„Wir müssen erst unsere Wirtschaft flottmachen, bevor wir soziale Wohltaten verteilen“
Am 17. Juni 2025 hat die IHK-Vollversammlung den Unternehmer Christian Jöst einstimmig zum neuen Präsidenten der IHK Darmstadt gewählt. Der 50-Jährige folgt auf Matthias Martiné, der das Amt nach sechseinhalb Jahren geplant niedergelegt hat. Im Interview erklärt der Geschäftsführer von Jöst Abrasives aus Wald-Michelbach, was Unternehmen jetzt von der Bundesregierung erwarten – und wo er das Vertrauen schon angeknackst sieht.
Interview: Patrick Körber
IHK: Herr Jöst, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl zum Präsidenten der IHK Darmstadt. Wie waren die ersten Tage im neuen Amt?

Christian Jöst: Spannend und bunt gemischt. Nach der Amtsübernahme standen ja direkt ein größeres Interview und das Sommerfest der IHK an. Ich habe erste Mitgliedsunternehmen besucht und mit Landräten und Ministern gesprochen. Mein Eindruck: Die Drähte und Wege sind kurz. Und die Stimme der IHK hat Relevanz.
IHK: Neuer Präsident, neue Inhalte? Unter welches übergeordnete Ziel möchten Sie Ihre Amtszeit stellen?
Christian Jöst: Die Herausforderungen unserer Wirtschaft sind ja keine anderen, nur weil die IHK den Präsidenten wechselt. Insofern werde ich da anknüpfen, woran wir seit Jahren arbeiten. Wir müssen wieder hinkommen zu einer freien sozialen Marktwirtschaft, mit der Betonung auf „frei“. Wir müssen weg von dem, was unternehmerische Freiheit über das Maß einengt: Überregulierung und Bürokratie. Stattdessen wünsche ich mir eine Wirtschaftspolitik, die verlässliche Rahmenbedingungen setzt und den Dialog mit der Wirtschaft sucht. Und Vertrauen in deutsches Unternehmertum hat. Dies habe ich in den vergangenen Jahren vermisst.
IHK: Sie selbst waren im Dialog mit der vorangegangenen Bundesregierung als Mitglied des Sustainable-Finance-Beirat. Welche Erfahrungen nehmen Sie daraus mit?
Christian Jöst: Es ist extrem wichtig, dass die Bundesregierung bei all ihren Vorhaben rechtzeitig mit der Wirtschaft spricht und auch zuhört. Ich war im Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung der einzige Vertreter aus dem Mittelstand, sonst waren dort nur Großkonzerne, die aber ganz andere Fragestellungen als ein kleines oder mittleres Unternehmen haben. Mir zeigte das, wie bedeutend es ist, unsere Position einbringen zu können. Es fehlte dabei nicht am Willen. Mein Rat wurde geschätzt, und wir konnten gemeinsam einiges auf den Weg – auch nach Brüssel – bringen, was zu Erleichterungen für den Mittelstand führen wird.
IHK: Wie beurteilen Sie nun die Startphase der neuen Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz?
Christian Jöst: Mit gemischten Gefühlen. Im Koalitionsvertrag sind wesentliche Forderungen aus der Wirtschaft abgebildet. Manches wie die Unternehmenssteuerreform kommt aber zu spät oder nicht in der versprochenen Konsequenz: Wir waren davon ausgegangen, dass es Konsens ist, die Strompreise zu senken, damit wir wirtschaftlich wieder international wettbewerbsfähig sind. Sollten die Energiepreise jetzt nur noch für stromintensive Unternehmen runter gehen, wäre das für mich ein Vertrauensbruch. Die gesamte Wirtschaft, von den Verbraucher*innen ganz abgesehen, leidet unter den hohen Energiekosten. Schwer zu verkraften ist für einige Branchen außerdem die Erhöhung des Mindestlohns. Die Arbeitskosten werden zunehmend als wirtschaftliches Risiko von unseren Unternehmen gesehen. Für einen Aufwärtstrend sorgt hoffentlich das beschlossene Milliardenpaket für Investitionen. Aber all dies ist an Vertrauen und Verlässlichkeit gekoppelt. Nur wenn die neue Regierung schnell liefert, Versprechen hält, grundlegende Reformen umsetzt, kann aus einem Funken Aufbruchstimmung auch wieder flammender Aufschwung werden.
IHK: Sie haben die Erhöhung des Mindestlohns angesprochen. Muss gute Arbeit nicht auch gut bezahlt werden?
Christian Jöst: Ja, aber gute Arbeit muss auch für den Arbeitgeber bezahlbar sein. Am Ende ist alles eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit. Da sind die Lohn- und Lohnnebenkosten ein Teil davon. Im Gesamtpaket ist der Standort Deutschland zu teuer. Das schadet dem Investitions- und Innovationsklima, und unsere Produkte müssen auch weiterhin auf dem Weltmarkt bestehen können. Das heißt für mich, dass wir erst unsere Wirtschaft flottmachen, bevor wir soziale Wohltaten verteilen. Denn das „Soziale“ der freien sozialen Marktwirtschaft muss zunächst erwirtschaftet werden. Aktuell ist es andersrum, es werden Wahlgeschenke verteilt, bevor auch nur eine Wirtschaftsreform umgesetzt wurde. Das können wir uns nicht leisten.
Bei Themen wie Verpackungs- und Bettensteuer erschaffen die Kommunen neue Bürokratiemonster.Christian Jöst
IHK: Sie sind selbst Geschäftsführer eines produzierenden Unternehmens; Jöst Abrasives stellt Schleifmittel und Reinigungssysteme her. Was macht Ihnen am meisten zu schaffen?
Christian Jöst: Ich spreche sicherlich nicht nur für mich, wenn ich über die Länge und Komplexität von Genehmigungsverfahren klage. Wir haben es mit einem Wust an Verordnungen, Vorschriften und Berichtspflichten zu tun, die ein großer Zeit- und Kostenfresser sind. Wir müssen meines Erachtens neu lernen, Dinge einfach zu machen. Das gilt für Genehmigungsverfahren genauso wie für Förderanträge oder Nachweispflichten. Ich verbringe pro Woche im Schnitt sechs Stunden damit, Fragen zu unserer Lieferkette zu beantworten. Unsere Kunden reichen ihre Berichtspflichten an mich weiter. Das heißt, dass ich nahezu wöchentlich aufs Neue Fragen verneine, ob bei uns Kinder oder Zwangsarbeiter beschäftigt sind. Die Reglungswut hat sich in den zurückliegenden Jahren potenziert. Und hier sind wir wieder beim Umsetzungstempo: Jeder Politiker, den ich treffe, ist für Bürokratieabbau. Geändert hat sich aber bisher fast nichts.
IHK: Bürokratie und Überregulierung schwächen uns, wo liegen aber die Stärken unserer südhessischen Region?
Christian Jöst: Wir haben einen überdurchschnittlich hohen Anteil aus produzierendem Gewerbe. Davon profieren in der Wertschöpfungskette viele weitere Branchen, und es ist gut für die Kaufkraft der Region. Dank der Dichte an Hochschulen und Forschungseinrichtungen in der Region haben wir eine gute Verfügbarkeit von Fachkräften. Wir greifen auf ein starkes Gründungs-Ökosystem zurück, zudem unser Gründungszentrum, das HUB31, beiträgt, bei dem IHK und die Stadt Darmstadt Hauptgesellschafter sind. Die gute Anbindung an den Flughafen und das Autobahnnetz sind sicherlich ebenso wichtig, auch wenn die Verkehrsinfrastruktur ihre Belastungsgrenze überschritten hat.
Zur Person
Der Odenwälder Christian Jöst ist mit seinem Bruder Geschäftsführer der Jöst-Abrasives GmbH in Wald-Michelbach. Das Familienunternehmen ist spezialisiert auf Schleifmittel und Reinigungssysteme. Der 50-Jährige war bis zu seiner Wahl zum IHK-Präsidenten bereits seit 2019 Vize-Präsident der IHK Darmstadt. Zudem ist er seit Jahren als Prüfer in der IHK tätig. Christian Jöst ist vielfach ehrenamtlich engagiert, etwa im Vorstand der Strahlemann-Stiftung, zudem unterstützt er das Magazin „My Odenwald“. Die Wiesen seiner Firma lässt er nachhaltig von einer Alpaka-Herde „mähen“.
Der Odenwälder Christian Jöst ist mit seinem Bruder Geschäftsführer der Jöst-Abrasives GmbH in Wald-Michelbach. Das Familienunternehmen ist spezialisiert auf Schleifmittel und Reinigungssysteme. Der 50-Jährige war bis zu seiner Wahl zum IHK-Präsidenten bereits seit 2019 Vize-Präsident der IHK Darmstadt. Zudem ist er seit Jahren als Prüfer in der IHK tätig. Christian Jöst ist vielfach ehrenamtlich engagiert, etwa im Vorstand der Strahlemann-Stiftung, zudem unterstützt er das Magazin „My Odenwald“. Die Wiesen seiner Firma lässt er nachhaltig von einer Alpaka-Herde „mähen“.
IHK: Die Sperrung der Zeller Brücke zeigt aktuell, wie sehr Infrastruktur zur Achillesferse wird …
Christian Jöst: In einem hochtechnisierten Land wie Deutschland darf so etwas nicht passieren. Wie kann es sein, dass ein Brückenbauwerk, das regelmäßig überprüft wird, über Nacht gesperrt werden muss? Die Folge ist nun, dass ein Teil des Odenwalds deutlich schlechter zu erreichen ist. Manche unserer Unternehmen entlang der Strecke büßen täglich mehrere Tausend Euro Umsatz ein. Daher fordern wir als IHK, dass wir im Rekordtempo eine Ersatzbrücke errichten. Jetzt können die Genehmigungsbehörden zeigen, dass sie es mit dem Bürokratieabbau ernst meinen. Wir bleiben da eng dran.
IHK: Welche regionalen Themen sind Ihnen noch wichtig?
Christian Jöst: Der Ausbau und die Ertüchtigung der Verkehrs- und digitalen Infrastruktur ist wesentlich. Für die Ansiedlung und Erweiterung von Unternehmen brauchen wir mehr Gewerbeflächen in der Region. Auch Wohnraum für die Fachkräfte von morgen muss entstehen. Und angesichts der angespannten Kommunalhaushalte erleben wir gerade einen Trend zu neuen Steuern, die Unternehmen treffen. Darmstadt will eine Verpackungssteuer einführen, andere Kommunen denken über eine Betten- oder Tourismussteuer nach. Oder es werden die Hebesätze für die Grund- und Gewerbesteuer angehoben. Das alles kommt zur Unzeit und trifft Unternehmen in der Phase einer langanhaltenden Rezession. Bei Themen wie Verpackungs- und Bettensteuer bitte ich doch sehr darum, sich das Verhältnis von Aufwand und Ertrag genau anzuschauen. Die Kommunen erschaffen da neue Bürokratiemonster. Die Digitalisierung der Verwaltungen ist ja auch nicht wirklich weit vorangekommen.

IHK: Ihr Vorgänger Matthias Martiné, der Sie als Nachfolger vorgeschlagen hat, hatte in seiner Amtszeit vor allem mit Krisen von Coronapandemie, Ukrainekrieg, Energieengpässen bis zum Handelsstreit mit den USA zu tun. Was denken Sie, Stand heute, wird Ihre Amtszeit prägen?
Christian Jöst: Mein Wunsch wäre, dass wir bald aus dem Krisenmodus herauskommen und tatsächlich in eine Phase der Erneuerung kommen. Der Veränderungsdruck ist hoch – auf Politik, Unternehmen und Gesellschaft. Durch neue Möglichkeiten der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz entstehen neue Geschäftsmodelle, andere verschwinden. Die Unternehmen müssen da mithalten, aber eben auch die Rahmenbedingungen, die durch die Politik gesetzt werden. Was nutzen uns Regulierungen der KI oder Festlegungen zu Klimazielen, wenn sie nur unsere Wettbewerbsfähigkeit einschränken? Hier sind wir als Interessenvertretung der Wirtschaft gefragt, im Dialog mit der Politik und unseren Mitgliedsunternehmen eine ausgewogene Balance zu finden. Meinen Part sehe ich darin, an der Zukunftsfähigkeit unseres Wirtschaftsraums mitzuwirken. Als Unternehmer weiß ich, wo der Schuh drückt.
IHK: Ihre Vorvorgängerin, Prof. Dr. Kristina Sinemus, hat den Weg in die Politik genommen und ist heute hessische Digitalministerin. Wäre Politik auch etwas für Sie?
Christian Jöst: Das Ehrenamt als IHK-Präsident hat eine starke politische Komponente. Ansonsten bin und bleibe ich mit Leib und Seele Unternehmer. Nichts könnte mich mehr erfüllen. Und wäre ich nicht Unternehmer, wäre ich Förster geworden. Meine Naturverbundenheit kann ich aber auch als Unternehmer und privat ausleben.
Dieser Artikel ist erstmals erschienen im IHK-Magazin „Wirtschaftsdialoge”, Ausgabe 4/2025. Sie möchten das gesamte Heft lesen? Die „Wirtschaftsdialoge” können Sie auch online als PDF-Datei herunterladen.
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Patrick Körber
Geschäftsbereichsleiter, Pressesprecher
Bereich: Kommunikation und Marketing