Auf das Fundament kommt es an

Ich stehe noch stark unter dem Eindruck eines Besuches im Konzentrationslager Auschwitz Anfang des Monats mit einer Delegation des Lutherischen Weltbundes. Wir gingen durch einen Raum, in dem auf einer Länge von 25 Metern in großen Haufen hinter Glas die abgeschnittenen Haare von 40 000 Frauen lagen, die zu Teppichen verarbeitet werden sollten und wanderten in Birkenau an einer zwei Kilometer langen Bahnrampe entlang, die direkt vor einer Gaskammer und einem Krematorium endete. Mehr als eine Million Menschen, die meisten von ihnen jüdische Männer, Frauen und Kinder, aber auch Polen, Sinti und Roma und russische Kriegsgefangene, wurden dort vergast, erschossen oder gingen infolge der grausamen Lebensbedingungen zugrunde. Dieser Ort strahlt eine Bösartigkeit, Grausamkeit, Rohheit und Kälte aus, die mich tief erschüttert hat.
Auch die deutsche Wirtschaft war darin verstrickt. Die Buna-Werke der IG Farben im Lagerabschnitt „Monowitz“ waren das erste von einem privaten Unternehmen finanzierte Konzentrationslager. Dort leisteten Häftlinge Zwangsarbeit unter Bedingungen, die auf einen schnellen Tod abzielten. Die meisten von ihnen überlebten nur wenige Monate. Insgesamt kamen dort etwa 25 000 Menschen ums Leben.
Diese unheilige Allianz von unternehmerischem Handeln und nationalsozialistischer Vernichtungspolitik erinnert uns daran, dass Menschen, die im Bereich der Wirtschaft tätig sind, sich nicht darauf beschränken können, in ihrem Alltag betriebswirtschaftliche Themen von Aufbau, Produktion, Absatz, Investition, Finanzierung und Rechnungswesen zu bearbeiten. Sie brauchen ein Wertefundament, an dem sich ihr Handeln orientiert.
Dieses Fundament wird in Kindheit und Jugend gelegt. Aber es muss als Erwachsener regelmäßig gepflegt werden, wenn es nicht verkümmern soll. „Fundamentarbeit“ ist vor allem für Führungskräfte wichtig. Denn sie prägen mit ihrer Haltung die Kultur in ihrem Betrieb und das Verhalten ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Stunden der Muße und Besinnung, die Pflege der eigenen Spiritualität, die Wahrnehmung kultureller Angebote, die Auseinandersetzung mit Musik, Kunst und Literatur, die Beschäftigung mit Sinnfragen sowie das Nachdenken über ethische Fragen sind deshalb ein unverzichtbarer Teil unternehmerischer Tätigkeit. Die Zeit, die man dafür aufbringt, stellt eine Investition in die Qualität des eigenen Leitungshandelns dar. Darüber hinaus fördern Zeiten der Besinnung auf die Fundamente des Lebens die Krisenfestigkeit. Denn wer Halt und Orientierung besitzt, bleibt auch dann handlungsfähig, wenn gewohnte Aufgaben, Ziele, Abläufe und Strukturen nicht mehr tragen.