Krieg gegen die Ukraine – Energieversorgung und Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Wirtschaft sichern

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine stellt auf vielen Ebenen eine Zeitenwende dar. Neben dem Angriff auf unsere demokratischen Grundwerte sowie die europäische Nachkriegsordnung ist er auch eine Gefahr für unser Wirtschaftssystem und dem auf ihm aufbauenden Wohlstand der Gesellschaft. Steigende Energie- und Rohstoffpreise bedrohen bereits einige produzierende beziehungsweise energieintensive Unternehmen existenziell. Ganze Branchen wie die Industrie oder Transportunternehmen werden massiv belastet, Lieferketten werden gestört. Auch für die privaten Haushalte steigen die Kosten rasant, der deshalb rückläufige Konsum trifft alle Branchen und den gesamten Wirtschaftskreislauf.
Gleichzeitig erfahren die Ukraine und insbesondere auch die von dort geflüchteten Menschen eine Welle der Solidarität auch aus den Unternehmen in der Region Bodensee-Oberschwaben. Neben der anfänglichen unmittelbaren Hilfe durch Spenden oder Unterkünfte kommt es nun darauf an, Geflüchtete in Beschäftigung zu bringen, um je nach weiterem Kriegsgeschehen eine Unterstützung von Angehörigen in der Ukraine oder auch längerfristige Bleibeperspektiven zu ermöglichen.
Ein von welcher Seite auch immer in Gang gesetzter Gaslieferstopp hätte je nach Zeitpunkt und weiteren Rahmenbedingungen potenziell katastrophale Auswirkungen auf die regionale Wirtschaft und damit auch auf Beschäftigung und Wohlstand. Mit einem Bruttowertschöpfungsanteil von rund 41 Prozent des produzierenden Gewerbes wäre die regionale Wirtschaft von den negativen Auswirkungen überproportional betroffen. Das Leibnitz-Institut für Wirtschaftsförderung prognostizierte in einer im April 2022 veröffentlichten Studie einen möglichen Rückgang der Bruttowertschöpfung in den Landkreisen der Region von rund 7 bis 9 Prozent sowie der Anzahl der Erwerbstätigen von rund 6 bis 7 Prozent alleine für den Zeitraum 2022/2023. Die Bundesnetzagentur arbeitet intensiv an der Festlegung von Kriterien und dem Aufbau einer fundierten Informationsbasis für mögliche Abschaltungen, so dass die wirtschaftlichen Auswirkungen begrenzt und Lieferketten so weit wie möglich aufrecht erhalten werden könnten.
Die IHK-Organisation hat vor diesem Hintergrund folgende Resolutionen und Positionspapiere erarbeitet:
Für die Wirtschaft der Region Bodensee-Oberschwaben sind in diesem Zusammenhang folgende Forderungen an die verantwortlichen Akteure in der Politik von besonderer Bedeutung:
  • Energiesparen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe: Jeder Kubikmeter Gas, der bereits jetzt gespart und der gespeichert wird, kann für die Wirtschaft und Gesellschaft im Falle eines Gas-Lieferstopps sehr wertvoll sein und die negativen Folgen mildern. Daher sind alle Institutionen und Akteure aufgerufen, schon jetzt Einsparpotenziale zu nutzen. Sofern Appelle und Anreize nicht zu hinreichenden Einsparungen führen, muss die Möglichkeit einer gesetzlichen Energiesparpflicht für alle Verbraucher geprüft werden.
  • Grundstoffindustrie sichern: Im Fall zeitweiser Abschaltungen der Gasversorgung ist neben der Sicherung des lebenswichtigen Bedarfs im Sinne des Notfallplans Gas insbesondere auch eine möglichst weitreichende Sicherung der Grundstoffindustrie von größter Bedeutung für den Erhalt von Lieferketten.
  • Zuständigkeiten klären: Im Fall eines Gaslieferstopps droht eine Klagewelle, die den Wirtschaftskreislauf zusätzlich hemmen könnte. Fragen der Zuständigkeit von Bund und Ländern sowie von Bundeslastverteiler und Netzbetreibern im Falle von Abschaltmaßnahmen müssen daher so konkret und früh wie möglich geregelt werden.
  • Ergebnisoffene Prüfung der Nutzbarkeit oder Laufzeitverlängerung von konventionellen Energieträgern: Die Klimaschutzziele und die Energiewende stehen außer Frage. Im Fall einer existenziellen Bedrohung unserer Wirtschaft durch Versorgungsengpässe oder unzureichende Versorgungsqualität muss jedoch eine zeitlich beziehungsweise sachlich befristete Nutzung oder Laufzeitverlängerung von konventionellen Energieträgern unter den veränderten Rahmenbedingungen technologieoffen und ideologiefrei erneut geprüft werden. Inwieweit hierbei eine längere Laufzeit der Kernkraftwerke einen Beitrag leisten kann und soll, ist derzeit Gegenstand einer kontroversen fachlichen, politischen und öffentlichen Diskussion. Auch unter den IHK-Mitgliedsunternehmen bestehen diesbezüglich unterschiedliche Einschätzungen. Mit Blick auf die in wenigen Monaten drohende Gefährdung der Versorgungssicherheit und –qualität kommt es daher darauf an, dass die zuständigen Fachexperten sehr schnell eine objektive Entscheidungsgrundlage bereitstellen und die Politik auf dieser Basis über die Frage der Laufzeitverlängerung entscheidet.
  • Unbürokratische Beschleunigung der Energiewende: Dem Abbau der in den verschiedenen energiepolitischen Positionen formulierten bürokratischen Hemmnisse bei Energiewende und Netzausbau kommt nun eine noch größere Bedeutung zu. Die Politik ist gefordert, nun schnellstmöglich die Rahmenbedingungen für eine deutlich beschleunigte Umsetzung zu schaffen.
  • Wettbewerbsfähigkeit im Allgemeinen: Für eine auch künftige Sicherung der globalen Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft, für die Sicherung von Beschäftigung und Wohlstand, aber auch für die Finanzierung der veränderten Sicherheitspolitik sowie von Klimaschutz und Energiewende, ist der Erhalt von in ihrer Existenz bedrohten Betrieben von größter Bedeutung. Ebenso müssen gerade in der von de facto Vollbeschäftigung und Fachkräfteengpässen geprägten Region Bodensee-Oberschwaben Arbeitsplätze erhalten werden. Unternehmen, die infolge von Auswirkungen des Krieges gegen die Ukraine in existenzielle Notlagen geraten, müssen daher mit staatlicher Unterstützung in ihrer Existenz gesichert werden. Arbeitsplätze müssen notfalls auch mit staatlicher Unterstützung gesichert werden.
  • Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Unternehmen: Deutschland ist derzeit noch in besonderem Maße von russischen Gaslieferungen abhängig. Dies gilt aufgrund der europäischen Gasinfrastruktur insbesondere für den Süden und damit auch für die Region Bodensee-Oberschwaben. Für energieintensive Unternehmen, die infolge steigender Energiepreise in besonderer Weise in ihrer Wettbewerbsfähigkeit bedroht sind, müssen daher so lange staatliche Hilfsprogramme bereitgestellt werden, bis die Wettbewerbsfähigkeit wieder sichergestellt ist.
Die oben aufgeführten Dokumente sowie die Forderungen von besonderer Bedeutung für die Wirtschaft der Region Bodensee-Oberschwaben wurden im Energieausschuss der IHK Bodensee-Oberschwaben konsultiert. Von den 17 Unternehmen sehen zwei Unternehmen insbesondere auch den vorübergehenden Weiterbetrieb von Kernkraftanlagen als einen möglichen Lösungsansatz, um die Versorgungssicherheit und ‐qualität weiterhin zu gewährleisten.