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Nicht von Pappe? Oh doch!
Manche Unternehmen gehören in ihrem Fachgebiet zu den Besten, bleiben jedoch außerhalb ihrer Branche oft unbekannt. Viele dieser Hidden Champions sind familiengeführte Mittelständler, die durch erstklassige Produkte überzeugen, einen hohen Exportanteil erzielen und so ihren wirtschaftlichen Erfolg sichern. Ein solches Beispiel ist die Pappenfabrik Obenauf. Versteckt im kleinen Örtchen Eckertal, ist das Unternehmen mitten im Wald nur über einen schmalen Weg erreichbar, der sich durch Baumreihen schlängelt, entlang des Flusses Ecker führt und an mehreren Sackgassenschildern vorbeizieht. Geschäftsführer und Gesellschafter Alexander Wietasch beschreibt es treffend: „Wir sind buchstäblich ein echter Hidden Champion.“
Alexander Wietasch ist seit Anfang Oktober 2024 als Geschäftsführer bei der Pappenfabrik Obenauf tätig.
Die Pappenfabrik Obenauf im Harz produziert eine breite Palette von Voll-, Grau- und Kistenpappen, die in verschiedenen Oberflächen, Farben und Zuschnitten für eine Vielzahl von Anwendungen in Industrie und Alltag genutzt werden. Die Produkte, mit Stärken zwischen einem und zwanzig Millimetern, zeichnen sich durch eine dichte, kompakte Struktur aus. Mit seinem Angebot verfolgt das Unternehmen den Anspruch, Maßstäbe zu setzen und sich deutlich von der Konkurrenz abzuheben. „Wir verstehen uns als Qualitätsführer“, betont Alexander Wietasch. Die Einsatzmöglichkeiten der Pappen sind ebenso vielseitig wie die Produkte, die sie schützen oder ergänzen. Sie dienen als Verpackung, um Flaschen und Elektronik sicher vor Stößen zu bewahren, als Umschläge, die verschiedensten Buchformaten die passende Form verleihen, oder als Material für leichte und dennoch robuste Einweg-Kleiderbügel.
Internationaler Erfolg auch durch Spezialisierung
Auch international sind die Produkte gefragt: Rund zwei Drittel des Jahresumsatzes von mehr als fünf Millionen Euro erwirtschaftet die Pappenfabrik im Ausland, vor allem in den Niederlanden, Belgien und der Schweiz. „In Europa beliefern wir eine Reihe von Ländern“, sagt der 35-Jährige. Die Pappenfabrik Obenauf versteht es, sich an die Bedürfnisse des Marktes anzupassen. Dadurch hat sie die Stärken ihres Angebots immer weiter verbessert. Ein Beispiel ist die Entwicklung einer Pappe, die speziell für den Transport von Stahl-Coils gedacht ist. Diese Coils brauchen besonderen Schutz vor Feuchtigkeit und Korrosion. „Unsere Pappe ist wasserabweisend und bleibt dabei atmungsaktiv, sodass eventuell entstehendes Kondenswasser nach außen abgegeben werden kann“, erklärt Wietasch. „Das ist ein großer Vorteil für die Stahlindustrie, besonders bei Transporten durch verschiedene Klimazonen.“
Regionalität und Recycling machen den Unterschied
Die Pappenfabrik Obenauf wurde 1886 gegründet und profitierte damals von der strategischen Wahl ihres Standorts mitten im Wald und am Zufluss der Oker. Die umliegenden Wälder lieferten das nötige Holz, und das fließende Wasser der Ecker diente als Energiequelle und war unverzichtbar für die Papierproduktion. Heute hat sich vieles verändert: „Unsere Pappen fertigen wir komplett aus recyceltem Material“, heißt es. Die Lage des Unternehmens, das über ein eigenes Wasseraufbereitungssystem verfügt und Solarmodule auf dem Dach hat, ist weiterhin ideal: Nur wenige Minuten von der Autobahn entfernt, ist der Standort bestens angebunden.
Die Pappen dienen als Verpackung, um Flaschen und Elektronik sicher vor Stößen zu bewahren, als Umschläge, die verschiedensten Buchformaten die passende Form verleihen, oder als Material für leichte und dennoch robuste Einweg-Kleiderbügel.
Täglich erreichen zahlreiche Lkw die Fabrik, um Waren zu bringen oder abzuholen. Mehrere dutzend Tonnen Altpapier werden wöchentlich angeliefert, zerkleinert und in einer großen Misch- und Rühranlage mit Wasser zu einer dickflüssigen Papiermasse vermengt. Diese Masse wird sorgfältig durch Filterprozesse gereinigt, um Fremdstoffe wie Heftklammern, Kunststoffe und andere Verunreinigungen zu entfernen. In der Wickelpappenstraße entsteht daraus Pappe: Der Stoff wird lagenweise auf eine Formatwalze aufgetragen, bis die gewünschte Stärke erreicht ist, anschließend getrocknet und zugeschnitten oder weiterverarbeitet. „Pro Schicht produzieren wir so bis zu neun Tonnen Pappe“, erklärt Alexander Wietasch.
Im Drei-Schicht-System arbeitet die Pappenfabrik fünf Tage die Woche – ein weiteres Zeichen dafür, dass das Geschäft gut läuft für Alexander Wietasch und seine 35 Mitarbeitenden. Im Vergleich zur 135-jährigen Geschichte seines Betriebs ist er selbst noch ein Neuling: Erst im Oktober des vergangenen Jahres übernahm er die Geschicke von Tobias Neidhardt, der die Fabrik seit den 1990er-Jahren geführt hatte. „Ich wollte schon immer mein eigenes Unternehmen leiten“, erzählt er. Mit der Pappenfabrik konnte er nicht nur diesen Traum verwirklichen, sondern auch seine genauen Vorstellungen umsetzen: „Ein Betrieb mit technischem Bezug, einer vernünftigen Größe und in meiner Heimatregion.“
Alexander Wietasch begann seine Karriere als Mechatroniker und Industriemeister, bevor er durch ein Wirtschaftsrechtsstudium in Wolfenbüttel, Münster und Hongkong seine Kenntnisse erweiterte. Anschließend übernahm er leitende Rollen in verschiedenen Firmen. Nachdem er zuletzt in Berlin tätig gewesen war, ist der in Salzgitter aufgewachsene Unternehmer nun in seine Heimat zurückgekehrt. Tobias Neidhardt begegnete er auf einer IHK-Veranstaltung, doch der erste Kontakt zur Pappenfabrik erfolgte zufällig während einer Wanderung im Harz Jahre zuvor, als er im Wald unversehens das Werksgelände entdeckte. Heute führt er das Unternehmen, das ihn schon damals faszinierte. „So ist das Leben“, sagt er lachend.
Thomas Kausch (links) übergibt den traditionellen Kompass an Alexander Wietasch (Mitte), der das Unternehmen von Tobias Neidhardt (rechts) übernommen hat.
Allianz für die Region unterstützt bei der Unternehmensnachfolge
In der Region Braunschweig-Wolfsburg befassen sich laut der Allianz für die Region jährlich rund 500 Unternehmensführungen mit dem Generationswechsel. „Auch wenn das erste Gespräch der beiden sehr gut verlief, hätte ich damals nicht gedacht, dass es bereits gut sechs Monate später zu einer erfolgreichen Unternehmensnachfolge kommen würde“, erklärt Thomas Kausch, der für die Allianz für die Region den Regionalpool Unternehmensnachfolge betreut. Für einen gelungenen Nachfolgeprozess müssen viele Faktoren zusammenpassen, was hier der Fall war. „Wenn beide Seiten flexibel sind und ernsthaft nach rationalen und plausiblen Entscheidungsgrundlagen suchen, ist das sehr viel wert.“
„Viele hielten es für verrückt, in dieser Zeit ein Unternehmen zu übernehmen“, erzählt Alexander Wietasch rückblickend. Doch er selbst fühlt sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. „Unsere Auftragsbücher sind gut gefüllt, und das alles ohne Werbung.“ Eines seiner Hauptziele ist es nun, den Vertrieb zu stärken und das Angebot der Pappenfabrik Obenauf noch besser am Markt zu positionieren.
Aktuelle Entwicklungen und Trends in der Wirtschaft und Gesellschaft spielen ihm dabei in die Karten. Insbesondere die steigende Nachfrage nach nachhaltigen Verpackungslösungen und der Wunsch vieler Unternehmen, Plastik durch umweltfreundlichere Materialien zu ersetzen, schaffen günstige Rahmenbedingungen für die Pappenfabrik Obenauf. Alexander Wietasch sieht darin große Chancen für die Zukunft: „Pappe bietet noch unzählige Einsatzmöglichkeiten – sogar in Bereichen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können.“
boy
1/2025