Bankhaus Rautenschlein: 125 Jahre im Dienst der Landwirtschaft

Eine wirtschaftliche Symbiose der besonderen Art ist gelebte Realität im beschaulichen Schöningen: Das Bankhaus Rautenschlein ist, anders als man auf den ersten Blick vermuten würde, keine gewöhnliche Bank, denn wie keine andere Instanz versteht es das Familienunternehmen, die Bedürfnisse eines bestimmten Wirtschaftszweigs derart präzise und immersiv zu berücksichtigen wie der Traditionsbetrieb an der Hötensleber Straße. Wo einst Getreidesäcke und Saatgut lagerten, werden heutzutage nicht nur Kredite vergeben, sondern auch Bauern bei allen Fragen der Landwirtschaft mit geballter Expertise beraten und unterstützt. Das vollumfängliche Know-how kommt jedoch nicht von ungefähr. Es brauchte zwei Weltkriege, die Wiedervereinigung, aber auch eine fachliche Neustrukturierung, bis das Geschäft in schlankere, aber dafür umso effektivere Bahnen gelenkt werden konnte.
In dem rundum modernisierten Bruchsteinhaus – kaum mehr als einen Steinwurf von der ehemaligen innerdeutschen Grenze entfernt – verschmelzen Tradition und Moderne auf eindrucksvolle Weise. Peter Rautenschlein, mittlerweile das Firmenurgestein des altehrwürdigen Unternehmens, lässt seinen Blick durch den lichtdurchfluteten Konferenzraum schweifen. „Dort in der Ecke lagerten wir damals Getreide, und genau hier stand auch über Jahrzehnte mein Schreibtisch.“ Was einst als einfacher Landhandel begann, ist heute eine außergewöhnliche Mischung aus Bankwesen und Agrarwirtschaft.
Die Wurzeln reichen weit zurück: 1899 legte Großvater Otto mit der Gründung des Landhandels Rautenschlein den Grundstein für das, was sich später als professionelles Bankhaus etablieren sollte. Schon damals beschritt die Familie neue und vor allem moderne Wege: Neben dem Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, vornehmlich müßig erbrachte Ernteerträge, betätigte sich der Gründer auch als Bankier. Das Hauptgeschäft bestand zunächst in der Vorfinanzierung der Ernte, da Landwirte hohe Vorleistungen erbringen mussten, bevor sie damit Gewinne erzielen konnten. Saatgut, Arbeitskräfte, Maschinen – all dies musste bezahlt werden, bevor die erste Mark verdient werden konnte. Rautenschlein stellte die entsprechenden Mittel bereit und erhielt dafür am Ende die Ware.

Grenzziehung reißt Geschäft ein

Die Nachkriegszeit mischte die geschäftlichen Voraussetzungen kräftig durch und die ontologische Sinnkrise war damit mehr oder minder geboren. Durch die neue Grenzziehung wurde der erst 1939 eröffnete Silo in Hötensleben vom Hauptstandort in Schöningen getrennt, wodurch eine unbezifferbare Menge an eingelagertem Getreide und auch etwa 60 Prozent der damaligen Kundschaft verloren gingen. Doch mit dem Mauerfall verschwanden alte und neue Grenzen und es ergaben sich erweiterte Handlungsmöglichkeiten. Die Auflösung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften stellte die Landwirte vor neue Herausforderungen: Sollte man sich genossenschaftlich organisieren oder selbstständig werden? Unabhängig von der Entscheidung war eines klar – es wurde Kapital und Fachwissen benötigt. Hier bewährte sich das Bankhaus Rautenschlein als verlässlicher Partner, das nicht nur Finanzierungen ermöglichte, sondern mit seinem Fachberater-Netzwerk auch wertvolle Expertise bot. „Unser Wissen und unsere Erfahrung kamen den leidgeplagten Landwirten im richtigen Moment zugute“, erinnert sich Peter Rautenschlein.
Unser Wissen und unsere Erfahrung kamen den leidgeplagten Landwirten im richtigen Moment zugute.

Peter Rautenschlein

Die zunehmende Verzahnung des Landhandels mit dem Kreditwesen mündete in eine beispiellose Professionalisierung, die schließlich einen sukzessiven Ausbau der eigenen Aktivitäten zur Folge hatte, dessen Auswirkungen offenkundig zu bestaunen sind. „Wir verstehen viel von unserem Handwerk und möchten der Landwirtschaft etwas zurückgeben“, fügt der 88-Jährige hinzu.

Einzigartige Spezialisierung auf das Agrargewerbe

„So, wie wir diese Branche verkörpern, gibt es das kein zweites Mal“, betont Dirk Ribbe, der seit 2022 zusammen mit Andreas ­Dippe an der Spitze des Bankhauses Rautenschlein steht – sowohl in der Geschäftsführung als auch im Vorstand. Die Bank ist nämlich ein echtes Unikat: die einzige privat geführte Bank in Deutschland, die sich vollständig der Landwirtschaft verschrieben hat. Vergleichbare Geschäftsmodelle finden sich höchstens noch bei einigen Genossenschafts- oder Privatbanken, die sich jedoch aufgrund fehlender Fachkenntnisse weitgehend aus diesem Bereich zurückgezogen haben.
Mit einer klaren Schwerpunktsetzung auf die landwirtschaftlichen Kernregionen Deutschlands, darunter die neuen Bundesländer, Niedersachsen, Bayern und Nordrhein-Westfalen, bietet das Bankhaus maßgeschneiderte Finanzierungs- und Beratungslösungen für Landwirtschaftsbetriebe aller Art. Ob Ackerbau, Milchproduktion oder Obst- und Gemüseanbau: das Unternehmen bedient sämtliche Sphären des landwirtschaftlichen Lebens – und das überaus erfolgreich.
Durch die Öffnung für Privatkunden und das Einlagengeschäft konnten wir unser Wachstum erheblich beschleunigen.

Andreas Dippe

2008 kam der Wendepunkt: Die Bank trennte sich von ihrer Landhandelssparte und konzentrierte sich fortan ausschließlich auf Dienstleistungen im landwirtschaftlichen Kontext. Getreide, Düngemittel und Maschinenservices wichen einer klaren Ausrichtung auf Beratung und Finanzierung – eben genau das, was eine spezialisierte Bank ausmacht. Heute umfasst das Leistungsspektrum maßgeschneiderte Lösungen für Landkäufe, Hofnachfolgen, Betriebsmittelfinanzierungen und Investitionen in die Zukunft. Besonders dynamisch wächst dabei das Privat- und Geschäftskundengeschäft mit Tages- und Festgeldanlagen. „Unser Ruf als vollumfänglicher Vollfinanzierer hat sich deutschlandweit herumgesprochen“, schmunzelt Andreas Dippe.

Hohe Dienstleistungsansprüche erfordern besondere Kompetenzen

Der überaus hohe Spezialisierungsgrad erfordert hingegen ein tiefgreifendes Verständnis der Branche. Deshalb komplettieren mittlerweile auch zwei Agraringenieure die 26-köpfige Belegschaft. „Wenn wir die Landwirte unterstützen wollen, müssen wir wissen, wie diese ticken und wie ihre Arbeit konkret funktioniert“, betont Ribbe. Die Veränderungen in der Landwirtschaft stellen derzeit enorme Anforderungen an die Finanzierer, gewiss aber auch an die Landwirte selbst, die sich immer stärker mit den Themen der Zukunft auseinandersetzen müssen. Auch hier bietet das Bankhaus Rautenschlein adäquate Beratungskompetenzen, die den Transformationsprozess auf den Höfen beschleunigen sollen. Die Herausforderungen sind denkbar groß: Neuartige Innovationen, versäumte Digitalisierungsbestrebungen und ausbleibende Fachkräfte erfordern flexible Finanzierungsspielräume. Der technologische Wandel ist in vollem Gange, und Landwirte müssen bisweilen auf automatisierte Lösungen zurückgreifen, die vom modernen Mähdrescher über den robotisierten Unkrautbekämpfer bis hin zum automatischen Melksystem reichen. Auch hier steht das Team bei Finanzierungsfragen mit Rat und Tat zur Seite. Denn: Viele Gerätschaften sind teuer und müssen über einen längeren Zeitraum fristenkongruent finanziert werden.

Das Bindeglied in der Landwirtschaft

Dem Bankhaus wird im landwirtschaftlichen Mikrokosmos eine nicht unwichtige Rolle zuteil, zumal sie als offensichtliches Bindeglied zwischen den Landwirten und der Landwirtschaft agiert. „Durch unser Zutun wird in Teilen die Ernährungssicherheit im Land gewährleistet. Wir stellen sicher, dass die Bauern schrankenlos agieren und sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können“, erzählt Peter Rautenschlein.
Die Entwicklung des Unternehmens spricht eine klare Sprache: Die Bilanzsumme wuchs von 35 Millionen Euro im Jahr 2009 auf 280 Millionen Euro im Dezember 2024. Dippe führt dies auf die strategische Erweiterung des Geschäftsmodells zurück: „Durch die Öffnung für Privatkunden und das Einlagengeschäft konnten wir unser Wachstum erheblich beschleunigen.“ Auch Werbung sei kaum notwendig – die enge Vernetzung in der Branche sorgt für beständige Kundenzuwächse. „Wir arbeiten eng mit den Landwirten zusammen. Die Beratung erfolgt oft direkt auf den Höfen, um die bestmögliche Unterstützung zu gewährleisten.“
jk
3/2025