Kollaborativ und kokreativ in die Zukunft

Fährt man zum ersten Mal zur Domäne Schickelsheim, muss man schon ein bisschen achtgeben. Denn eigentlich ist Schickelsheim nicht viel mehr als eine bebaute Kurve nahe Königslutter, die man schnell hinter sich gelassen hat. Vor 150 Jahren lebten und arbeiteten hier noch 80 Familien, mittlerweile sind es nicht mal mehr 40. Zwei, die angetreten sind, Schickelsheim aus dem Dornröschenschlaf zu erwecken, sind Donata und Kaspar Haller.
Die Domäne, die bis 2008 noch Staatsdomäne war, gehört der Familie Haller. Kaspar Haller und seine Schwestern sind hier groß geworden. Die circa vier Hektar große Anlage beherbergt noch immer einen landwirtschaftlichen Betrieb. Doch der Ackerbau, der mit moderner Technik umwelt- und ressourcenschonend betrieben wird, spielt nicht mehr die alleinige Hauptrolle an dem Ort, an dem schon seit 900 Jahren Landwirtschaft betrieben wird. Die Hallers gründeten 2019 die Domäne Schickelsheim als GmbH & Co. KG. Deren Geschäftsfeld bündelt sich hervorragend in einem Schlagwort: Transformation.

Strategische Zukunftsgestaltung

Auf der Homepage der Domäne liest sich das so: „Unsere Vision ist es, die Gesamtheit unserer bestehenden Gebäude und Flächen zu einer zukunftsweisenden Stätte zu entwickeln. Unser Ziel ist es, einen Ort zu schaffen, an dem verschiedene Menschen gemeinschaftlich oder individuell an strategischen Zukunftsthemen arbeiten und dabei regelmäßig in fruchtbaren Austausch zu Themen rund um Veränderung und Innovation kommen. Als dritter Ort, neben Eigenheim und Unternehmenssitz, soll die Domäne Schickelsheim Raum für diese strategische Zukunftsgestaltung bieten und ein kollaboratives Arbeiten ermöglichen.“
Hat man diese Zeilen im Hinterkopf und steht dann auf dem schön gepflasterten, riesigen Hof und betrachtet die mächtigen Gebäude dieser komplexen Anlage, dann kommt man nicht umhin, beeindruckt  dieses zu notieren: wahrhaft, eine Mammutaufgabe! Die einem schon ein bisschen Respekt einflößen könnte, und manch einer würde ob des Ausmaßes, das immerhin einen 10-Jahresplan füllen wird, vielleicht gar nicht erst an den Start gehen. Doch die Hallers scheinen da aus anderem Holz geschnitzt zu sein. „Neues zu schaffen oder Bestehendes neu zu interpretieren, ist seit jeher eine meiner großen Leidenschaften. Ich liebe es Dinge zu verändern, weiterzuentwickeln“, sagt Betriebswirtin Donata Haller (36).
Ich liebe es Dinge zu verändern, weiterzuentwickeln.

Donata Haller

Wir stehen dort, wo früher mal Schafe und Rinder untergebracht waren. Die gewaltigen Ställe sind saniert und zu Veranstaltungsräumen umgebaut worden. Das alte Gemäuer ist sichtbar, der Boden ist neu gepflastert, die Räume sind zwar nicht kathedralenhoch, aber doch licht und weit und bieten bestuhlt Platz für jeweils bis zu 300 Personen. Binnen nicht mal eines halben Jahres wurden aus zwei Ställen neue repräsentative Nutzflächen (800 Quadratmeter) für Tagungen, Konferenzen, Workshops oder Events aller Art. „Firmen aus der Region mieteten sich hier bereits ein“, erzählt Donata Haller. „Einige bringen ihr eigenes Programm mit, andere unterstützen wir im Finden der richtigen Partner für ihre Veranstaltungen, mit wieder anderen arbeiten wir inhaltlich an Strategie- und Transformationsthemen. Sie ist sich sicher: In der Region fehle so eine abwechslungsreiche Event Location im besonderen Ambiente mit insbesondere dem Außenbereich und der Ruhe.

Umbau der Domäne schont Ressourcen

Die ehemalige Staatsdomäne sei solide gebaut, die Substanz nach wie vor sehr gut. „Es macht auch mit Blick auf Ressourcenschonung und Klimawandel unbedingt Sinn, das zu erhalten und kreativ umzunutzen“, sagt Donata Haller.
Mit ihrem Langzeitprojekt wollen die Hallers also die Veränderung des ländlichen Raums, der einhergeht mit einer sich stets wandelnden Landwirtschaft, mitgestalten. Sieben Mitarbeiter helfen bei der Verwirklichung der Vision mit.
Unsere Vision ist es, die Gesamtheit unserer bestehenden Gebäude und Flächen zu einer zukunftsweisenden Stätte zu entwickeln.

Donata Haller

Die Landwirtschaftskammer Niedersachsen samt ihrer Versuchsfelder ist bereits seit 50 Jahren auf der Domäne beheimatet. Seit 2019 wurde ihre Arbeit vor Ort ausgeweitet um das Praxislabor Digitaler Ackerbau und 2021 um das Projekt Smart Country. 2022 zog der Strategie- und Kommunikationsberater für den ländlichen Raum Landwerk GmbH dazu.
Im Torhaus der Domäne sind dafür bereits neue Büroräume ausgebaut worden, die für Tagungen, Meetings oder als Co­Working-Space gebucht werden können. Weitere sind in Planung beziehungsweise im Status der Beantragung. Hallers Vision: „Hier können Menschen dann kollaborativ und kokreativ an Zukunftsthemen arbeiten.“
Unser Rundgang geht vorbei an der ehemaligen Remise, die zum Mehrzweckhaus zur zeitweisen Vermietung umgebaut worden ist. Hier können bis zu 15 Personen in Klausur gehen. Auch der malerische Park der Domäne ist in das Leuchtturmprojekt integriert und ob seiner fabelhaften Lage ein besonderer Fleck Erde. Auf der Domäne fanden 2022 unter anderem ein Jazzfestival, Tagungen und Schulungen sowie das Farm Food Climate Festival statt, das laut Donata Haller Gäste aus der ganzen Bundesrepublik angezogen hat. Auch in diesem Jahr werden zum Beispiel das 2. Farm Food Climate Festival in der ersten Septemberwoche und der Berufsfindungstag am 19. September wieder besondere Highlights sein, die allen Interessierten offen stehen. Beim Jazzfestival haben die vier 4- bis 10-jährigen Kinder der Hallers am Büfett beim Kuchenverkauf unterstützt, manchmal helfen sie auch den Floristen, Blumen­gestecke für die Dekoration zu binden.

Vorleben, dass Arbeit ein Teil des Lebens ist

„Leben und arbeiten gehören für mich zusammen“, sagt Donata Haller. Die Kombination mache den Reiz aus. „Das Team und wir tauschen uns aus und arbeiten Hand in Hand. Das erleben unsere Kinder ganz natürlich und beteiligen sich dementsprechend auch an diesem Teil unseres Alltags. „Ich möchte meinen Kindern vorleben, dass Arbeiten Teil des Lebens ist, Spaß macht und bereichert. Nicht nur finanziell.“
Mittlerweile sind wir am Ende des Areals der Domäne, am Rande eines Felds angelangt. Hier stehen, nein, nicht nur Rinder, sondern auch Cabins. Das sind diese kleinen mobilen Einraumhäuschen, die sich mittels Anhängerkupplung flugs andernorts hinziehen lassen. Das Berliner Start-up StayRaus GmbH hat die sechs Cabins in Schickelsheim aufgestellt. Ein idealer Rückzugsort für Veranstaltungsgäste, Stadtflüchter und Gestresste. Die gemütlichen Kabinen haben sogar einen Minikamin, eine kleine Terrasse und ein Panoramafenster, durch das sich morgens vom Bett aus die Stille über dem Feld betrachten lässt.
Am Ende der Runde gibt‘s von den Hunden Donner und Nick eine freundliche Begrüßung im Wohnsitz der Hallers. Draußen vor der Tür zeugt ein Fuhrpark von Bobbycar bis Kinderfahrrad davon, dass hier nachmittags nach Kita- und Schulschluss viel heiterer Trubel ist. Drinnen duftet es schon nach Vorbereitungen zum Mittagessen. Zum Cappuccino serviert Donata Haller noch ein paar Details ihres 10-Jahres-Plans. „Gehen wir doch mal nach außen in die Kurve“, lädt sie uns ein, ihr gedanklich vor die Domäne zu folgen, wo eine Ortserweiterung geplant ist. Unter anderem soll ein leer stehendes Gebäude zum Gästehaus mit 19 Zimmern sowie im Bestand weitere Büro- und Meetingflächen ausgebaut werden, damit Unternehmen ihre Mitarbeiter auch mal ein paar Tage in kreativen Diskurs schicken können. Wenn die Geschäftsfrau so von ihren Plänen, den Bebauungsplänen und Bauanträgen erzählt, merkt man: Es könnte für sie ruhig alles ein bisschen flotter gehen. Aber „die Verwaltungsmitarbeiter machen auch nur ihren Job und durch unsere besonderen örtlichen Gegebenheiten sind viele Aspekte einfach kein Standard“. Überall sei man ihnen und ihren Anliegen offen, kooperativ und konstruktiv begegnet.

Demenzdorf ist in der Planungsphase

Ein Meilenstein für Deutschland könnte ein Projekt des 10-Jahres-Plans werden, das noch in der ganz frühen Planungsphase steckt: ein Demenzdorf. „Hier ist der Platz und die Ruhe gerade für diejenigen an Demenz erkrankten, die zwar geistig verwirrt, aber körperlich noch sehr fit sind“, ist Donata Haller überzeugt. Für diese Menschen, und sie spricht da aus familiärer Erfahrung, gebe es in Deutschland und Europa nur sehr wenige wünschenswerte Unterbringungsmöglichkeiten.“ Es werde noch seine Zeit dauern, sagt Donata Haller. Wenn man schaut, was bisher schon geschafft wurde, lässt sich wohl zuversichtlich schreiben: Auch das wird bestimmt was werden in der Außenkurve von Schickelsheim.
suja