Fragen und Antworten

Beschäftigung von Menschen mit Behinderung

Zur Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung

Neun Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung sind nach Angaben des statistischen Bundesamtes schwerbehindert. Das sind 7,3 Mio. Menschen, die einen Schwerbehindertenausweis haben. Im Vergleich zur letzten Erhebung ist ihre Zahl um 2,6 Prozent gestiegen. Es ist daher nicht auszuschließen, dass ein Arbeitnehmer, der sich bewirbt oder der bereits im Betrieb beschäftigt ist, eine Schwerbehinderung hat. Zumal die meisten Behinderungen erst durch eine Erkrankung entstehen. Stellt sich die Frage, wann und ob der Arbeitgeber überhaupt nach einer Schwerbehinderung fragen darf und welche Vorteile dieses Wissen hat. Antworten gibt Anwältin Dorothea Mühlig-Seel.

Wann darf der Arbeitgeber nach der Schwerbehinderung fragen?

Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist die Frage nach der Schwerbehinderung im bestehenden Arbeitsverhältnis – jedenfalls nach sechs Monaten – zulässig (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Februar 2012 – AZ 6 AZR 553/10). Denn dann gilt der besondere Kündigungsschutz für behinderte Menschen. Insbesondere vor Kündigungen hat der Arbeitgeber das Recht, nach einer Schwerbehinderung zu fragen, damit er sich rechtstreu verhalten kann. Die Frage stellt dann nach Ansicht des BAG keine Diskriminierung dar und verstößt auch nicht gegen Datenschutzrecht.

Hat der Arbeitnehmer eine Mitteilungspflicht?

Nach Feststellung der Schwerbehinderung bleibt es dem Arbeitnehmer überlassen, ob er diese dem Arbeitgeber mitteilt oder nicht. Denn solange er die im Arbeitsvertrag aufgeführten Pflichten vom Arbeitnehmer erfüllen kann, gibt es keine Informationspflicht. Allerdings besteht dann auch kein Anspruch auf Zusatzurlaub (fünf Tage) oder Teilnahme an der Wahl der Schwerbehindertenvertretung. Wirkt sich die Behinderung allerdings einschränkend auf die Tätigkeit aus, muss der Arbeitnehmer den Arbeitgeber informieren. Insbesondere dann, wenn eine Selbst- oder Fremdgefährdung besteht. Dabei ist es nicht notwendig, die Diagnose der Erkrankung mitzuteilen.

Darf der Arbeitgeber auch im Bewerbungsverfahren nach der Schwerbehinderung fragen?

Ob die Frage nach der Schwerbehinderung auch schon im Einstellungsverfahren zulässig ist, wenn sie sich nicht negativ auf die Beschäftigung auswirken wird, hat das Bundessozialgericht noch nicht abschließend geklärt. Nach vorherrschender Meinung stellt die Frage nach einer Schwerbehinderung ohne Bezug auf die Tätigkeit eine Diskriminierung dar und ist deshalb unzulässig.

Welchen Nachweis braucht der Arbeitgeber?

Als Nachweis der Schwerbehinderung gilt der vom Versorgungsamt ausgestellte Schwerbehindertenausweis. Als Nachweis der Gleichstellung dient der von der Arbeitsagentur ausgestellte Gleichstellungsbescheid. Ab dem Tag der Anerkennung besteht für schwerbehinderte (nicht für gleichgestellte) Arbeitnehmer ein Anspruch auf Zusatzurlaub (§ 125 SGB IX). Mit Vorlage des Nachweises wird dieser Anspruch beim Arbeitgeber geltend gemacht.

Wie verhält es sich mit dem Anspruch auf besonderen Kündigungsschutz?

Auch dann, wenn der Schwerbehinderte oder gleich gestellte Arbeitnehmer den Arbeitgeber nicht informiert hat, bleibt ihm der besondere Kündigungsschutz (SGB IX §§ 85 ff.) erhalten. Voraussetzung ist der Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft zum Zeitpunkt der Kündigung.
Im Falle einer Kündigung muss er seinen Anspruch innerhalb von drei Wochen geltend machen. Dem Arbeitgeber gibt diese Frist die Möglichkeit, entsprechende Schritte einzuleiten – nach einer behinderungsgerechten Beschäftigung im Betrieb zu suchen, das Integrationsamtes zwecks Umgestaltung des Arbeitsplatzes einzuschalten oder aber, sofern keine Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung besteht, die Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt zu beantragen (§ 86 SGB IX). Ist der Schwerbehinderte noch nicht länger als sechs Monate im Betrieb beschäftigt, ist die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung nicht erforderlich (§ 90 Abs. 1 S. 1 SGB IX).
Weitere Ausnahmen nach § 90 SGB IX – das bedeutet: kein erhöhter Kündigungsschutz existiert bei
  • schwerbehinderten Arbeitnehmern, die 58 Jahre und älter sind – sie haben Anspruch auf eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung aufgrund eines Sozialplanes
  • schwerbehinderten Arbeitnehmern, die Anspruch auf Knappschaftsausgleichsleistung oder auf Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus haben, wenn ihnen die  Kündigungsabsicht rechtzeitig mitgeteilt wurde und sie dieser bis zu deren Ausspruch nicht widersprechen
  • bei Entlassungen aus Witterungsgründen – sofern die Wiedereinstellung bei Wiederaufnahme der Arbeit bei besserem Wetter gewährleistet ist
Hat das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung erteilt, kann der Arbeitnehmer Widerspruch einlegen und bei Erfolglosigkeit Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben. Allerdings haben Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung. Der Arbeitnehmer kann auch eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen.

Welche Folgen hat eine verschwiegene Schwerbehinderung für den Arbeitnehmer?

Schwerbehinderte haben Anspruch auf bezahlten zusätzlichen Urlaub von 5 Arbeitstagen im Urlaubsjahr (§ 125 SGB IX), dies gilt aber nicht für Gleichgestellte (vgl. § 63 Abs 3 SGB IX) – und werden auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freigestellt (§ 124 SGB IX). Diese Ansprüche entgehen ihnen, wenn ihre Schwerbehinderung nicht bekannt ist.

Welche Folgen hat eine verschwiegene Schwerbehinderung für den Arbeitgeber?

Die Unkenntnis über die Schwerbehinderung oder Gleichstellung eines Arbeitnehmers kann für den Arbeitgeber teuer sein. Denn in Deutschland ist die Beschäftigung Schwerbehinderter Pflicht. Im Falle einer Nichterfüllung der Beschäftigungsquote müssen Betriebe eine Ausgleichsabgabe entrichten, die das Integrationsamt erhebt (§102 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX).
Der Arbeitgeber muss die Anzahl der beschäftigten schwerbehinderten und gleichgestellten Mitarbeiter selbst melden – und kann naturgemäß nur die ihm bekannten Fälle angeben.

Wie hoch sind Beschäftigungsquote und Ausgleichsabgabe?

Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen müssen auf mindestens 5 Prozent davon schwerbehinderte Menschen beschäftigen, insbesondere Schwerbehinderte, die bei der Agentur für Arbeit gemeldet sind (§ 71 Abs. 1 SGB IX).
Die Höhe der Ausgleichsabgabe beträgt je unbesetztem Pflichtarbeitsplatz (ab dem Anzeigenjahr 2012):
  • 125 Euro bei einer Beschäftigungsquote von 3 bis weniger als 5 Prozent
  • 220 Euro bei einer Beschäftigungsquote von 2 bis weniger als 3 Prozent
  • 320 Euro bei einer Beschäftigungsquote von weniger als 2 Prozent
Erleichterungen für kleinere Betriebe: 
  • Firmen mit weniger als 40 Arbeitsplätzen müssen einen schwerbehinderten Menschen beschäftigen – andernfalls müssen sie 115 Euro pro Monat bezahlen.
  • Arbeitgeber mit weniger als 60 Arbeitsplätzen müssen zwei Pflichtplätze besetzen – andernfalls bezahlen sie 230 Euro, wenn beide unbesetzt sind, 200 Euro, wenn ein Pflichtarbeitsplatz unbesetzt bleibt.
Die vom Arbeitgeber selbst zu errechnende Ausgleichsabgabe ist in einer Summe bis spätestens 31. März für das vorangegangene Jahr an das Integrationsamt zu entrichten.

Die Zahlung hebt die Beschäftigungspflicht jedoch nicht auf.

Das Gesetz berücksichtigt nicht, aus welchen Gründen der Arbeitgeber seiner Beschäftigungspflicht nicht nachgekommen ist, ob er daran ein Verschulden trägt oder nicht. Dieser kann sich also beispielsweise nicht darauf berufen, dass ihm die Agentur für Arbeit keinen schwerbehinderten Mitarbeiter vermitteln konnte. Folglich gibt es auch nach dem Gesetz keine Möglichkeit zum Erlass oder zur Ermäßigung der Ausgleichsabgabe.

Was gibt es noch zu beachten?

Was viele Arbeitgeber nicht wissen: Ist ein freier Arbeitsplatz zu besetzen, muss immer erst geprüft werden, ob er mit einem schwerbehinderten Menschen oder einem ihm Gleichgestellten besetzt werden kann (§ 81 SGB IX). Tut der Arbeitgeber das nicht, hat das gegebenenfalls unangenehme Konsequenzen. Insbesondere kann der Betriebsrat die Zustimmung zur Einstellung eines nicht behinderten Arbeitnehmers verweigern.

Welche Förderleistungen gibt es?

In vielen Fällen können Arbeitgeber – auch Kleinbetriebe, die nicht der Beschäftigungspflicht unterliegen – Förderleistungen für die Beschäftigung und Einstellung schwerbehinderter Menschen in Anspruch nehmen.
Diese Leistungen werden gewährt als finanzielle Zuschüsse
  • zur Ausbildung von Menschen mit einer Schwerbehinderung
  • bei Einstellung von Menschen mit einer Schwerbehinderung
  • für Hilfen im Arbeitsleben der Menschen mit einer Schwerbehinderung
Die Integrationsämter, Agenturen für Arbeit oder andere Rehabilitationsträger (gesetzliche Renten- oder Krankenversicherung) prüfen die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Förderung. Zudem setzen die Bundesländer regelmäßig zeitlich befristete Sonderförderprogramme auf, aus denen vorrangig solche Arbeitgeber Leistungen erhalten, die ohne Beschäftigungspflicht oder über die Beschäftigungspflicht (§ 71 SGB IX) hinaus schwerbehinderte Menschen einstellen.
Voraussetzung für die Förderung ist die unbefristete oder für mindestens zwölf Monate befristete Einstellung eines schwerbehinderten Menschen. Die Höhe des Zuschusses beträgt maximal 90 Prozent des Arbeitsentgelts zuzüglich des pauschalierten Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Die Dauer liegt bei höchstens 24 Monaten, für schwerbehinderte Menschen ab 50 Jahren höchstens 36 Monaten. Nach jeweils einem Jahr wird die Förderung regelmäßig um mindestens zehn Prozent gekürzt.
Eine teilweise Rückzahlungspflicht kann entstehen, wenn das Arbeitsverhältnis innerhalb von zwölf Monaten nach Ende der Förderung beendet wird. Ausnahmen: Kündigungsgrund für Arbeitgeber, Eigenkündigung oder Erreichen des Rentenalters.
Fazit: Die Beschäftigung eines schwerbehinderter Menschen kann eine echte Alternative sein. Je nachdem, wo er eingesetzt wird, ist er eine vollwertige Arbeitskraft. Gerade für Existenzgründer sind die staatlichen Fördermaßnahmen zur Einstellung von Schwerbehinderten interessant.
Dorothea Mühlig-Seel ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht bei der Darmstädter Kanzlei Goerke & Kollegen. www.goerke-kollegen.de
Stand: Februar 2016