Nachhaltigkeitsberichtspflicht

„Wer auf die Fertigstellung der Standards wartet und sich dann erst vorbereitet, hätte nur zwei Monate Vorbereitungszeit“

Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten sind verpflichtet, zu nicht-finanziellen Informationen, etwa zu Umweltfragen oder zur Korruptionsbekämpfung, einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen. Geht es nach der EU-Kommission, sollen künftig auch kleinere Unternehmen in die Berichtspflicht genommen werden. Philipp Nüßlein, Experte vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) zum Thema CSR und Nachhaltigkeit, erläutert im Interview, was genau die EU plant.
Autor: Marcel Gränz (IHK Würzburg-Schweinfurt), 24. Januar 2022
IHK: Was genau verbirgt sich hinter der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)?
Philipp Nüßlein: Im Kern geht es um einen Richtlinienentwurf der EU-Kommission, der die Nachhaltigkeitsberichterstattung standardisieren will: Seit 2017 müssen bereits große kapitalmarktorientierte Unternehmen über bestimmte nicht-finanzielle Informationen berichten. Aus Sicht der Kommission ist die Berichterstattung aber nicht umfassend und die Qualität nicht einheitlich genug. Mangels Vergleichbarkeit werde es den Finanzmarktteilnehmern erschwert, in Unternehmen mit positivem Effekt auf Mensch und Umwelt zu investieren. Um die Vision des klimaneutralen Europas zu verwirklichen, bedarf es nach Logik der Kommission einer EU-weit harmonisierten Berichterstattung, die Investoren und Konsumenten einen besseren Zugang zu vergleichbaren, relevanten und zuverlässigen Nachhaltigkeitsinformationen von mehr Unternehmen ermöglicht. Hierfür werden aktuell Berichterstattungsstandards erstellt.

IHK: Bisher sind Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten betroffen. Wer würde zukünftig berichtspflichtig werden?
Philipp Nüßlein: Eine der gravierendsten Änderungen stellt die Ausweitung des Anwendungsbereichs dar: Gut dreißigmal mehr Unternehmen in Deutschland müssten über Nachhaltigkeitsinformationen berichten, wenn sich der Vorschlag der Kommission durchsetzt. Dies liegt zum einen daran, dass ab 2024 alle großen Unternehmen per se, unabhängig vom Kriterium der Kapitalmarktorientierung, einen entsprechenden Bericht nach Kernstandards veröffentlichen sollen. Gemäß EU-Definition betrifft dies Unternehmen, die mindestens zwei der drei Merkmale erfüllen: 250 Mitarbeiter, ein Nettoumsatz von 40 Millionen Euro beziehungsweise eine Bilanzsumme von 20 Millionen Euro. In einem weiteren Schritt würden die berichtspflichtigen Unternehmen über die Kernstandards hinaus auch branchenspezifische Standards einhalten müssen, die ab Oktober 2023 vorliegen sollen.
Zudem ist geplant, auch Unternehmen ab zehn Mitarbeitern einzubeziehen, sofern sie an EU-regulierten Märkten notiert sind. Weil die Kommission jedoch die begrenzten Kapazitäten und Ressourcen der direkt betroffenen KMU erkennt, sieht der Entwurf einen gesonderten KMU-Standard vor, der erst ab 2026 anzuwenden ist.
Der Richtlinienentwurf berücksichtigt hingegen nicht die Auswirkungen auf mittelbar betroffene Unternehmen: Berichtspflichtige Unternehmen benötigen für ihren Nachhaltigkeitsbericht Informationen, die sie von ihren Geschäftspartnern und Zulieferbetrieben einholen werden. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die unmittelbar Betroffenen zur Gewinnung nötiger Informationen auch ihre Zulieferer, die oft KMUs sind, entsprechend vertraglich einbinden. Dies wird im Vorschlag nicht thematisiert.
IHK: Zu welchen Themen soll künftig berichtet werden?
Philipp Nüßlein: Unternehmen müssen einerseits darüber informieren, wie sich Nachhaltigkeitsthemen auf ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie auswirken. Andererseits sind die Auswirkungen des Unternehmens auf Umwelt und Gesellschaft zu beschreiben. Im Vergleich zur aktuellen Richtlinie erweitert der Vorschlag deutlich die Liste der darzustellenden Informationen im Bereich der Sozial- und Umweltbelange, bleibt dabei aber zum Teil sehr vage. So sind beispielsweise der unternehmerische Beitrag zur Erreichung des Pariser Klimaziels und zur Biodiversität aufzuzeigen. Hinzukommt, dass die betroffenen Unternehmen zukünftig auch zu Themen der Governance Stellung beziehen sollen, so zum Beispiel zur Geschäftsstrategie, den gesteckten Nachhaltigkeitszielen sowie zur Rolle des Managements in Bezug auf Nachhaltigkeitsfaktoren.
Sofern angemessen, sollte der Bericht auch Informationen über die Wertschöpfungskette des Unternehmens umfassen, einschließlich der eigenen Geschäftstätigkeit, Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens, seiner Geschäftsbeziehungen und seiner Lieferkette.
Eine ganz wesentliche Änderung betrifft letztlich auch die Perspektive des Berichts: Er soll in Zukunft nicht nur - wie bis dato - einen Rückblick auf die Geschäftsaktivitäten geben, sondern auch einen kurz-, mittel- sowie langfristigen Ausblick auf die Pläne des Unternehmens enthalten. Schließlich muss der CSRD-Entwurf im Zusammenhang mit der Taxonomie-Verordnung gesehen werden, einem weiteren Regelwerk der EU. Denn Unternehmen, die unter die CSRD fallen sollten, müssten in ihrem Bericht zukünftig angeben, inwiefern die eigenen wirtschaftlichen Tätigkeiten die Taxonomie-Nachhaltigkeitskriterien erfüllen.
IHK: Gibt es auch Vorgaben für die Aufbereitung der Informationen?
Philipp Nüßlein: Ja, auch das „Wie“, sprich die Aufbereitung der Informationen, wird sich im Vergleich zur aktuellen Richtlinie deutlich verändern: Bisher können sich die rund 550 berichtspflichtigen Unternehmen in Deutschland frei entscheiden, ob sie den Bericht nach eigener Vorstellung aufbauen oder sich bei der Strukturierung ihres Berichts an einem der offiziell anerkannten Rahmenwerke, zum Beispiel dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex, orientieren wollen. Zweck des CSRD-Entwurfs ist es jedoch, die Vergleichbarkeit der Informationen für die Finanzmarktteilnehmer zu verbessern. Aus diesem Grund soll die bisherige Flexibilität entfallen: Die geforderten Angaben müssen zukünftig im Lagebericht des Geschäftsberichts dargestellt werden. Zudem müsste der Bericht in einem maschinenlesbaren Format veröffentlicht werden, das ein „Tagging“ der Nachhaltigkeitsinformationen ermöglicht.
Um die Zuverlässigkeit der Berichterstattung zu verbessern, fordert die Kommission in ihrem Entwurf, die Ermittlung der dargelegten Informationen offenzulegen. Dies könnte für manche Unternehmen bedeuten, dass es zukünftig einer erweiterten technischen Ausstattung bedarf, um einzelne Aspekte, die im Bericht dargestellt werden, quantitativ und qualitativ belegen zu können.
Aus Gründen der Qualitätssicherung enthält der Vorschlag auch eine Pflicht zur externen Prüfung. Dabei soll kontrolliert werden, inwieweit die Angaben den Berichterstattungsstandards entsprechen, welchen Prozess das Unternehmen zur Ermittlung der berichteten Informationen implementiert hat und ob die Kennzeichnung nach den Anforderungen des elektronischen Reporting-Formats erfüllt wird. Neben der verpflichtenden Prüfung schlägt die Kommission Sanktionen bei Verstößen hinzu. 
IHK: Können und sollten sich Unternehmen schon vorbereiten?

Philipp Nüßlein: Noch wird an den Standards gearbeitet. Die EU-Kommission plant, die verbindlichen Kernstandards spätestens Ende Oktober 2022 zur Verfügung zu stellen. Der erste Bericht auf Grundlage der künftigen CSRD soll dem Entwurf zufolge dann voraussichtlich im Jahr 2024 über das Geschäftsjahr 2023 veröffentlicht werden. Wer auf die Fertigstellung der Standards wartet und sich dann erst vorbereitet, hätte nur zwei Monate Vorbereitungszeit. Dies ist selbst für bereits berichtspflichtige Unternehmen unrealistisch, da die Anforderungen bezüglich der Gewinnung und Aufbereitung von Informationen einen weitaus tieferen Blick in die Lieferketten und Produktionsverfahren voraussetzen. Wir sprechen nicht von einer Anpassung, sondern von einer Neuaufstellung der bisherigen Reporting-Strukturen.
Auch wenn EU-Parlament und Rat noch Anpassungen am Entwurf vornehmen können, ist davon auszugehen, dass die allgemeine Kursrichtung steht. Es gilt, sich also bereits jetzt vorzubereiten. Denn Basis eines effektiven Nachhaltigkeitsmanagements und damit auch des CSR-Reportings sind valide Daten. Unternehmen sollten sich daher frühzeitig einen Überblick über relevante Kennzahlen, Ziele, Aktivitäten verschaffen und alle Informationen sowie Zuständigkeiten an einem Ort bündeln, um damit wirksam arbeiten und berichten zu können.
Eng damit verbunden ist die Sensibilisierung von Mitarbeitern, Kunden und Geschäftspartnern. Es ist nötig, sich mit den Anforderungen auseinandersetzen und entsprechende Vorarbeiten wie Mitarbeiterschulungen, die Implementierung von Messinstrumenten, den Aufbau und die Einführung von Berichtsstrukturen und Berichtsformaten vorzunehmen.
Mittelbar betroffenen KMUs raten wir, mit ihren Kunden und Geschäftspartnern, die berichtspflichtig sind, in Kontakt zu treten, um zu erfahren, welche Unterstützung in Sachen Datenzulieferung erwartet wird.
IHK: Wie lautet Ihr Fazit zu CSRD? Ist der EU der große Wurf gelungen oder kommt da ein neues Bürokratiemonster auf uns zu?
Philipp Nüßlein: In der Diskussion um den CSRD-Entwurf geht manchmal unter, dass Unternehmen gesellschaftliche Verant­wortung bereits auf vielfältige Weise übernehmen, durch ehrenamtliches Engagement zum Beispiel. Weil sie innovativ sind und auf die Bedürfnisse der Kunden reagieren, sind Wirtschaften und Nachhaltigkeit kaum noch getrennt voneinander zu verstehen. Der Entwurf der CSRD ist jedoch im Kontext des Green Deals zu verstehen, der nichts weniger als die grüne Transformation der EU anstrebt und Europa zum Vorreiter nachhaltigen Handels machen möchte – im Eiltempo. Das wird auch im jetzigen Entwurf deutlich: Wir wissen, dass einige Unternehmen die Überarbeitung der CSR-Richtlinie zumindest teilweise positiv werten und eine Berichtspflicht sowie einheitliche Standards, die vorgeschlagene Digitalisierung oder die Prüfung für mehr Effizienz in der Anwendung unterstützen. Aus Sicht der meisten betroffenen Unternehmen ist die Ausweitung der Berichtspflicht jedoch nicht angemessen, da mit erheblichem zusätzlichem Aufwand für Dokumentation und Information sowie Kosten für die Erstellung, Prüfung und Veröffentlichung zu rechnen ist.
Standards sollten praktikabel sein. Eine Transformation sollte auch die Kleinen mitnehmen. Dies ist neben der geringen Vorbereitungszeit das wesentliche Manko des Entwurfs: Die spezifischen Herausforderungen von mittelbar betroffenen Unternehmen, insbesondere KMUs, werden kaum berücksichtigt.
Fakt ist, dass der Nachhaltigkeitsbericht in Zukunft von Stakeholdern noch stärker wahrgenommen wird, nicht zuletzt weil er zwingend zusammen mit dem Lagebericht des Unternehmens veröffentlicht werden soll.
Alice Sophie Thomas
Bereich: Unternehmen und Standort
Themen: Umwelt- und Energieberatung, Umwelt- und Energiepolitik