehungsweise Ihrer Nachfolgerin?
Vor allen Dingen viel Freude bei der Ausübung und Ausgestaltung dieses außerordentlich interessanten und abwechslungsreichen Ehrenamts.
Wie hat die Arbeit als IHK-Präsident Sie verändert?
Ob ich mich verändert habe, können nur andere beurteilen. Jedenfalls habe ich als IHK-Präsident die beeindruckende Vielfalt und Kreativität der südhessischen Wirtschaft besser kennengelernt. Zudem durfte ich vielen Menschen begegnen, die sich mit großer Leidenschaft im Beruf und im Ehrenamt für unsere Region einsetzen. Dafür bin ich sehr dankbar.
Dieser Artikel ist erstmals erschienen im IHK-Magazin Wirtschaftsdialoge”, Ausgabe 3/2025. Sie möchten das gesamte Heft lesen? Die Wirtschaftsdialoge” können Sie auch online als PDF-Datei herunterladen.
Matthias Voigt
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: IHK-Magazin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit