Konjunkturbericht zum Jahresbeginn

Industrie schiebt Konjunktur

Die Konjunkturumfrage der IHK Darmstadt zum Jahresanfang zeigt: Es ist kein sehr guter, aber ein guter Start ins neue Jahr. Die Industrie bleibt die treibende Kraft, in Handel und Dienstleistungen gibt es viel Licht und Schatten. Als größtes Risiko für die weitere wirtschaftliche Entwicklung werden die Energie- und Rohstoffpreise genannt.

Pressemeldung vom 11. Februar 2022

Die südhessische Wirtschaft ist gespalten. Industrie und industrienahe Dienstleister sind noch immer Motor der konjunkturellen Entwicklung. Teile des Einzelhandels und der Dienstleister fallen aber zurück, sie spüren die pandemiebedingten Einschränkungen deutlich. Sorgen bereitet der Wirtschaft der explosionsartige Anstieg der Energiepreise der letzten Wochen und Monate. Zu diesen Ergebnissen kommt die aktuelle Konjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) Darmstadt Rhein Main Neckar, für die sie rund 900 Unternehmen aus der Region befragt hat.

Geschäftsklimaindex gibt leicht nach

„Die vierte Coronawelle hat ihre Spuren hinterlassen. Nicht alle Unternehmen konnten den Schwung aus dem letzten Herbst mit ins neue Jahr nehmen“, fasst IHK-Präsident Matthias Martiné zusammen. „Die Verwerfungen der Pandemie ließen es nicht zu“. Gegenüber Herbst 2021 verliert der IHK-Geschäftsklimaindex drei Punkte. Er beträgt jetzt 109 Punkte, liegt damit aber noch über der Wachstumsschwelle von 100.
Aktuell beurteilen 34 Prozent aller Unternehmen in Südhessen ihre Lage als gut, 49 Prozent als befriedigend, 17 Prozent als schlecht. Gegenüber Herbst gibt der Saldo aus zufriedenen und unzufriedenen Unternehmen sieben Punkte ab, er liegt jetzt bei plus 17 Prozentpunkten. „Lieferengpässe und vierte Coronawelle haben die Wirtschaft klar ausgebremst“, so Martiné.
Die kommenden Monate sehen die südhessischen Unternehmen verhalten optimistisch. 19 Prozent rechnen mit einer Verbesserung der Situation, 17 Prozent malen die Zukunft in düsteren Farben. 64 Prozent sind davon überzeugt, dass sie ihr Niveau halten können. Damit beträgt der Erwartungssaldo plus zwei Prozentpunkte, gegenüber der Vorumfrage bleibt nahezu unverändert (plus einen Punkt).

Investitionen ziehen an

„Zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie löst sich die Investitionsbremse, das ist ein sehr positives Signal“, hebt der IHK-Präsident hervor. In den letzten eineinhalb Jahren haben viele Unternehmen von der Substanz gelebt, das ist fürs Erste vorbei. „Die Unternehmen wollen wieder investieren. Es ist kein Quantensprung, aber die Richtung stimmt.“ Vor allem die Industrie will ihre Ausgaben für Investitionen erhöhen, trotz der anhaltenden Probleme mit den Lieferketten. „Die sprunghaft gestiegenen Energiekosten könnten den Investitionsabsichten allerdings einen Strich durch die Rechnung machen“, mahnt Martiné.  Das Exportklima beurteilen die südhessischen Unternehmen positiv, qualifiziertes Personal wird wie immer gesucht.  
Kein Quantensprung, aber die Richtung stimmt.

Matthias Martiné

Energiepreise größtes Risiko

Erstmals nennen die Unternehmen die Energie- und Rohstoffpreise als größtes Risiko für die weitere Entwicklung. Denn die Kosten für Energie sind auf Rekordhöhen, ein baldiges Ende der Rallye ist nicht in Sicht. Vor allem der Gaspreis zieht immer weiter an, gegenüber 2015 hat er sich verdreifacht. „66 Prozent der befragten Unternehmen sorgen sich wegen der Energiepreise, in energieintensiven Wirtschaftszweigen der Industrie sind es bis zu 90 Prozent“, berichtet Martiné. Deutschland ist im internationalen Vergleich bei den Strompreisen Spitzenreiter. Haupttreiber dafür ist der Staat, allen voran mit der EEG-Umlage, der Stromsteuer sowie den Kosten für CO2-Emissionszertifikate. „Insbesondere im internationalen Wettbewerb können unsere Unternehmen diese nationale Sonderlast nicht schultern“, stellt der IHK-Präsident fest. Wie eine Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) zeigt, können viele Betriebe die Belastung nur auffangen, indem sie an anderer Stelle wie Forschung, Entwicklung oder Umweltschutz sparen.

Entlastung schaffen

Die Ankündigung der Bundesregierung, die EEG-Umlage nun schon zum 1. Juli auslaufen zu lassen, begrüßt der IHK-Präsident. „Wenn die Politik es ernst meint, dann legt sie jetzt nach. Den energieintensiven Unternehmen bringt diese Maßnahme nichts, sie waren von der EEG-Umlage ohnehin nicht betroffen, tragen aber umso schwerer an den hohen Energiepreisen“, sagt Martiné. Zwei von drei Euro erwirtschaftet die südhessische Industrie im Ausland, so der IHK-Präsident weiter. „Ich kann die Politik hier nur dringlich auffordern, diesem Thema höchste Priorität beizumessen und auf andere Weise eine Entlastung für energieintensive Unternehmen zu schaffen. Warum riskieren wir, dass deswegen in anderen Ländern investiert wird und dadurch Arbeitsplätze, Wertschöpfung und Einkommen in Deutschland verloren gehen?“ Es sei noch nicht zu spät, diese Entwicklung zu verhindern.
Steigende Kosten treffen energieintensive Branchen
Die sprunghaft gestiegenen Energiekosten könnten den Investitionsabsichten einen Strich durch die Rechnung machen. Das bestätigt auch Erlenbacher Backwaren: Das Unternehmen aus Groß-Gerau gehört zu den energieintensiven Betrieben in der Region. Rund 23 Millionen Kuchen stellt das Unternehmen im Jahr her. „Für den Backvorgang nutzen wir Gas. Anschließend werden die Kuchen gefrostet und tiefgekühlt gelagert, dafür brauchen wir Strom“, sagt Harald Lochmann, der seit 25 Jahren in dem Betrieb arbeitet und seit 2016 Mitglied der Geschäftsführung von Erlenbacher Backwaren ist. Neben den Energiekosten steigen auch die Rohstoffpreise weiter. „Auf Einkaufspreise, wie wir sie vor der Pandemie gewohnt waren, ist aktuell nicht zu denken, auf langfristige Verträge lassen sich unsere Lieferanten mittlerweile gar nicht mehr ein. Selbst Standardprodukte wie Faltschachteln aus Karton oder Etiketten sind nur mit erheblichen Vorlaufzeiten zu bekommen.“ Im September 2021 hat das Unternehmen deshalb erstmals eine Preissteigerung bei seinen Kunden angekündigt. Und wenn die Entwicklung so weitergeht, dürfte die nächste Preiserhöhung bald folgen und die Frage ist, wie lange die Kunden des Unternehmens diese Tendenz mitgehen. „Wegen des Lockdowns und der Coronabeschränkungen hatten wir zudem deutliche Umsatzeinbußen, weil große Abnehmer wie Hotel-, Gastronomie- und Freizeitbetriebe kein Geschäft hatten“, erklärt Harald Lochmann. Harald Lochmann war bei der Vorstellung des Konjunkturberichts vor der Presse dabei, um als von aktuellen Entwicklungen betroffenes Unternehmen von seinen Erfahrungen zu berichten. Wann sein Unternehmen wieder die volle Produktion fahren könne, sei nicht klar. Ebenso wenig, wann die Preise für Energie und Rohstoffe wieder sinken.

Kontakt

Dr.Peter Kühnl
Dr. Peter Kühnl
Bereich: Unternehmen und Standort
Themen: Wirtschaftspolitik, Konjunktur, Statistik