Ausbildungsabgabe: Handelskammer stellt Gutachten zur rechtlichen Situation vor / Schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken

(PM 10-2023, 07.03.2023) Die Handelskammer Bremen – IHK für Bremen und Bremerhaven hat heute gemeinsam mit dem Berliner Verfassungsrechtler Prof. Dr. Christian Waldhoff erste Ergebnisse eines von der Handelskammer in Auftrag gegebenen Gutachtens zur verfassungsrechtlichen Einschätzung des Bremer Gesetzentwurfs für eine Ausbildungsabgabe vorgestellt. Danach hat der Verfassungsrechtler schwerwiegende Bedenken gegen den Gesetzentwurf. Die nun vorliegende juristische Einschätzung ist der zunächst auf Bremen bezogene Teil eines umfassenderen Gutachtens, das die Handelskammer gemeinsam mit der IHK Berlin erstellen lässt.

Die Handelskammer Bremen wird nun in der kommenden Woche in ihren Gremien darüber entscheiden, ob gegebenenfalls gemeinsam mit anderen Kammern und Verbänden rechtliche Schritte gegen die Ausbildungsabgabe eingeleitet werden. Die rechtlichen Bedenken wird sie auch bei der Anhörung am morgigen Mittwoch, 8. März 2023, deutlich machen.

Der vorliegende Gesetzentwurf weist nach Darstellung des Gutachtens von Prof. Dr. Waldhoff schwere strukturelle und verfassungsrechtliche Mängel auf. So handele es sich bei der Ausbildungsabgabe um eine Sonderabgabe, für die das Bundesverfassungsgericht fordert, dass die Gruppe der Abgabepflichtigen homogen ist, also dass eine gleiche Interessenlage vorhanden ist. Eine Abgabe im Land Bremen müsste also alle mit Ausbildung befassten Einrichtungen belasten. Mit dem Gesetzentwurf werde aber genau gegen diese verfassungsrechtliche Vorgabe verstoßen, weil er eine Reihe von Ausnahmen von der Abgabepflicht definiert.

Auch die Frage der sogenannten Finanzierungsverantwortung werde durch das Gesetz falsch beantwortet. Dahinter verberge sich die Frage, wer für die Finanzierung von Maßnahmen rund um die Ausbildung verantwortlich ist. Es stehe außer Frage, dass es in den Aufgabenbereich von Unternehmen fällt, Ausbildungsplätze bereitzustellen. Hierzu bekennen sich die Unternehmen in Bremen und Bremerhaven, so die Handelskammer Bremen, auch ohne Wenn und Aber. Allerdings sind nach Einschätzung des Gutachtens alle anderen im Gesetzentwurf genannten Maßnahmen, zum Beispiel zur Erhöhung der Passgenauigkeit, Teil staatlicher Aufgaben. Auch hier gehe der Gesetzentwurf an verfassungsrechtlich bindenden Vorgaben vorbei.

Überdies werde die von einem Gesetz zu erwartende Berücksichtigung des Bestimmtheitsgrundsatzes im vorliegenden Gesetzentwurf nicht beachtet. Stattdessen werden wichtige Entscheidungen in noch zu erlassende Rechtsverordnungen delegiert.

Die Handelskammer wird nun in ihren Gremien eine Entscheidung darüber herbeiführen, wie die weiteren Schritte sein werden und wie ein möglicher Klageweg aussehen kann. Ihr steht der Gang vor den Staatsgerichtshof in Bremen offen, um im Wege der abstrakten oder präventiven Normenkontrolle die Vereinbarkeit des Gesetzes mit der Verfassung prüfen zu lassen. Ferner könnte die Handelskammer, die selbst eine ausbildende Körperschaft ist, den ordentlichen Rechtsweg beschreiten, sobald sie zur Zahlung der Abgabe herangezogen wird.

Zusammenfassung aus dem Gutachten im Wortlaut:

Verfassungsmäßigkeit einer Ausbildungsabgabe
zur Finanzierung des „Ausbildungsunterstützungsfonds“ der
Freien Hansestadt Bremen

Juristisches Gutachten

erstattet von
Professor Dr. Christian Waldhoff
Juristische Fakultät Humboldt-Universität zu Berlin
Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Finanzrecht

Berlin, März 2023

Zusammenfassung der Ergebnisse
  1. Die Einführung der im Entwurf des Gesetzes „zur Errichtung eines Ausbildungsunterstützungsfonds im Land Bremen“ vorgesehenen Ausbildungsabgabe begegnet erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.
  2. Bremen verfügt derzeit über die Gesetzgebungskompetenz zur Einführung einer Ausbildungsabgabe. Angesichts des laufenden Gesetzgebungsverfahrens zur Einführung einer „Ausbildungsgarantie“ auf Bundesebene, die zu einem Ausschluss konkurrierender Landesregelungen führen kann, ist die nicht akut gebotene Einführung einer Ausbildungsabgabe auf Landesebene jedoch rechtspolitisch unklug.
  3. Der Bremer Entwurf ist nicht mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Erhebung von Sonderabgaben vereinbar. Die vom Entwurf ausgewählte Gruppe von Abgabenschuldnern stellt keine homogene Gruppe dar, weil sie ohne erkennbaren Sachgrund einzelne Ausbildungsbetriebe der öffentlichen Hand von der Erhebung ausschließt. Die herangezogene Gruppe von Abgabenschuldnern trifft zudem keine besondere Finanzierungsverantwortung für das sehr allgemein gehaltene legislative Sachziel einer „besseren Versorgung“ mit Fachkräften. Der Fachkräftemangel hat vielfältige gesellschaftliche Ursachen, die nicht im besonderen Verantwortungsbereich der Arbeitgeber liegen, der sich darauf beschränkt, eine ausreichende Zahl von Ausbildungsplätzen bereitzustellen. Auch die gruppennützige Verwendung der erhobenen Mittel ist aus diesem Grund nicht hinreichend sichergestellt.
  4. Der Entwurf ist mit den grundrechtlichen Anforderungen an den Vorbehalt des Gesetzes nicht vereinbar. Eine Delegation an den Verordnungsgeber kommt bei Sonderabgaben nur in engen Grenzen in Betracht. Diese Grenzen werden durch den Entwurf überschritten. Die Abgabenhöhe ist weder gesetzlich bestimmt noch hinreichend vorhersehbar. Sie orientiert sich an Kostenpositionen, die ihrerseits weitgehend in der Entscheidungsmacht des Senats und des Verwaltungsrates des Fonds liegen.
  5. Der Bremer Entwurf ist nicht verhältnismäßig. Die Geeignetheit ist teilweise zweifelhaft, jedenfalls fehlt es an der Erforderlichkeit der Ausbildungsabgabe.
  6. Die Bremer Industrie- und Handelskammer kann vor dem Staatsgerichtshof Bremen eine gerichtliche Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes herbeiführen.