Pilzsaison am Rebenring

Mit einem bislang noch wenig auf seine Eigenschaften erforschten Naturmaterial will das Braunschweiger Start-up YcoLabs die Gebäudedämmung umweltfreundlicher und nachhaltiger gestalten. Noch steht das Projekt am Anfang – doch die Aussichten klingen vielversprechend.
Wenn Anna Sandler über Pilze spricht, bekommt sie leuchtende Augen. Nein, nicht der Geschmack köstlicher Steinpilze oder aromatischer Pfifferlinge lassen sie ins Schwärmen geraten, obwohl sie auch den zu schätzen weiß. Es ist aber vielmehr das Wachstum des Myzels, also der normalerweise unter der Erde verlaufenden, nicht sichtbaren Fäden eines Pilzes, das sie fasziniert. „Wunderschön“ findet sie das weiße Geflecht, das der Pilz produziert – im Wald ganz von alleine, im Labor unter ihrer Assistenz.
Mit der Arte-Dokumentation „Im Königreich der Pilze“ begann einst Sandlers Interesse für die Lebewesen, die weder Tiere noch Pflanzen sind. Schon als Schülerin fing sie an, selbst Kräuter- und Austernseitlinge zu züchten. Seit dem Jahr 2022 hat die Biologie-Studentin, die nicht beleidigt ist, wenn man sie als „Pilz-Nerd“ bezeichnet, ihre private Begeisterung auch in ein berufliches Engagement umgemünzt. Gemeinsam mit Miriam Ritter und Robin Scharf hat die Berlinerin, die an der TU Braunschweig studiert, das Start-up YcoLabs gegründet, das mit dem Pilzmyzel die Art und Weise, wie wir unsere Gebäude dämmen, revolutionieren möchte. „In einer Gipskartonwand steckt normalerweise Glas- oder Steinwolle. Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen enthalten zudem auch unterschiedliche chemische oder künstliche Zusatz­stoffe. Diese Dämmstoffe wollen wir durch unsere Dämmstoff-­Paneele aus Pilzmyzel ersetzen“, erklärt Ritter, die derzeit in Flensburg ihren Master in Angewandten Biowissenschaften macht. Vorteile könne der Pilz hinsichtlich des Raumklimas bieten, vor allem betonen die Gründer aber den Nachhaltigkeitsaspekt ihrer Lösung.

Dämmmaterial auf dem Kompost entsorgen

„Stein- und Glaswolle könnte man nach dem Rückbau von Gebäuden recyceln, es wird in der Regel aber nicht gemacht – auch, weil es sehr energieaufwändig ist“, sagt Pilzkennerin Sandler. Zudem seien der Mineralwolle auch Bindemittel und Erdöl zugesetzt. Das Pilzmyzel hingegen sei ein Naturprodukt, das in der Herstellung deutlich weniger Energie verbrauche und nach Verwendung ohne eine Nachbearbeitung wieder in den natürlichen Kreislauf eintreten könne. „Man könnte es zum Beispiel kompostieren oder als Dünger auf Agrarflächen ausbringen“, erläutert die 21-Jährige. Der U-Wert, also der Dämmwert des Myzels, sei übrigens, so belegen es Studien, vergleichbar mit den derzeit in Nutzung befindlichen Materialien, ergänzt Ritter.
Kennengelernt haben sich Sandler, Ritter und Scharf bei Enactus, einem international agierenden Verein, in dem Studierende Unternehmertum und Innovationen mit Nachhaltigkeitszielen und sozialen Anliegen in Einklang bringen möchten. Hier engagierte sich das Gründertrio zunächst in einem Projekt zur Züchtung von Speisepilzen, ehe sich der Schwerpunkt in Richtung Dämmstoffe verlagerte. Dass ihre Idee ankommt, merkten YcoLabs spätestens im Jahr 2023, als sie in die Start-up Akademie Wachstum und Innovation (W.IN) der Stadt Braunschweig aufgenommen wurden. Seitdem haben sie ein Büro im Technologiepark am Rebenring und profitieren vom Mentoring des Programms. Auch am Futury-Accelerator „The Mission“ mit Sitz in Frankfurt am Main, an dem viele namhafte (Bau-)Unternehmen unterstützend mitwirken, nehmen sie teil.

Zweites Leben für Agrarabfälle

Kreislauffähigkeit, niedriger Energieverbrauch (und damit auch weniger CO2-Ausstoß) und keine toxischen Substanzen: Die Vorteile des Pilzmyzels klingen verlockend. Das YcoLabs-Team verschweigt allerdings nicht, dass noch viel Forschung nötig ist, noch experimentiert werden muss, bis das Material als Dämmstoff künftig marktfähig ist. „Unsere Aufgabe ist es jetzt in den nächsten Monaten, die Kombination aus Substrat und Pilz zu optimieren sowie das Wachstum skalierbar zu gestalten“, blickt Robin Scharf voraus. Mit welchem Pilz sie derzeit die besten Ergebnisse erzielen, verraten die Gründer nicht. Nur so viel: Es handelt sich um eine natürliche Pilzart, die in der Umwelt vorkommt. Als Substrat, der Stoff also, der vom Pilz durchwachsen wird und diesem als Nahrung dient, werden derzeit Sekundärrohstoffe, unter anderem aus der Landwirtschaft verwendet.
Für eine Zulassung notwendige Materialtests und -prüfungen, etwa im Hinblick auf die Bauphysik, die Brandfestigkeit oder den Schallschutz, stehen noch aus. Zudem soll zeitnah in Kooperation mit einem Bauunternehmen eine erste Pilz-Dämmwand entstehen, die zur Veranschaulichung und zu Testzwecken dienen soll. Denn auch die Befestigung des Myzels in der Wand ist noch nicht abschließend geklärt. „Mineralwolle lässt sich falten oder einrollen. Unser Dämmstoff ist ein fester Block, dessen Einbauweise ein bisschen anders funktionieren wird“, erklärt Miriam Ritter.

Nachhaltige Gebäudesanierung wird immer wichtiger

Noch stehe der Einsatz von Pilzmyzel als Baustoff relativ am Anfang, berichtet Robin Scharf. „Es gibt Anbieter, die daran forschen, aber das hat alles noch keine Marktrelevanz“, sagt der Betriebswissenschaftler. Er weiß, dass das Thema der nachhaltigen Gebäudesanierung in Zukunft massiv an Bedeutung gewinnen wird. „Wir betreten da einen sehr spannenden und wachsenden Markt“, freut sich der 28-Jährige aus der Region Hannover, der eifrig Förder­anträge schreibt und nach möglichen Kooperationspartnern an der TU sowie aus der privat­wirtschaftlichen Dämmstoffherstellung sucht. Ebenso sucht das Team nach Experten aus dem Bauwesen zur Unterstützung bezüglich der Anwendungsmöglichkeiten und der regulatorischen Hürden. Im Labor kümmern sich seine beiden Co-Gründerinnen derweil um das perfekte Myzel und produzieren Paneele für die ersten Tests. Die Ergebnisse sollen schon bald nicht nur beim Team von ­YcoLabs für leuchtende Augen sorgen.
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