Ausbildung während der Coronakrise

Wenn der Laptop die Werkbank ersetzt

Seit 1966 unterstützen die IHK-Bildungszentren Unternehmen aus der Region bei der Ausbildung ihrer Nachwuchsfachkräfte im gewerblich-technischen Bereich. An den Standorten in Heppenheim und Erbach werden Ausbildungsinhalte dabei besonders praxisnah vermittelt. Als Anfang März aufgrund der Pandemie kein Präsenzunterricht mehr angeboten werden durfte, verlagerte das Ausbilderteam sein Unterrichtsmodell ins Internet und konnte so innerhalb einer Woche nach Schließung den Betrieb digital wieder aufnehmen.
Autor: Jonathan Kuhn, 21. Juli 2020
Wer über die Bildungszentren seine Ausbildung absolviert,  macht das nicht im geschlossenen Block, sondern belegt drei Module, die auf die einzelnen Ausbildungsjahre verteilt sind. Der Unterricht wird durch IHK-Ausbildungsmeister geleitet, die  dafür auf eine umfangreiche technische Ausrüstung zurückgreifen können. Dank dieses Modells lernen Auszubildende nicht nur theoretische Fachkenntnisse, sondern können diese auch direkt im Maschinenpark der Bildungszentren anwenden. Insbesondere kleinere Ausbildungsbetriebe, die in diesem Umfang nicht über die technische Ausrüstung verfügen, profitieren von diesem praxisorientierten Angebot.

Lockdown in den Unternehmen und im Bildungsbetrieb

Als im März dieses Jahres alle Bildungseinrichtungen ihren Betrieb einstellen mussten, waren auch die IHK-Bildungszentren hiervon betroffen. Publikumsverkehr an den Standorten in Heppenheim und Erbach war vorerst nicht mehr möglich und auch viele Unternehmen mussten ihre Produktion herunterfahren oder sogar zeitweise komplett einstellen. Das stellte auch viele Ausbilder vor große Probleme, denn an eine normale Weiterführung der Ausbildung war unter diesen Umständen nicht zu denken. Besonders schwierig stellte sich die Situation für Auszubildende dar, die vor ihren Zwischen- und Abschlussprüfungen standen und nun unter erschwerten Bedingungen sich auf ihre Prüfungen vorbereiten sollten.
Wie also kann man während einer Pandemie den angehenden Fachkräften trotzdem eine angemessene Ausbildung ermöglichen? Diese Frage stellt sich auch das Team der IHK-Bildungszentren.

Mit Video-Calls allein ist es nicht getan

„Uns war klar, dass wir schnell reagieren müssen. Daher haben wir uns entschlossen, den Unterricht so schnell wie möglich online abzuhalten“, erklärt Alexander Knapp, Leiter der IHK-Bildungszentren. Der Unterricht lief in Folge über Videokonferenzen, doch mit  Video-Calls war es noch nicht getan: „Wir mussten unsere kompletten Lehrmaterialen anpassen und eine geeignete Onlineplattform finden, damit die Azubis auch schnell und unkompliziert an die Unterlagen kommen“, sagt Alexander Knapp.
„Dann mussten alle Teilnehmer informiert und Unterrichtsgruppen koordiniert werden, was gar nicht so einfach war, da einige Unternehmen bereits geschlossen hatten“, berichtet IHK-Ausbilder Felix Schäfer, der zusammen mit seinem Kollegen Andreas Haub die Umstellung auf den Online-Unterricht in den Bildungszentren koordiniert hatte. „Außerdem mussten wir geeignete Software anschaffen, da die Azubis bei vielen unterschiedlichen Unternehmen beschäftigt sind, die jeweils ganz eigene Anforderungen an die Ausbildung haben“, ergänzt sein Ausbilder-Kollege Andreas Haub. Dank dieser neuer Anschaffungen konnte das Team nun auch komplizierte Themen wie Hydraulik per Simulationssoftware den angehenden Fachkräften vermitteln.
Trotz organisatorischer Hürden konnten die Bildungszentren bereits eine Woche nach Schließung wieder den Unterricht aufnehmen. Daran hatten neben der schnellen Arbeit des IHK-Teams auch die Unternehmen ihren Anteil: „Die Ausbilder aus den Firmen haben alle mitgezogen und uns gut unterstützt und auch für kleineren Anlaufschwierigkeiten Verständnis gezeigt“, sagt Alexander Knapp. Auch Arno Steinmann, Ausbildungsleiter für gewerbliche Berufe im Unternehmen Heeresinstandsetzungslogistik (HIL) in Darmstadt, lobt die Zusammenarbeit: „ Drei unserer Azubis nehmen am Unterricht in Heppenheim teil. Deswegen waren wir sehr froh darüber, dass der Umstieg relativ reibungslos ablief - auch, wenn der Online-Unterricht anfangs sowohl für uns als Ausbilder als auch für die Azubis etwas gewöhnungsbedürftig war.“

Eine Pflicht für Mikrofon und Kamera gibt es nicht

Gewöhnungsbedürftig war der Umstieg auch für die IHK-Ausbilder: „Es ist schon sehr seltsam, wenn man ganz allein vor der Kamera sitzt“, meint Andreas Haub. „Mit Unterricht per Webcam hatte ja auch noch keiner von uns Erfahrung gemacht. Deswegen haben wir uns im Team zusammengesetzt und das erstmal geübt“, ergänzt Felix Schäfer. Vor allem der direkte Austausch mit den Teilnehmern fehlt dem Ausbilderteam. Trotzdem verzichtete man darauf, spezielle Regeln für den Unterricht festzulegen. Die Auszubildenden müssen sich zu Beginn des Unterrichts in den Video-Call einwählen und sich per Chat bei der Lehrkraft melden. Eine Pflicht für Kamera und Mikrofon gibt es nicht. „Trotzdem merken wir, dass die Azubis mit Kamera und Mikrofon deutlich engagierter dabei sind“, schildert IHK-Ausbilder Felix Schäfer.
Der Großteil der Auszubildenden schaltet sich von Zuhause aus zu. So zum Beispiel auch die Azubis von HIL. „Es reicht ja in der Regel schon ein Smartphone oder Tablet, um am Unterricht teilzunehmen und das haben ja heutzutage fast alle jungen Leute“, sagt Arno Steinmann. Trotzdem stellen vereinzelte Unternehmen ihren Azubis auch Räume im Betrieb zur Verfügung, falls sie sich nicht von Zuhause einwählen können.
Doch wie stellt man sicher, dass die jungen Leute auch den Unterricht aufmerksam am Bildschirm verfolgen? „Wir überwachen die Teilnehmer nicht. Das müssen wir auch gar nicht, denn spätestens wenn wir Übungsaufgaben verteilen, merken wir wer aufgepasst hat und wer nicht“, erklärt Andreas Haub.

Die Prüfungen waren nicht die einzige Sorge der Azubis

Während man für den Unterricht schnell eine digitale Lösung entwickeln konnte, stellten Prüfungen mit ihrer Präsenzpflicht eine Herausforderung dar. Zwar können seit dem 5.Mai auch wieder Prüfungen vor Ort durchgeführt werden, allerdings müssen strenge Abstands-und Hygieneregeln eingehalten werden. Prüflinge werden daher in berufsspezifische Kleingruppen aufgeteilt. Diese wechseln sich nun bei der Nutzung der Prüfungsräume ab, was einen großen organisatorischen Aufwand für die Bildungszentren bedeutet.
Dass die Vorbereitung auf eine Prüfung während einer Pandemie nicht nur wegen dem Lehrstoff besonders herausfordernd ist, erlebten zuletzt auch die IHK-Ausbilder hautnah: „ Manche Teilnehmer hatten während der vergangenen Wochen große Zukunftssorgen, weil Firmen während des Lockdowns  um ihre Existenz  kämpften und in Teilen immer noch kämpfen. Oft war nicht klar, ob die Azubis nach ihrem Abschluss übernommen werden können. Der ein oder andere musste nicht nur Lernstoff pauken, sondern auch gleichzeitig auf Jobsuche gehen. Das belastet natürlich“, sagt Felix Schäfer. Glücklicherweise gilt dies nicht für alle Unternehmen aus Region. So werden unter anderem bei HIL in Darmstadt alle Auszubildenden nach ihrer Abschlussprüfung übernommen.

Ein Unterrichtsmodell mit Zukunft?

Aktuell arbeitet das Team von Alexander Knapp weiter daran, soweit es die Regelungen zulassen, wieder zum Regelbetrieb zurückzukehren und vermehrt auch wieder Azubis vor Ort zu unterrichten. Daher hofft man auf weitere Corona-Lockerungen nach den Sommerferien. Teile des Online-Angebots sollen aber auch über die Pandemie hinaus weiter zur Verfügung stehen. Insbesondere Azubis im dritten Ausbildungsjahr seien eine geeignete Zielgruppe für den Online-Unterricht, da die Ausbildungsinhalte im dritten Modul sehr theorielastig sind. Außerdem können für den Fall, dass ein Ausbilder im Urlaub ist oder krankheitsbedingt ausfällt, die Teilnehmer beider Bildungszentren per Video-Call relativ unkompliziert  zusammen unterrichtet werden. Trotz erfolgreicher Digitalisierung sind sich sowohl das Team von Alexander Knapp als auch Arno Steinmann einig: Komplett wird die Videokonferenz natürlich nie den Praxisunterricht ersetzen können.
Alexander Knapp
Teamleiter
Bereich: Aus- und Weiterbildung
Themen: IHK-Bildungszentren Bergstraße und Odenwald, Ausbildung Metall, Lehrgänge Hydraulik