Im Porträt

Kochen nach Warenkorb

Wer im „Muse Chocolat” in Heppenheim zu Mittag speisen will, weiß vorab nicht, was es gibt. Gegessen wird, was auf den Tisch kommt. Überraschung gehört zum Restaurantkonzept – genau wie frische Produkte und große Kochkunst.
Autorin: Miriam Ulrich, 3. März 2020
Genuss braucht Zeit, Qualität auch. Darum steht Entschleunigung ausdrücklich auf der Speisekarte des „Muse Chocolat“ in der Heppenheimer Altstadt. Welches Drei-Gänge-Menü jeweils mittags zwischen 12 und 14 Uhr aufgetischt wird, ist dort hingegen nicht zu lesen. Das entscheidet sich erst wenige Stunden vorher und hängt vom aktuellen Angebot des Bio-Ladens ein paar Häuser weiter ab, von dem das „Muse Chocolat“ Obst und Gemüse bezieht. So gibt es an einem Mittag Wildkräutersalat, Tomaten-Perlgraupen-Risotto mit geschmortem und kurz gebratenem Gemüse, zum Dessert ofenfrische Crème brulée, Schokoladenkuchen sowie Mousse au Chocolat – und am nächsten Tag etwas völlig anderes. „Wir kochen nach Warenkorb und immer alles frisch“, erläutert Nicole Dörsam.
Die Hotelfachfrau und ihr Ehemann, der international ausgezeichnete Pâtissier Detlef Dörsam, eröffneten das „Muse Chocolat“ 2013. Zuvor hatten sie das baufällige, denkmalgeschützte Fachwerkhaus zum größten Teil eigenhändig saniert und mit viel Liebe zum Detail ein individuelles Ambiente geschaffen. In der offenen Küche im Erdgeschoss ist hinter dem gusseisernen Gasherd die Stadtmauer aus dem Jahr 1060 zu sehen. Ein weiterer Blickfang ist die große mechanische Kaffeemaschine auf dem Tresen. Insgesamt bietet das Haus auf zwei Etagen Raum für 60 Gäste, bei schönem Wetter finden nochmals 30 Gäste auf der Dachterrasse Platz.

Muße mitbringen, sich ganz dem Genuss zu widmen

Beim Konzept setzt das Ehepaar Dörsam ebenfalls auf traditionelle Handwerkskunst. „Wir möchten unseren Gästen Sinn für die ursprüngliche Qualität frischer Speisen vermitteln, sodass sie wieder das Schmecken lernen“, sagt Nicole Dörsam. Alles wird handgemacht, einen Teil Mehle mahlen sie aus alten Kornsorten selbst. Sie verwenden keine Backmischungen oder vorgefertigten Produkte, auch nicht beim Kochen. Viele Menschen seien heute gewohnt, dass es überall immer alles gebe. „Man kann es aber nicht immer allen recht machen.“ Stattdessen beschränken sie in ihrem Dessert-Restaurant ganz bewusst die Auswahl. Die meisten Gäste wissen das zu schätzen und nehmen auch einmal Wartezeiten in Kauf. „Wir wollen, dass sie eine Auszeit vom Alltag nehmen und die Muße mitbringen, sich ganz dem Genuss zu widmen“, sagt Detlef Dörsam, der auch schon im Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, arbeitete.
Nach wie vor legt der Konditor und Bäckermeister selbst Hand an. In der zweiten Küche steht seit zweieinhalb Jahren Küchenchef Lukas Stratmann am Herd. Vorher kochte er im „Nassauer Hof“ in Wiesbaden, zu dem auch das Gourmet-Restaurant „Ente“ gehört. Insgesamt beschäftigen die Dörsams zwölf festangestellte Mitarbeiter, hinzukommen Leihköche für Feiern und Veranstaltungen, die sie von Anfang an ausrichten. Zweimal im Monat bieten sie zudem Restaurantabende im „Muse Chocolat“ an, das einer der Preisträger des hessenweiten Wettbewerbs „Mein Lieblingsladenlokal 2019!“ ist. Für die Restaurantabende ist eine vorherige Anmeldung erforderlich.

Tischlein deck Dich

Im Jahr 2015 eröffneten sie das „Haus der Muse“ schräg gegenüber. Eine dritte Küche sowie eine größere Backstube wurden benötigt, in der morgens Brot und Brötchen und vormittags die Kuchen und Törtchen gebacken werden. All das verkaufen sie dort auch in einem Laden. Im „Schokoladenzimmer“ können Kunden zusehen, wie in der sogenannten Conche Schokolade hergestellt wird. Die Scheune und der in Eigenarbeit freigelegte Gewölbekeller können für Events gemietet werden. Unter dem Titel „Tischlein deck Dich“ veranstalten Detlef und Nicole Dörsam dort zweimal im Monat eine Art kulinarische Reise mit Speisen und Getränken aus einem bestimmten Land. Das Ziel wird vorher verraten, alles andere nicht. „Auch hier gehört die Überraschung dazu, damit sich die Gäste nicht langweilen“, sagt Nicole Dörsam.
Viele von ihnen nehmen regelmäßig teil und reisen dafür aus dem Rhein-Main-Gebiet, dem Saarland, Mannheim und Stuttgart an. Weil sie die meisten Teilnehmer inzwischen gut kennt, weiß die Gastgeberin auch, wo sie Neulinge platziert, damit sie leicht Anschluss finden und sich wohlfühlen. Denn im Gegensatz zu den Restaurantabenden im „Muse Chocolat“ schreibt sie für dieses Event Tischkärtchen. Es herrsche jedoch eine ungezwungene Atmosphäre, die Gäste reichen sich die Schüsseln weiter, erläutert Nicole Dörsam. Alle Gänge seien eingedeckt, der Service reiche die Speisen ständig nach. „Im Alltag wären sich die meisten der Gäste sonst nicht begegnet“, weiß sie, aber durch das gemeinsame Essen seien schon freundschaftliche Kontakte entstanden. Denn sie alle eine, dass sie gern gut essen und genießen.
Matthias Voigt
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: IHK-Magazin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit