Bürokratie ab- statt aufbauen
Ehrenamt erblüht auch ohne Bildungsurlaub
An alle Mitglieder des Sächsischen Landtages
Bernhard-von-Lindenau-Platz 1
01067 Dresden
Bernhard-von-Lindenau-Platz 1
01067 Dresden
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
rund 150.000 Menschen sind in Sachsen aktuell arbeitslos – eine Quote von 6,8 Prozent, die uns auf das Niveau von 2016 zurückwirft. Die Kurzarbeit steigt wieder deutlich an. Die Kapazitätsauslastung der In- dustrie liegt teils auf dem Niveau der Finanz- und Coronakrise. Die bundesweite Wirtschaftsleistung stag- niert nicht nur im Saldo seit 2019, seit Ende 2022 sinkt sie sogar. Besonders betroffen sind die exportstar- ken, wertschöpfungsintensiven Branchen im sächsischen Mittelstand – das Rückgrat unseres Wirtschafts- standortes. Sachsen hat allein in den letzten 24 Monaten 11.000 Industriearbeitsplätze verloren. Zudem leiden vor allem Landkreise, Kreisfreie Städte und kommunale Eigenbetriebe und -gesellschaften unter einer steigenden Verschuldung, die früher oder später auf den Steuerzahler durchzuschlagen droht.
Auf der Suche nach Antworten, wie sich diese Ausgangssituation wieder verbessern kann, vernehmen wir parteiübergreifend den Ruf nach Bürokratieabbau. Es folgen Ermahnungen, hier in Sachsen damit zu be- ginnen und nicht nur auf die bundes- oder europapolitische Ebene zu verweisen.
Nun aber steht im Plenum des Sächsischen Landtages eine Debatte darüber an, ein neues, ein sächsi- sches Qualifizierungszeitgesetz zu verabschieden. Sollte es dazu kommen, werden Arbeitgeber belastet. Mit großer Sorge blicken wir dann einer weiteren Polarisierung in unserer Gesellschaft entgegen. Dabei dürfen Kommunen und Wirtschaft nicht gegen das Ehrenamt ausgespielt werden. Denn beides sind zwei Seiten einer Medaille: Starke Kommunen und Unternehmen unterstützen das lokale Vereinsleben. Ehren- amtlich Engagierte sind in der Regel auch hauptamtlich Leistungsträger. Diese alltäglich geübte Praxis darf nicht aus der Balance gebracht werden. Denn nur, wer das Zusammenleben in der Kommune effizient organisiert, kann Vereinsleben stützen – und nur wer im Unternehmen Gewinne erwirtschaftet, kann davon Sponsoring tätigen.
Bei einem Bildungsurlaub sind Kommunen und Unternehmen gleich doppelt belastet. Einerseits engagie- ren sie sich freiwillig mit Zeit, Geld und Ressourcen – andererseits müssten sie künftig auch noch Arbeits- ausfälle durch gesetzlich geregelte Freistellungen kompensieren. Und das, obwohl wir schon jetzt zahlrei- che Feiertage und Freistellungstatbestände haben und immer mehr Arbeitnehmer nur noch teilzeitbeschäf- tigt sein wollen.
Die geringe Inanspruchnahme des Bildungsurlaubs in anderen Bundesländern macht aber auch überdeut- lich, dass es keinen Bildungsurlaub braucht. Noch nie hatten Sachsens Vereine mehr Mitglieder als derzeit.
Senken wir doch zum Bürokratieabbau bei dieser Gelegenheit die stetig steigenden Regulierungen im Vereinsleben, beispielsweise für Übungsleiter im Sport, statt durch diese Bürokratie immer mehr Schulun- gen erforderlich zu machen, die dann den Ruf nach weiterer Freistellung erzeugen.
Unser Staat muss sich auf die wirklich wichtigen Aufgaben konzentrieren. Wo bleiben die dringend not- wendigen Entlastungen bei Bürokratie, Steuern und Abgaben? Gerade die arbeitende Mitte der Gesell- schaft, die unser Land am Laufen hält, wartet vergeblich auf eine spürbare Entlastung. Stattdessen drohen die Sozialabgaben weiter zu steigen, weil strukturelle Reformen seit Jahren ausbleiben.
Freiwilliges, gesellschaftliches Engagement der Unternehmen – etwa in Form von Sponsoring für Sport, Kultur oder Ehrenamt – darf nicht durch neue gesetzliche Verpflichtungen ausgehöhlt werden. Gerade kleine und mittlere Unternehmen tragen in Sachsen einen erheblichen Teil dieses Engagements – ob im Sport, in der Kultur oder im sozialen Bereich.
Im sächsischen Spitzensport stammen knapp zwei Drittel der Sponsoren aus dem Mittelstand. Im Breiten- sport dürfte der Anteil dieser Unternehmen sogar noch deutlich höher sein. Diese Betriebe fördern Vereine finanziell, ermöglichen Mitarbeitern die Mitwirkung im Ehrenamt und leisten damit einen wesentlichen Bei- trag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort. Ehrenamtliches Engagement lässt sich bereits heute in vielen Unternehmen durch individuelle, praxisnahe Regelungen mit den betrieblichen Abläufen verein- baren – ganz ohne gesetzlichen Zwang.
Auch die kommunalen Haushalte geraten durch den Bildungsurlaub unter Druck. Das Beispiel Dresden zeigt dies besonders deutlich. Die Stadt gewährt ihren rund 7.000 Beschäftigten bereits heute freiwillig zwei Tage Bildungsurlaub – eine Maßnahme, die schon bei ihrer Einführung im Jahr 2019 mit jährlich rund 4 Mio. Euro veranschlagt wurde. Angesichts der seither erheblichen Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst dürfte dieser Betrag heute noch deutlich höher liegen.
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
gemäß Artikel 39 Absatz 3 Satz 1 Sächsische Verfassung vertreten Sie das ganze Volk. Sie sind nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden.
Das Gesetz, über das allein Sie zu entscheiden haben, ist wirtschaftlich schädlich und haushaltspolitisch riskant. Es schafft zusätzliche Bürokratie – in einer Zeit, in der es dringend strukturelle Entlastung braucht. Es belastet Unternehmen und Kommunen, wo heute schon jeder Euro zweimal umgedreht werden muss. Und es untergräbt das Vertrauen in das freiwillige Engagement, das unsere Gesellschaft seit Jahrzehnten trägt. Erfahrungen aus anderen Bundesländern zeigen schließlich, dass nur sehr wenige, oft ohnehin schon privilegierte Beschäftige, vom Bildungsurlaub profitieren.
Setzen Sie ein Zeichen für Verantwortung, Augenmaß und wirtschaftliche Vernunft. Lehnen Sie dieses Gesetz ab – im Interesse unserer Betriebe, unserer Kommunen und der Menschen in Sachsen.
Dr. Jörg Brückner
Präsident
Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft
Präsident
Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft
Uwe Nostitz
Präsident
Sächsischer Handwerkstag
Präsident
Sächsischer Handwerkstag
Max Jankowsky
Präsident IHK Chemnitz
Sprecherkammer der Sächsischen IHKs
Präsident IHK Chemnitz
Sprecherkammer der Sächsischen IHKs
Henry Graichen
Präsident
Sächsischer Landkreistag
Präsident
Sächsischer Landkreistag
Bert Wendsche
Präsident
Sächsischer Städte- und Gemeindetag
Präsident
Sächsischer Städte- und Gemeindetag