Seilflechter: Seilerei und Industriebedarf - Seit 278 Jahren in Braunschweig verwurzelt

Die Feier zum 275-jährigen Bestehen der Seilflechter Tauwerk GmbH fand mit rund 250 Gästen aus acht Ländern coronabedingt erst Anfang September dieses Jahres statt. Neben Braunschweigs Oberbürgermeister, Dr. Thorsten Kornblum, war auch der Präsident der IHK Braunschweig, Tobias Hoffmann, unter den Gästen.
Inzwischen ist wieder Normalität eingekehrt und wir sitzen gemeinsam mit dem Geschäftsführer Andreas Halle, Andreas Pflaum, Alexandra Gruffke, Assistentin der Geschäftsleitung, Produktionsleiter Rainer Sattler und Tobias Halle in einem der Besprechungsräume.

Vom Hanfseil zu hochfesten Fasern

Die Seilflechter Tauwerk GmbH steht stellvertretend für qualitativ hochwertiges Tauwerk, das in unterschiedlichsten Bereichen wie Industrie, Land- und Bauwirtschaft, Offroad, Veranstaltungen, Freileitungsbau und Wassersport eingesetzt wird. Dabei steht die Frage im Raum „Wie kam es eigentlich zum Seil?“. Bereits 1745 hat sich David Halle in Braunschweig angesiedelt, um hier die erste Seilerei zu gründen. Seitdem wurden die Seile kontinuierlich weiterentwickelt, um sie an die sich verändernden Anforderungen anzupassen. Zunächst waren es Hanfseile, dann vor ca. 100 Jahren die ersten Nylon-Perlonseile. Heute arbeitet das Unternehmen mit hochfesten Fasern wie Novoleen oder Vectranfasern wie Kevlar oder Aramid. Die Seilflechter Tauwerk GmbH ist inzwischen eine der modernsten Maschinenseilereien in Europa mit einem Maschinenpark von rund 500 Maschinen. Hergestellt und vertrieben werden Anschlagmittel, Hebebänder, Ketten, Drahtseile, Traversen. Dazu kommt der Prüfdienst für Absturzsicherungskoffer bis hin zu Krananlagen mit bis zu 200 bis 300 Tonnen. Diese Anlagen werden nach Kundenwusch oder aber auch nach Vorgaben durch den Gesetzgeber geprüft. „Wir beliefern im Industriebereich vierzehn Länder in Europa“, so Andreas Halle zur Kundenstruktur. Dazu gehören der Wassersportfachhandel und der Segelflug genau wie europaweit 800 Baumärkte und die Veranstaltungsbranche. In Braunschweig zählen u. a. das Staatstheater und die VW-Halle zu den Kunden. Stark expandiert hat in den letzten Jahren der Freileitungsbau, der beim Ausbau der Stromtrassen bzw. zum Ziehen der Stromleitungen benötigt wird. Ein weiterer Bereich sind die Feuerwehren, die mit Rettungsleinen, Feuerwehrgurten und Mehrzweckleinen – deutschlandweit ca. 4000 pro Jahr – beliefert werden. Im Gegensatz zu den Tauwerken, die die Seilflechter Tauwerk GmbH in ganz Europa vertreibt, kommen die Prüfkunden schwerpunktmäßig aus Niedersachsen. „Industrie und Wassersportfachhandel sind unser Kerngeschäft“, betont Andreas Pflaum. Mit rund 18 000 Artikeln im Lager ist der Mittelständler breit aufgestellt und kann so Zuverlässigkeit, eine gleichmäßige Qualität und eine schnelle Lieferung gewährleisten. Ergänzt wird diese Leistungsfähigkeit durch ein großes Rohstofflager, das das Unternehmen unabhängiger von möglichen Lieferengpässen macht und durch die eigene Produktion die Verfügbarkeit der Artikel sicherstellt. Seine Rohstoffe bezieht der Seilhersteller weltweit, immer mit der Prämisse „beste Qualität“.

Produktentwicklung findet mit den Kunden statt

Je nach Einsatzzweck gibt es unterschiedlichste Anforderungen an Seile, Taue und die weiteren Produkte. Bei der Umsetzung von Entwicklungsansätzen kommt nicht nur modernste Maschinentechnik zum Einsatz: Um möglichst anwenderorientiere Produkte zu schaffen, findet bei der Seilflechter Tauwerk GmbH die Produktentwicklung gemeinsam mit den Kunden statt, indem sie als Produkttester fungieren, so z. B. im Segelsport. Weltweit werden alle Robinsonclubs oder auch der Verband der Deutschen Wassersportschulen sowie 600 Segelschulen in Europa von der Seilflechter Tauwerk GmbH mit Seilen für die Segelboote ausgerüstet. Die Segler werden zu Produkttestern, indem sie die Seile bewerten und ihr Feedback dazu geben, wo sie gut funktionieren oder was verbessert werden kann. Genauso funktioniert es im Offroadbereich. Hier besteht eine Kooperation mit Land Rover Deutschland und dem Jeep Club Deutschland. Die Mitglieder des Offroad Clubs setzen Seilflechter-Produkte in unterschiedlichsten Szenarien in Offroadparks ein, um das Equipment, z. B. für Fahrzeugbergung, zu testen. Daraus resultierende Weiterentwicklungen tragen dazu bei, am Schluss marktgerechte Produkte anbieten zu können.

Vielschichtige Aus- und Weiterbildung 

Damit die Kunden auf dem aktuellen Wissensstand sind und aktuell sachkundig bleiben, bietet die Seilflechter Tauwerk GmbH regelmäßig Seminare zu dem Thema „Anschlagmittel und Ladungssicherung im Industriebereich“ an. Darüber hinaus bildet das Braunschweiger Unternehmen den Handwerksberuf des Seilers sowie im kaufmännischen Bereich aus, in diesem Jahr erstmalig eine Kauffrau im Büromanagement. Die Ausbildungsberufe Kaufmann und Kauffrau im Groß- und Außenhandelsmanagement sowie Industriekaufleute sind außerdem möglich. Das Unternehmen investiert insbesondere in die Ausbildung des für einige Jahre ausgestorbenen Beruf des Seilers, präsentiert sich auf Ausbildungsmessen und bietet sogar Informationsveranstaltungen für die Jobvermittler des Arbeitsamtes an, um ihnen das Berufsbild des Seilers näherzubringen. Da es sich um einen sehr seltenen Beruf handelt, ist Seilflechter auf vielen Ebenen, in Verbänden und in der einzigen Berufsfachschule in Münchberg aktiv, um für den Beruf zu werben. Ganz wichtig ist Andreas Halle die Bindung der Mitarbeitenden an den Betrieb. „Die jungen Menschen können bei uns alt werden“, merkt er im Hinblick auf die langjährige Betriebszugehörigkeit einiger Mitarbeitenden von bis zu 40 Jahren an. Da der Beruf eher selten ist, sucht Seilflechter seine Mitarbeiter aber auch immer in artverwandten handwerklichen Berufen wie z. B. Mechatroniker. Für 2024 sind noch drei Ausbildungsplätze vakant. Insgesamt hat Seilflechter gut 100 Mitarbeitende, von denen 65 in Vollzeit beschäftigt sind. Tätig sind sie in der Produktion, der Konfektion, dem Lager, dem Versand und dem Vertrieb. Natürlich merke auch die Seilflechter Tauwerk GmbH die konjunkturellen Schwankungen, befinde sich insgesamt aber auf einem positiven Weg. Der regionale Arbeitgeber wächst derzeit sehr stark und sucht aktiv weitere Mitarbeiter.
 „Wir haben eine sehr hohe soziale Kompetenz“, merkt Andreas Halle in Bezug auf die Mitarbeiterstruktur an. „Wir unterstützen den sozialen Sektor“, fährt er fort und verweist auf die Zusammenarbeit mit den Lebenshilfe-Werkstätten in Braunschweig, Wolfenbüttel und Salzgitter. Vor einem Dreivierteljahr wurden die Arbeitsplätze von zehn bis fünfzehn Mitarbeitenden aus den Werkstätten zu Seilflechter ausgelagert. Trotz aller Wirtschaftlichkeit gibt es die klare Prämisse: „Was wir hier in der Region fertigen können, bleibt in der Region“, so Andreas Halle.
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