Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen in Deutschland und der EU

Im Koalitionsvertrag vom 7. Februar 2018 wurde vereinbart, dass sich die Bundesregierung für eine konsequente Umsetzung des im Dezember 2016 vorgestellten Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) einsetzen solle.
Die derzeitigen Überlegungen zur Einführung eines Lieferkettengesetzes gehen auf die „Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ zurück, die im Juni 2011 vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen aufgestellt wurden. Diese Leitprinzipien basieren auf drei Säulen:
  • die Pflicht zum Schutz von Menschenrechten,
  • die Verantwortung zur Achtung von Menschenrechten,
  • den Zugang zu Abhilfe.
Dieser Aktionsplan beabsichtigte zunächst die Umsetzung eines sogenannten „Monitorings“. Danach war bis zum Jahr 2020 eine Überprüfung mittels Fragebögen dahingehend vorgesehen, ob bereits mehr als die Hälfte der Unternehmen Sorgfaltsmaßnahmen in ihre Unternehmensprozesse integriert haben. Die Ergebnisse der letzten beiden Überprüfungen wurden im Dezember 2019 und im Juli 2020 vorgestellt. In keiner Überprüfung konnte der vorgesehene Umsetzungsgrad von 50 % festgestellt werden. Von den über 3.325 zufällig ausgewählten Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern haben lediglich 465 an der ersten Befragung teilgenommen, wobei nur ca. 18 % die Anforderungen des NAP erfüllten. Die Ergebnisse der zweiten Befragungsrunde wurden am 14. Juli mit ähnlichen Resultaten vorgestellt. Von 2.250 befragten Unternehmen haben 455 Unternehmen gültige Antworten zurückgemeldet, worunter wiederum nur 22 % als sogenannte „Erfüller“ gelten.
Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD aus dem Jahr 2018 war bereits aufgenommen worden, dass die Koalitionsparteien „national gesetzlich tätig werden, falls die […] Überprüfung des NAP 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht“. Gut zwei Jahre und eine Beobachtungsphase samt Unternehmensumfrage später, haben das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und das Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) einen "Entwurf für Eckpunkte eines Bundesgesetzes über die Stärkung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in globalen Wertschöpfungsketten (Sorgfaltspflichtengesetz)" mit Stand vom 10. März 2020 erarbeitet. Neben weitreichenden Due Diligence-Pflichten und den generell bekannten Compliance-Management-Maßnahmen weist das Eckpunktepapier unter anderem auch umfassende Verpflichtungen auf, so beispielsweise zu Aspekten wie der Berichterstattung, Einführung eines Risikomanagements, z.B. durch die Überprüfung der Angemessenheit und Berücksichtigung diverser Branchenstandards, zivilrechtlichen Haftung vor deutschen Gerichten, Verantwortung durch die Geschäftsführung etc.. Dies bedeutet nun einen grundlegenden Paradigmenwechsel – vom Grundsatz der Freiwilligkeit, hin zu einer rechtlichen Verantwortung und Haftung von Unternehmen für das Handeln von Dritten innerhalb globaler Wertschöpfungsketten.
Für die Wirtschaft könnte die Einführung eines solchen Gesetzes u.a. steigende Kosten sowie neue Bürokratie und Haftung bedeuten, weshalb die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft – der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die Bundes-vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Handelsverband Deutschland (HDE) am 13. Juli 2020 ein gemeinsames Statement veröffentlicht haben.
Europäische Union
Auch auf EU-Ebene sind konkrete Schritte für die Einführung eines Sorgfaltspflichtengesetzes geplant. Die EU-Kommission, repräsentiert durch Didier Reynders (Kommissar für Justiz und Rechtsstaatlichkeit), hat für Frühjahr 2021 den ersten Entwurf für ein EU-weites Sorgfaltspflichtengesetz angekündigt. Auch dieses Gesetz soll sektorenübergreifend ausgestaltet werden. Es soll alle Unternehmen – unabhängig von der Größe – erfassen sowie für die gesamte Liefer- und Wertschöpfungskette Geltung beanspruchen. Insgesamt lässt sich feststellen, dass sowohl das geplante deutsche Sorgfaltspflichtengesetz als auch der Vorstoß für eine EU-weite Regelung deutliche Bezüge zu dem seit 2017 in Frankreich geltenden „Loi relative au devoir de vigilance des sociétés mères et des entreprises donneuses d’ordre“ („Loi de Vigilance“) aufweisen. Auch Großbritannien erließ mit dem „Modern Slavery Act“ aus dem Jahr 2015 bereits gesetzliche Regelungen bezüglich Sorgfaltspflichten in der Lieferkette. Die Niederlande sind mit dem „Child Labor Due Diligence Act“ aus dem letzten Jahr noch dabei, entsprechende Regelungen auf den Weg zu bringen. In Norwegen wird ebenfalls ein entsprechender Gesetzesentwurf diskutiert und in der Schweiz wird voraussichtlich im November 2020 eine Volksabstimmung über Sorgfaltsprüfpflichten von Konzernen zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt stattfinden.