Informationen zur Gasversorgungssituation

Aktuell gibt es kaum ein Thema, das Unternehmen mehr umtreibt als die steigenden Energiekosten und die Frage, wie sicher die Versorgung mit Erdgas im Winter ist. Vor diesem Hintergrund hat die Handelskammer Bremen – IHK für Bremen und Bremerhaven am 4. August eine Informationsveranstaltung durchgeführt, bei der Experten des DIHK, der Wesernetz GmbH und der Gewerbeaufsicht Bremen referiert haben. Es wurde dabei auf die Situation in Deutschland, in Bremen und konkrete Ansatzpunkte für Unternehmen eingegangen. Der nachfolgende Artikel fasst die Kernaussagen zusammen. Die Präsentationen der Veranstaltung sind ebenfalls hier verfügbar. Am Ende des Artikels finden Sie eine Übersicht von hilfreichen Links, die weiterführende Informationen beinhalten.
Sämtliche Aussagen sowohl in der Veranstaltung als auch in diesem Artikel sind tagesaktuell. Da die momentane Situation sich stetig verändert, sind Prognosen zur weiteren Entwicklung kaum möglich.

Situation in Deutschland

Deutschland ist in hohem Maße abhängig von Ressourcen- und Energieimporten. Bei Steinkohle, Mineralöl oder Erdgas werden bis zu 100% der genutzten Mengen importiert. Bei den Herkunftsländern dominieren einige wenige, wobei besonders bei Erdgas in der Vergangenheit stark auf russische Zulieferer gesetzt hat. Rund 40% des europäischen Erdgasverbrauchs kamen vor dem Angriff auf die Ukraine aus Russland, wobei es in Deutschland sogar rund 55% waren. Seitdem ist das Ziel verkündet worden, mittelfristig von russischem Gas unabhängig werden zu wollen. Bis Ende des Jahres soll in einem ersten Schritt der Anteil der Gaslieferungen aus Russland auf 30% gesenkt werden. Die Differenz zu den vorherigen Liefermengen wird dabei mit Lieferungen aus Norwegen, den Niederlanden, Belgien und besonders durch verflüssigtes Erdgas (LNG) aus den USA oder dem Mittleren Osten, aufgefangen.
Bisher floss das Erdgas aus Russland im Wesentlichen über drei Pipelines nach Deutschland: Transgas, Jamal und Nord Stream 1. Während bis in den Juni hinein die Lieferungen in bekanntem Umfang weiterliefen, sind seitdem immer wieder Kürzungen und Einschränkungen zu verzeichnen gewesen. Die hieraus resultierende Unsicherheit hat bereits zu deutlich höheren Gaspreisen geführt und wird zeitversetzt auch signifikant die Strompreise erhöhen. Wer aktuell also wegen langfristiger Lieferverträge noch nicht von höheren Gaspreisen betroffen ist, wird über die Strompreise trotzdem betroffen sein. Hinzu kommt, dass über Umlagen künftig auch Verbraucher mit festen Lieferverträgen zur Finanzierung der höheren Einkaufspreise für Gas herangezogen werden.

Situation in Bremen

Das Land Bremen ist mit seinem starken Verarbeitenden Gewerbe von steigenden Energiekosten besonders betroffen. Laut einer Studie des IW Halle wären die Auswirkungen dabei für die Stadt Bremen gravierender als für Bremerhaven, wie in Abbildung 1 und 2 zu sehen ist. Würde der Zufluss von Erdgas aus Russland vollständig eingestellt, würde die folgende Rezession sowohl in Bremen als auch in Bremerhaven zu einem deutlichen Rückgang der Bruttowertschöpfung und der Beschäftigung führen. Bereits heute sind steigende Energie- und Rohstoffpreise für Unternehmen im Land Bremen das größte Geschäftsrisiko und haben zu einer deutlichen Eintrübung der konjunkturellen Aussichten geführt (Microsoft Word - Konjunkturreport-Sommer-2022.docx (ihk.de)).
Bremen im Großstadtvergleich – Szenario bei Gaslieferstopp
Abbildung 1: Bremen im Großstadtvergleich – Szenario bei Gaslieferstopp
Bremerhaven im Großstadtvergleich – Szenario bei Gaslieferstopp
Abbildung 2: Bremerhaven im Mittelstadtvergleich – Szenario bei Gaslieferstopp
Quelle: Holtemöller, O.; Lindner, A.; Schult, C. (2022): Regionale Effekte einer durch einen Lieferstoff für russisches Gas ausgelösten Rezession in Deutschland, IWH Policy Notes, 1/2022, Halle (Saale).

Was bisher unternommen worden ist

Seitens der Bundesregierung und der Bundesnetzagentur (BNetzA) sind zahlreiche Maßnahmen ergriffen worden, um der aktuellen Krisensituation zu begegnen. So konnten russische Importe durch zusätzliche Lieferungen aus Norwegen, den Niederlanden und Belgien und vor allem durch den Zukauf von LNG ersetzt werden. Da gleichzeitig der Energieverbrauch in der Wirtschaft schon deutlich reduziert wurde, ist die Abhängigkeit von russischem Erdgas mittlerweile auf 26% gesunken. Durch die bereits erzielten Einsparungen ist es in den vergangenen Wochen und Monaten gelungen, die Gasspeicher merklich zu füllen. Unklar ist jedoch, ob bei den reduzierten Liefermengen aus Russland eine vollständige Befüllung bis zum Winter erreicht werden kann. Bedenklich ist, ob Unternehmen dauerhaft mit den steigenden Energiekosten mithalten und bei weiterlaufender Produktion in nennenswertem Maße einsparen können. Die Gefahr von Betriebsschließungen und -verlagerungen ist akut.
Um im Import von Energie künftig unabhängig von Russland zu werden, baut Deutschland eine eigene LNG-Infrastruktur auf. Während LNG aktuell noch über Terminals in den europäischen Nachbarländern transportiert wird, hat Deutschland mittlerweile vier schwimmende Terminals auktioniert, von denen zwei um den Jahreswechsel herum in Betrieb gehen sollen. Es bleibt jedoch zu bedenken, dass die aktuellen Kapazitäten von LNG auf dem Weltmarkt nicht ausreichen, dass es Engpässe auch bei Tankschiffen gibt und dieser Energieträger deutlich teurer als herkömmliches Erdgas ist. Zudem sind weitere gesetzliche Initiativen in Vorbereitung, die den Hochlauf erneuerbarer Energien beschleunigen sollen, einen höheren Anteil erneuerbarer Energien bei neuen Heizanlagen vorschreiben und einen energieeffizienteren Neubaustandard vorsehen.
In Bremen führt die aktuelle Situation dazu, dass der Ausstieg aus der Kohleenergie sich verschiebt. Das Kohlekraftwerk in Bremen-Farge geht zwar im Oktober vom Netz, geht anschließend jedoch in eine Reserve zur Energieproduktion ein. Die Abschaltung des Kohlekraftwerks in Bremen-Hastedt wird erst 2023 vollzogen, wobei eine zusätzliche Verlängerung der Laufzeit nicht ausgeschlossen werden kann.

Aktuelle Gesetzeslage und Abschaltreihenfolgen

Die Bundesregierung hat kürzlich die zweite Stufe des Notfallplans Gas, die Alarmstufe, ausgerufen. Diese Maßnahme war als Signal gedacht, den Ernst der aktuellen Lage deutlich zu machen. Das Land befindet sich in einer Notfallsituation und absehbar werden alle Unternehmen und Privatverbraucher betroffen sein. Während bisher die ergriffenen Maßnahmen noch marktbasiert waren, würde die dritte Stufe des Notfallplans bedeuten, dass bestehende Lieferverträge für Gas obsolet werden und die Bundesnetzagentur als Bundeslastverteiler den Bezug von Gas organisiert. Gerade Unternehmen treibt hier die berechtigte Sorge, ob ihnen im Fall einer Gasmangellage ausreichend Gas zugeteilt wird, um die Produktion aufrecht zu erhalten.
Laut EU-Direktive wird bei Gasverbrauchern zwischen zwei Gruppen unterschieden: Geschützten und nicht geschützten Verbrauchern. Geschützt sind unter anderem Privathaushalte und Einrichtungen der kritischen Infrastruktur, darunter Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtungen. Die Mehrzahl der Unternehmen zählt zu den nicht geschützten Verbrauchern, wird also im Falle einer Gasmangellage zuerst von Kürzungen betroffen sein. Anders als vielfach behauptet, gibt es keine festgelegte Abschaltreihenfolge und daher auch keine Aussagen dazu, welches Unternehmen im Ausnahmefall wie viel Gas erhält. Es wird jedoch darüber diskutiert, ob die Gruppe der nichtgeschützten Verbraucher weiter unterteilt werden kann, um bei möglichen Gaskürzungen Rücksicht zum Beispiel auf die volkswirtschaftliche Bedeutung oder Versorgungsfunktion einzelner Unternehmen zu nehmen. Das dominierende Kriterium bei der Zuteilung von Gas ist jedoch die Aufrechterhaltung der Systemstabilität. Abschaltreihenfolgen müssten also Rücksicht auf die jeweiligen Netze, die Menge des verfügbaren Gases, Wertschöpfungsverflechtungen, volkswirtschaftliche Bedeutung und weitere Faktoren nehmen. Eine feste Priorisierung vorzunehmen ist vor diesem Hintergrund hochgradig komplex.
Wichtig ist, dass die geschützten Verbraucher, also überwiegend private Haushalte, eine besonders wichtige Rolle bei der Sicherstellung der Gasversorgung spielen. Wenn möglichst viel Gas im privaten Verbrauch eingespart werden kann – eine um ein Grad niedrigere Heiztemperatur spart etwa 6% des Gasverbrauchs ein – kann jeder Haushalt individuell dazu beitragen, eine Gasmangellage zu vermeiden. Angesichts der hohen Komplexität einer möglichen Abschaltung und der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verwerfungen sind Einsparungen in allen Bereichen unumgänglich.

Was Unternehmen in Bremen und Bremerhaven erwartet

Auch in Bremen und Bremerhaven gilt, dass die Unternehmen überwiegend nicht zu den geschützten Verbrauchern zählen und daher von möglichen Kürzungen der Gaslieferungen betroffen sein werden. Gerade die ansässigen Industriebetriebe werden, wie alle anderen Verbraucher auch, ihren Gasverbrauch deutlich reduzieren müssen. Nachdem Materialengpässe und pandemiebedingte Produktionseinschränkungen eigentlich schon ein „perfekter Sturm“ waren, kommt mit steigenden Energiepreisen und einer möglichen Gasmangellage eine weitere Verschlechterung der Lage hinzu. Zu bedenken ist dabei, dass Produktionsausfälle in Zulieferbetrieben und Unternehmen der Grundstoffproduktion zu Ausstrahlungseffekten in weite Teile der Wirtschaft führen. Wenn kein Stahl mehr hergestellt werden kann, bricht auch die Produktion von Stahlerzeugnissen wie Fahrzeugen irgendwann zusammen.
Es ist absehbar, dass die Preise für Gas, aber auch für Strom, in den kommenden Wochen und Monaten deutlich ansteigen werden. Unklar ist hingegen, wann eine Entspannung der Lage zu erwarten ist und wie sich die Situation nach der Heizperiode 2022/23 darstellt. Die auf Bundesebene vorgelegten Verordnungen reichen jedoch bis 2024, was darauf hindeutet, dass die krisenhafte Situation auch im kommenden Jahr noch nicht überwunden sein wird.
Sollte an einem der besonders kalten Tage im kommenden Winter tatsächlich zu wenig Gas zur Verfügung stehen, werden die Versorger oder die Bundesnetzagentur Industriekunden auffordern, ihren Gasverbrauch zu reduzieren. Die swb als regionaler Versorger ist hierzu bereits an Industriekunden herangetreten und hat Informationsveranstaltungen angeboten, die auch in den kommenden Monaten fortgeführt werden. Unternehmen sollten bereits jetzt alle Möglichkeiten prüfen, Gas in ihrem Betrieb einzusparen, beispielsweise durch den Wechsel auf andere Energieträger. Die Gewerbeaufsicht Bremen verspricht hierbei, die Verfahren so kurz und unbürokratisch wie möglich zu halten und sieht sich in einer Ermöglichungshaltung. Verfahren die sonst mehrere Monate zur Genehmigung benötigen können für eine Duldung deutlich abgekürzt werden – vorausgesetzt das Genehmigungsverfahren wird im Nachgang ordnungsgemäß durchlaufen. Ähnlich wie in Sachsen verfolgt die Gewerbeaufsicht im Land Bremen eine pragmatische Herangehensweise und nimmt Rücksicht auch auf Einzellösungen. Unternehmen, die die Möglichkeit haben, zum Beispiel auf alte Ölheizungen zurückzugreifen, sollten sich daher zeitnah bei der Gewerbeaufsicht melden. Es wird zudem dringend empfohlen, eine betriebsinterne Abschaltreihenfolge zu erarbeiten und zu quantifizieren, wie stark Produktionsanlagen heruntergefahren werden können, ohne Schaden zu nehmen.

Konkrete Tipps für Unternehmen

Für Unternehmen gibt es fünf Punkte, die zeitnah angegangen werden sollten:
  1. Setzen Sie sich mit Ihren betrieblichen Energieverbräuchen auseinander.
  2. Prüfen Sie kurzfristige Einspar- und Substitutionsmöglichkeiten.
  3. Entwickeln Sie mögliche Abschaltszenarien innerhalb Ihres Betriebes und der einzelnen Abteilungen.
  4. Suchen Sie den Kontakt zu Ihrem Netzbetreiber und Ihrem Versorger.
  5. Wenn Sie die Möglichkeit haben, Gas durch andere Energieträger zu ersetzen, suchen Sie den Kontakt zur Bremer Gewerbeaufsicht.
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