Verbrauchervertrags- und Versicherungsvertragsrechts
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Sächsisches Staatsministerium der Justiz
Frau Ministerialrätin Hansastraße 4 01097 Dresden |
28.07.2025
Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Verbrauchervertrags- und Versicherungsvertragsrechts
Sehr geehrte Frau Ministerialrätin,
die Sächsischen Industrie- und Handelskammern bedanken sich für die Möglichkeit, zum Referentenentwurf zur Änderung des Verbrauchervertrags- und Versicherungsvertragsrechtes eine Einschätzung abgeben zu können:
Der Referentenentwurf verfolgt das Ziel, den digitalen Verbraucherschutz zu stärken und unionsrechtliche Vorgaben umzusetzen. Obwohl bei der Umsetzung der RL 2023/2673 von Seiten des Gesetzgebers kein Spielraum für Abweichungen bestehe, soll hier ausdrücklich auf die sich aus Sicht der sächsischen Industrie- und Handelskammern ergebenden enormen Belastungen für die Wirtschaft und insbesondere die kleinen Unternehmen hingewiesen werden.
1. Änderungen zum BGB
§ 312a BGB-E
Der Entwurf sieht vor, dass in § 312a Abs. 1 BGB folgender Satz 2 angefügt wird:
“Bei Fernabsatzverträgen über Finanzdienstleistungen ist der Verbraucher vom Unternehmer in Kenntnis zu setzen, wenn der Anruf aufgezeichnet wird oder aufgezeichnet werden könnte.”
Der Hintergrund der Regelung ist nachvollziehbar: Ziel ist es, Verbraucherinnen und Verbraucher davor zu schützen, dass ihnen im Rahmen telefonischer Kontaktaufnahmen Aussagen abgerungen oder nachträglich so bearbeitet werden, dass sie wie eine Zustimmung zu einem Finanzprodukt erscheinen. Dieses Anliegen ist berechtigt und ist aus verbraucherschutzrechtlicher Sicht nicht zu kritisieren.
Problematisch erscheint allerdings die konkrete Formulierung der gesetzlichen Vorgabe. Nach dem Wortlaut soll der Unternehmer den Verbraucher darüber informieren,
„[…]wenn das Gespräch aufgezeichnet wird oder aufgezeichnet werden könnte“.
Diese Formulierung ist aus Sicht der sächsischen Industrie- und Handelskammern unpräzise und lässt offen, durch wen die Aufzeichnung erfolgt oder erfolgen könnte. Der Unternehmer kann den Verbraucher nur dann wirksam informieren, wenn er selbst das Gespräch aufzeichnet oder eine solche Aufzeichnung durch ihn oder in seinem Auftrag technisch möglich ist. Aus dem derzeitigen Wortlaut geht dies nicht eindeutig hervor.
Es besteht die Gefahr, dass Unternehmer auch für Aufzeichnungen Dritter oder systemseitige Möglichkeiten haftbar gemacht werden könnten, auf die sie keinen Einfluss haben. Vor dem Telos der Norm erscheint dieses Ergebnis unwahrscheinlich. Gleichwohl handelt es sich um eine Ungenauigkeit, die nicht sein muss. Um Rechtssicherheit zu schaffen, sollte die Formulierung daher folgendes klarstellen:
Bei Fernabsatzverträgen über Finanzdienstleistungen ist der Verbraucher vom Unternehmer in Kenntnis zu setzen, wenn der Anruf durch diesen Unternehmer aufgezeichnet wird oder aufgezeichnet werden könnte.
§ 356a BGB-E
§ 356a BGB-E regelt die Einführung einer elektronischen Widerrufsfunktion bei Fernabsatzverträgen, die über eine Online-Benutzeroberfläche geschlossen wurden. Werden Fernabsatzverträge über eine Online-Benutzeroberfläche geschlossen, dann ist der Unternehmer verpflichtet, für den Verbraucher auch die Möglichkeit vorzusehen, dass Verträge durch Nutzung einer elektronischen Widerrufsfunktion widerrufen werden können (§ 356a Absatz 1 Satz 1 BGB).
Bei der Umsetzung hält sich der Gesetzgeber weitgehend an Artikel 1 Nummer 3 Richtlinie RL 2023/2673 der einen neuen Artikel 11a in die Verbraucherrechte-RL eingefügt. Gleichwohl ist zu befürchten, dass die Umsetzung - vor allem für kleine Unternehmen - erhebliche Schwierigkeiten hervorrufen wird. Diese Schwierigkeiten ergaben sich schon im Rahmen der Einführung des sogenannten Kündigungsbuttons und den sich daraus ergebenden zahlreichen Rechtsstreiten.
Die Umsetzung des Widerrufbuttons bedeute für viele kleinere Unternehmen einen unverhältnismäßigen Aufwand. Insbesondere der technische Aspekt der Regelung ist problematisch: Die geforderte zweistufige Widerrufsfunktion mit Bestätigungsmechanismus und der Pflicht zur Übermittlung einer Eingangsbestätigung auf einem dauerhaften Datenträger erfordert nicht nur eine funktionale, sondern letztlich auch barrierefreie Gestaltung. Hierauf wird vulnerablen Personengruppen überdies ein eigener Anspruch eingeräumt. Gem. Art. 246b § 2 Absatz 1 Satz 2 EGBGB-E müssen Informationen auf Wunsch von Verbrauchern mit Behinderungen in einem „geeigneten und barrierefreien Format“ bereitgestellt werden. Auf die damit einhergehenden Probleme wird in den Ausführungen zu den Änderungen des § 8 VVG-E unter Ziff. 3 dieser Stellungnahme verwiesen.
Für Unternehmen ohne eigene IT-Abteilung ist die technische Umsetzung kaum ohne externe Unterstützung möglich. Aus Sicht der sächsischen Industrie- und Handelskammern, sind die im Entwurf veranschlagten einmaligen Kosten in Höhe von 240 Euro pro Unternehmen angesichts der tatsächlichen Anforderungen an Datenschutz, Barrierefreiheit und Systemintegration deutlich zu niedrig angesetzt.
Für Unternehmen ohne eigene IT-Abteilung ist die technische Umsetzung kaum ohne externe Unterstützung möglich. Aus Sicht der sächsischen Industrie- und Handelskammern, sind die im Entwurf veranschlagten einmaligen Kosten in Höhe von 240 Euro pro Unternehmen angesichts der tatsächlichen Anforderungen an Datenschutz, Barrierefreiheit und Systemintegration deutlich zu niedrig angesetzt.
Zudem könnte sich die Regelung zur Implementierung des zweistufigen Widerrufsverfahrens, die ursprünglich dem Verbraucherschutz dienen sollte, in der Praxis als Marktzutrittshürde für kleinere Anbieter erweisen. Das Ziel der Regelung ist grundsätzlich zu begrüßen. Aus Sicht der gewerblichen Wirtschaft, insbesondere der in Sachsen überwiegend vorhandener kleiner Unternehmen, geht der Entwurf - wie schon die europarechtliche Vorgabe – allerdings weit über das Ziel hinaus. Nicht nur droht die Gefahr, dass sich kleinere Anbieter aus dem Online-Geschäft zurückziehen, weil sie den technischen und rechtlichen Anforderungen nicht mehr gerecht werden können. Auch ist damit zu rechnen, dass bei fehlerhafter bzw. unvollständiger Umsetzung des Widerrufsbuttons ein erhöhtes Risiko für Unternehmen besteht, mit Abmahnungen konfrontiert zu sein. Gerade für Abmahnvereine eröffnet sich hier ein neues Betätigungsfeld.
2. Änderungen zum EGBGB
Art. 246 und 246a EGBGB-E
Äußerst kritisch ist auch die Erfüllung der neuen Informationspflichten in Art. 246 und 246a BGB-E zu betrachten. Letzterer wird im Rahmen des Gesetzgebungsverfahren gleich zwei Mal, in Artikel 3 und 4, reformiert.
Völligmisslungen ist dabei Artikel 246a § 1 Absatz 1 Satz 1 Nr. 11 EGBGB-E. Dieser verweist auf die „Verwendung der harmonisierten Mitteilung, die die Kommission auf Grundlage von Artikel 22a Absatz 2 der Richtlinie 2011/83/EU in der Fassung vom 28. Februar 2024 festgelegt hat.“ Solche derart unklaren Regelungen mit einer nur sehr schwer nachzuvollziehenden Verweisungstechnik tragen mehr zur Verwirrung als einer rechtskonformen Anwendung bei.
Auch wenn die Richtlinie selbst einen ähnlichen Text verwendet, so sollte die nationale Umsetzung dazu führen, dass der Rechtsanwender ohne aufwendige Recherche seine Verpflichtung erkennen und umsetzen kann. Es sollte sich bereits aus dem Gesetz ergeben, was das für eine „Mitteilung“ sein soll. Optimalerweise sollte diese Mitteilung textlich mit abgedruckt werden.
Ein weiteres Verweisungsproblem findet sich in Artikel 246a § 1 Absatz 1 Satz 1 Nr. 11a EGBGB-E. Inhalt und Form der „harmonisierten Kennzeichnung“ sollte leicht zugänglich und verständlich sein.
Praktisch schwer umsetzbar ist Artikel 246a § 1 Absatz 1 Satz 1 Nr. 20 EGBGB-E.
Der vom Hersteller verschiedenen Verkäufer einer Ware kann keinen Reparierbarkeitswert ermitteln. Er kennt die in den Produkten verbauten Teile und deren Haltbarkeit, die ggf. Geschäftsgeheimnisse darstellen, nicht. Auch wenn die Verpflichtung durch das Wort „gegebenenfalls“ abgeschwächt wird, so bleibt sie doch bestehen. Dass die Richtlinie diese Vorgabe macht, soll nicht verkannt werden. Die Formulierung lässt den Rechtsanwender aber schon im Unklaren, wie überhaupt der Reparierbarkeitswert bestimmt wird.
3. Änderungen zum VVG
Die Änderungen im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) betreffen ebenso das Widerrufsrecht, die vorvertraglichen Informationspflichten und die Einführung einer elektronischen Widerrufsfunktion. Für kleine Unternehmen in der Versicherungswirtschaft, ergeben sich daraus erhebliche Herausforderungen, die im Entwurf bislang nicht ausreichend berücksichtigt werden.
§ 8 VVG-E
Besonders problematisch ist die verpflichtende Einführung einer elektronischen Widerrufsfunktion bei Versicherungsverträgen bei Online-Abschlüssen (§ 8 Abs. 1 VVG-E). Diese muss dauerhaft verfügbar, barrierefrei und leicht zugänglich sein. Für kleinere Vermittler und Versicherer ohne eigene IT-Abteilungen bedeutet dies einen erheblichen technischen und finanziellen Aufwand. Aus Sicht der sächsischen Industrie- und Handelskammern, sind die im Entwurf veranschlagten einmaligen Kosten in Höhe von 240 Euro pro Unternehmen angesichts der tatsächlichen Anforderungen an Datenschutz, Barrierefreiheit und Systemintegration deutlich zu niedrig angesetzt.
Auch die Pflicht zur barrierefreien Bereitstellung von Informationen auf Verlangen ist unklar formuliert (§ 8 Abs. 1 S. 3 iVm. §§ 312c, 356a BGB, Artikel 246b § 2 Abs. 1 S. 2 EGBGB-E). Der Entwurf lässt offen, was unter einem „geeigneten und barrierefreien Format“ zu verstehen ist. Eine Orientierung an den Standards des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG), insbesondere an der EN 301 549 und den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG 2.1), wäre hier sinnvoll. Gleichzeitig sollte eine abgestufte Anwendungspflicht je nach Unternehmensgröße und digitalem Reifegrad eingeführt werden, um kleine Unternehmen nicht zu überfordern.
Die Neuregelung des Widerrufsrechts bringt zwar durch die zeitliche Begrenzung auf zwölf Monate und 14 Tage (§ 8 Abs. 4 VVG-E), für Lebensversicherungen 24 Monaten und 30 Tagen (§ 152 VVG-E), mehr Rechtssicherheit, erhöht aber zugleich das Risiko insbesondere für kleine Unternehmen, durch formale Fehler in der Belehrung erneut in eine faktisch unbegrenzte Widerrufbarkeit zu geraten.
§ 9 VVG-E
Auch die Rückabwicklung selbst ist im Entwurf sehr detailliert geregelt und erfordert eine differenzierte Prüfung je nach Vertragsart, Belehrung und Leistungsinanspruchnahme (§ 9 VVG-E). Für standardisierte Kurzzeitprodukte wie Reise- oder Tagesversicherungen wäre eine gesetzlich erlaubte Pauschalierung der Rückzahlungsbeträge eine sinnvolle Vereinfachung. So könnte etwa geregelt werden, dass bei Widerruf innerhalb der Laufzeit ein pauschaler Anteil des Beitrags erstattet wird, sofern keine Leistungen in Anspruch genommen wurden. Dies würde den Verwaltungsaufwand erheblich reduzieren, ohne den Verbraucherschutz wesentlich zu beeinträchtigen.
Insgesamt zeigt sich, dass der Entwurf wichtige Impulse für den digitalen Verbraucherschutz setzt, dabei aber die strukturellen Unterschiede zwischen großen Versicherungskonzernen und kleinen Vermittlungsbetrieben nicht ausreichend berücksichtigt.
4. Zusammenfassung
Aufgrund der äußerst kurzen Stellungnahmefrist konnte nur auf wenige ausgesuchte Punkte näher eingegangen werden. Die sächsischen Industrie- und Handelskammern befürchten, dass der Trend bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, sich wegen des Aufwandes aus dem Online-Geschäft zurückzuziehen, nun noch weiter verstärkt wird.
Bereits jetzt muss eine Fülle von Vorschriften umgesetzt werden, die das Betreiben eines einfachen Online-Shops unmöglich machen. Eine Vielzahl von Unternehmen hat noch nicht einmal die Vorgaben des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes umgesetzt und soll nun schon wieder neue Funktionen und Informationspflichten implementieren. Eine differenzierte Umsetzung, die kleine Unternehmen durch klar definierte und aufeinander abgestimmte Standards, abgestufte Pflichten und rechtssichere Muster entlastet, ist dringend erforderlich, um die wirtschaftliche Belastung zu begrenzen und die Akzeptanz der Reform zu erhöhen.
Im Namen der Landesarbeitsgemeinschaft
der sächsischen Industrie- und Handelskammern
der sächsischen Industrie- und Handelskammern
Christoph Neuberg
Hauptgeschäftsführer