Automobilstandort Niedersachsen stärken

Wie es ist:

Mit 120.000 direkt Beschäftigten ist die Automobilindustrie der wichtigste Industriezweig in Niedersachsen. Nimmt man die Zulieferindustrie hinzu, sind mehr als 30 Prozent aller Industriearbeitsplätze - rund 250.000 - direkt von der Kraftfahrzeugherstellung abhängig. Die Volkswagen AG als größter Automobilkonzern Europas hat ihren Konzernsitz in Niedersachsen. Auch weitere namhafte Hersteller von LKW, LKW-Anhängern und Bussen produzieren in Niedersachsen. Die Automobilindustrie zieht zudem Beschäftigung im Dienstleistungsbereich nach sich, wie z. B. in der Logistik, der Finanzierung oder im Tourismus (ein sehr gutes Beispiel ist die „Autostadt“ in Wolfsburg). Wegen seiner zentralen Lage in Deutschland und Europa ist Niedersachsen ein verkehrsgeographisch hervorragender Standort, der über direkte Anbindungen an die wichtigsten nationalen wie internationalen Magistralen verfügt.
Die Automobilindustrie befindet sich in einem Transformationsprozess, der sowohl die Antriebsform als auch die Nutzung selbst umfasst. Wesentliche Treiber dafür sind zum einen die Strategien zur Dekarbonisierung des Verkehrs in der Europäischen Union (EU) und in Deutschland. Zum anderen die Digitalisierung der Mobilitätswirtschaft mit den Trends hin zum vernetzten und autonomen Fahren, zu Sharing-Modellen und weiteren neuen Dienstleistungen (z. B. der digital gesteuerten Bestellung autonom fahrender Taxis oder Car-Sharing-PKW hin zum Kunden). Es müssen neue Antriebstechnologien wie Elektroantriebe (mit Batterien oder wasserstoffbetriebenen Brennstoffzellen) sowie gasförmige oder flüssige synthetische Kraftstoffe in die Fertigungskette integriert werden. Nicht zuletzt muss für die neuen Antriebstechnologien und Treibstoffe die Infrastruktur weiter aufgebaut werden.
Im Hinblick auf die Reduktion der CO2-Emissionen hat die Automobilindustrie bereits große Anstrengungen unternommen und große Fortschritte erzielt. Seit 1990 ist der Bestand an PKW und LKW in Deutschland massiv angestiegen. Bei den PKW um mehr als ein Drittel, bei den LKW um mehr als drei Viertel. Trotz dieser enormen Steigerungen konnten die CO2-Emissionen im Verkehrssektor nahezu konstant gehalten werden. Ohne die massiven Investitionen in die Entwicklung energieeffizienterer Motoren und Fahrzeugtechniken, wären die Emissionen heute um 40 bis 50 Prozent höher. Bezogen auf diesen Wert hat die Automobilindustrie eine höhere Vermeidungsleistung erbracht als jeder andere Sektor in Deutschland.
Zentrale Herausforderung hierbei sind die gravierenden infrastrukturellen Engpässe. Genehmigungs- und Planungszeiten in Deutschland sind in vielen Fällen sehr lang. Das zeigen auch bisherige Erfahrungen mit der Genehmigung und Realisierung von Lade-Infrastruktur für E-Fahrzeuge. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen wird die erforderliche Infrastruktur nicht schnell genug errichtet werden können, um die voraussichtlich ab Anfang der 2020er Jahre verstärkt auf den Markt drängenden E-Fahrzeuge auch im Alltag praxisgerecht nutzen zu können.
Bereits jetzt zeichnet sich zudem ab, dass der Mobilitätsbedarf in den nächsten Jahren nicht allein durch E-Mobilität oder CO2-frei hergestellte synthetische Kraftstoffe gedeckt werden kann. Die 2015 in Paris vereinbarten Klimaziele und die hierfür erforderlichen CO2-Reduktionen können nur erreicht werden, wenn auch weiterhin in die Entwicklung moderner Dieseltechnologie investiert wird und wenn in die notwendigen CO2-Vermeidungsanstrengungen Sektor- und Nationenübergreifende, Kosteneffizienz sichernde Instrumente wie der Handel mit Emissionszertifikaten einbezogen werden. Die kommenden Jahre werden zudem davon geprägt sein, dass Arbeitsprozesse noch stärker durch Informationstechnologie unterstützt werden. Hierauf müssen sich Unternehmen mit ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einstellen. Durch die immer neu hinzukommenden Möglichkeiten der Mensch-Maschine-Interaktion und der direkten Kommunikation von Maschinen untereinander, werden sich Entwicklungs- und Produktionsprozesse erheblich wandeln. Da der Einsatz von Software in der Automobilwirtschaft steigt, müssen mehr Fachkräfte für diese Technologien ausgebildet werden. Dazu müssen Angebote der Aus- und Weiterbildung angepasst werden, um die Nachfrage nach Fachkräften weiterhin bedienen zu können.
Durch die Möglichkeiten der digitalen Vernetzung und Automatisierung ändert sich das Nutzungs- und Mobilitätsverhalten der Menschen deutlich. Hierdurch werden völlig neue Arten von Produkten und Dienstleistungen auf dem Markt nachgefragt werden. So nimmt beispielsweise die Bedeutung des eigenen PKW in der jüngeren Generation - besonders im städtischen Raum - ab. Neue Formen der Mobilität und der Vernetzung der Mobilitätsangebote werden deshalb immer wichtiger. Die Hersteller müssen sich auf diese geänderten Rahmenbedingungen einstellen und gleichzeitig mit neuen Wettbewerbern rechnen. Technologieunternehmen drängen auf den Mobilitätsmarkt und werden zu neuen Wettbewerbern. Dabei werden Daten immer wichtiger. Sowohl die Verfügbarkeit von Daten, aber auch die Vernetzung einzelner Systeme untereinander sind für den Erfolg von entscheidender Bedeutung.
Unter den Begriffen “Mobility as a Service“ (MaaS), “Transport as a Service“ (TaaS) und vor allem auch “Business as a Service“ (BaaS) vereinen sich die Herausforderungen, aber auch die Möglichkeiten und Chancen einer sich ändernden Mobilitätswelt mit der datengetriebenen Plattformökonomie. Nutzer und Anbieter werden zukünftig „on Demand“ und nahezu in Echtzeit über Angebot und Nachfrage von Produkten oder Dienstleistungen handeln. Dieses bedingt ein völlig neues Design des Transportes, sowie der Transportketten von Gütern, Personen aber auch Dienstleistungen. Auf der einen Seite besteht die Notwendigkeit, sein jeweiliges Angebotsspektrum digital verfügbar, nutzbar oder buchbar zu gestalten, auf der anderen Seite benötigen wir eine Infrastruktur, deren Leistungsfähigkeit den Transport, die Speicherung und den Zugang gewährleisten kann.

Was zu tun ist:

(Lade-)Infrastrukturen ausbauen und einheitliche Standards schaffen

Für den Erfolg der Elektromobilität ist die ausreichende Verfügbarkeit einer frei zugängigen Ladeinfrastruktur mit einheitlichen Lade- und Bezahlstandards entscheidend. Ein zügiger, bedarfsgerechter und flächendeckender Ausbau dieser Infrastruktur in Niedersachsen, sowohl im ländlichen als auch urbanen Gebiet, wird - neben der Preisgestaltung für E-Fahrzeuge- eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Akzeptanz von Elektromobilität in der Bevölkerung sein. Dabei sollte der Ausbau der Ladeinfrastruktur kundenorientiert erfolgen. Bund, Länder und Kommunen müssen hierfür schnellstmöglich eine gemeinsame Strategie entwickeln und die rechtlich notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Beispielsweise ist ein deutlich schlankeres Genehmigungsverfahren für öffentliche Ladesäulen erforderlich. Hersteller sollten von Beginn an einheitliche technische Standards wie Ladestecker und Stromstärken, aber auch Standards für die Abrechnung entwickeln. Unterschiedliche oder inkompatible Systeme stellen ein Nutzungshemmnis und damit ein Hemmnis für die Akzeptanz der Elektromobilität dar. Zudem sollten Bezahl- und Abrechnungssysteme der Ladesäulen einfach gestaltet sein, so dass sie für möglichst viele Nutzer zugänglich sind. Um realistische Erfolgsaussichten in der Elektromobilität zu schaffen ist es somit unbedingt notwendig, dass es einheitlich abgestimmte Vorgaben zur Weiterentwicklung der gesamten Ladeinfrastruktur gibt und die notwendigen Rahmenbedingungen auch Angebote durch Unternehmen zulassen.
Der Ausbau eines hochleistungsfähigen Netzwerkes mit flächendeckenden Glasfaser-anschlüssen als notwendige Basis eines bedarfsgerechten Mobilfunks (4G und 5G) ist eine entscheidende Voraussetzung für die Mobilität der Zukunft. Dort, wo möglichst kurze Latenzzeiten benötigt werden, ist der vorrangige Ausbau des neuen Mobilfunkstandards 5G erforderlich. Gleichzeitig dient eine flächendeckend zur Verfügung stehende hochleistungsfähige digitale Infrastruktur aber auch der Zukunftsfähigkeit der Unternehmen und damit der Anschlussfähigkeit Niedersachsens an die internationale Spitze.

Auf Technologiemix setzen

Für das Gelingen der Mobilitätswende bedarf es einer Mischung verschiedener Antriebs-technologien, mit denen es sich auf Seiten der Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zu beschäftigen gilt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Mobilitätlösungen im urbanen Raum andere technologische Anforderungen erfüllen müssen als in ländlicheren Gebieten oder z.B. im überregionalen Güterverkehr. Neben den klassischen Verbrennungsmotoren und Elektromobilität könnten zukünftig zum Beispiel Wasserstoff für Brennstoffzellen und synthetische Kraftstoffe eine größere Rolle als Energieträger spielen. Besonders grüner Wasserstoff, gewonnen aus regenerativen Energiequellen, kann ebenfalls einen erheblichen Beitrag zum Gelingen der Mobilitäts- und Energiewende leisten. Neben der Substitution von fossil basiertem industriell genutztem Wasserstoff  ist eine Energiespeicherung durch Rückverstromung oder eine Umwandlung in andere chemische Energieträger möglich (Power-to-Gas, Power-to-Liquid, Power-to-Chemicals). Die Entwicklung von Antriebstechnologien weist eine hohe Dynamik auf. Jede Antriebsform hat ihre Vorteile und sollte bedarfsgerecht zur Anwendung kommen. Dabei sollte auch die Anbindung des klassischen Kraftfahrzeugs an alternative Mobilitätsformen berücksichtigt werden. Daher ist es besonders wichtig, sich mit allen zur Verfügung stehenden Alternativen zu beschäftigen und technologieoffen im allgemeinen Austausch hinsichtlich Entwicklungsmöglichkeiten zu bleiben.

Rechtliche Grundlagen für Zukunftstechnologien legen

Mit dem „Testfeld Niedersachsen Autonomes Fahren“, das bis Ende 2019 in seiner ersten Stufe fertiggestellt wird, und sich über das Dreieck Hannover-Salzgitter-Braunschweig/Wolfsburg mit einer Gesamtlänge von ca. 280 Kilometern erstreckt, können neue Technologien getestet werden. Abhängig von den Ergebnissen lassen sich auch Rückschlüsse über den notwendigen landesweiten Ausbau der digitalen Infrastruktur für die Einführung des autonomen und vernetzen Fahrens gewinnen. Durch die Einrichtung kann Niedersachsen zum Vorreiter beim Testen von vernetzten und automatisierten Fahrzeugen werden und dadurch einen wichtigen Beitrag zur Zukunftssicherung der Automobilregion leisten. Auf EU- und Bundesebene muss der Gesetzgeber die notwendigen rechtlichen Grundlagen für das autonome Fahren schaffen.

Förderprogramme technologieoffen gestalten

Förderprogramme müssen technologieoffen gestaltet werden. Insbesondere die Busse des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) bieten weiterhin große Einsparpotentiale. Zusätzlich sollten finanzielle und steuerliche Kaufanreize (einschließlich Senkung der Abgaben/Steuern auf den Strompreis) geschaffen werden, damit auch Unternehmen vermehrt auf alternative Antriebe umsteigen. Im Bereich der schweren Nutzfahrzeuge oder im Busbereich zeichnet sich noch nicht ab, welche Technologie sich durchsetzen wird. Deshalb sollten auch hier zukünftige Förderprogramme technologieoffen sein. Grundsätzlich sollten Förderprogramme auf Pilot- und Anschubphasen begrenzt werden.

Aus- und Weiterbildung vorantreiben

Geänderte Rahmenbedingungen und Anforderungen in der Arbeitsweilt machen es notwendig, dass passgenaue Angebote der Aus- und Weiterbildung für die Beschäftigten geschaffen und Berufe und formale Weiterbildungen modernisiert werden. Förderprogramme können dabei helfen, Beschäftigten eine Qualifizierung zu ermöglichen. Hierbei sollten die Industrie- und Handelskammern mit ihrem Know-how eine Vorreiterrolle übernehmen.

Dialogprozesse initiieren

Um die Wettbewerbsfähigkeit der niedersächsischen Automobilindustrie zu sichern, wird die Kommunikation zwischen Automobilherstellern, Zulieferern und der Politik immer wichtiger. Die Industrie- und Handelskammern sollten Dialogprozesse anstoßen und unterstützen. Dabei ist es entscheidend, den Austausch nicht auf einmalige Gelegenheiten zu beschränken, sondern zu verstetigen. Nur mit einem regelmäßigen und engen Austausch kann die Politik dafür sensibilisiert werden, welchen Herausforderungen Unternehmen sich stellen müssen und Unternehmen können bei politischen Fragestellungen frühzeitig mit eingebunden werden. Nur gemeinsam kann es gelingen, die Herausforderungen des Transformationsprozesses erfolgreich zu meistern und die Wettbewerbsfähigkeit des Automobilstandortes Niedersachsen langfristig zu sichern. Der Dialog zwischen Wissenschaft und Wirtschaft sollte ebenfalls nicht vernachlässigt werden. Denn der dortige Know-how- und Technologietransfer ist mehr denn je ein wichtiger Baustein für die Innovationsfähigkeit von Unternehmen, die dann wiederum zur Wettbewerbsfähigkeit des Standortes beiträgt.

Planungsprozesse beschleunigen

Die Mobilitätswende setzt schnellere Planungsprozesse voraus. Anderenfalls kann weder die Wirtschaft die gesetzten Vorgaben erfüllen, noch Deutschland die von der EU vorgegebenen Ziele zur Dekarbonisierung des Verkehrs erreichen. Dabei wird es nach aktuellem Stand nicht ausreichen, bestehende Prozesse zu optimieren. Vielmehr ist ein Vorgehen erforderlich, in dem notwendige Planungs-, Genehmigungs- und Realisierungsschritte optimal aufeinander abgestimmt werden. Wir brauchen eine deutliche Beschleunigung des Planungsrechts, z. B. nach dänischem oder holländischem Vorbild. Hierbei ist Eile geboten. Anderenfalls wird es zu erheblichen Benachteiligungen des Standorts Niedersachsen kommen, da die hier ansässigen Unternehmen die gesetzten Vorgaben nicht erfüllen werden können. Folgen wären deutliche Verluste bei der Beschäftigung, der Wertschöpfung und damit erhebliche Wettbewerbsnachteile in einem globalisierten Markt.

Städtische Mobilität neu denken und gestalten

Angesichts anhaltender Probleme der größeren Städte bei der Einhaltung von Lärm- und Emissionsgrenzwerten sowie der Bewältigung des Verkehrsaufkommens im motorisierten Individualverkehr (MIV) sind diese Kommunen gefordert, neue Anreize zum Umstieg auf andere Mobilitätsformen zu setzen. Wichtige Ansätze dabei sind der Ausbau der Park & Ride-Angebote und des nachfrageorientierten ÖPNV sowie des Radwegenetzes und der Fahrradparkplätze. Dabei ist allerdings sicherzustellen, dass die Innenstädte weiterhin gut für den MIV erreichbar bleiben. Eine einseitig restriktive kommunale Verkehrspolitik zu Lasten des MIV wird abgelehnt, denn dieser wird noch über viele Jahre eine zentrale Rolle bei der Sicherstellung der Mobilität spielen. Bahnhöfe und stark frequentierte Haltestellen sollten zu Mobilitätsknoten ausgebaut werden, die einen einfachen Wechsel zwischen den unterschiedlichen Mobilitätsformen ermöglichen (z. B. P&R, Carsharing, Leihrad- und Ladestation, dynamische Fahrgastinformationen, verbraucherfreundliche Abrechnungsmodelle).

ETS-System (European Union Emission Trading System) priorisieren und ausbauen

Höchste Priorität muss der Umbau der klimapolitischen Instrumente haben. Die allein auf Sektoren zielenden Zielvorgaben, mit denen die EU und die Bundesregierung bisher operieren, haben sich als ungeeignete Instrumente erwiesen. Sie haben dazu geführt, dass es zwischen den Sektoren zu massiven Verzerrungen und in deren Folge zu erheblichen Effizienzverlusten gekommen ist. Die deutsche Klimapolitik muss effizienzorientiert sein. Das bedeutet, sie muss gegebene Ziele mit kosteneffizientesten Mitteln erreichen. Sie sollte insofern Möglichkeiten nutzen, die der europäische Emissionshandel bietet.
Im ETS Sektor sind seit 2008 über 600 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr eingespart worden und das zu extrem niedrigen Kosten. Das ETS hat sich zum erfolgreichsten klimapolitischen Instrument weltweit entwickelt. Es ist ohne weiteres möglich, den Verkehrssektor in das ETS zu integrieren. Mit der Integration des Verkehrssektors (und anderer Sek-toren) in das ETS könnte in der Zukunft die europäische CO2-Gesamtemission kosten-effizient gesteuert werden. Das alles würde zu einer erheblichen Entlastung der deutschen Automobilindustrie führen, die sie dringend braucht, um die langfristig anstehenden technologischen Herausforderungen im stärker werdenden Wettbewerb meistern zu können.