BWIHK: Positionspapier zum Thema Klimaschutz

Klimaschutz und die damit einhergehende ökologische Transformation sind für die baden-württembergische Wirtschaft aktueller denn je. Der Baden-Württembergischer Industrie- und Handelskammertag hat zum Thema Klimaschutz ein Positionspapier veröffentlicht.

Wer wir sind:

Der Baden-Württembergische Industrie- und Handelskammertag (BWIHK) ist eine Vereinigung der zwölf baden-württembergischen Industrie- und Handelskammern (IHKs). In Baden-Württemberg vertreten die zwölf IHKs die Interessen von mehr als 650.000 Mitgliedsunternehmen. Zweck des BWIHK ist es, in allen die baden-württembergische Wirtschaft und die Mitgliedskammern insgesamt betreffenden Belangen gemeinsame Auffassungen zu erzielen und diese gegenüber der Landes-, Bundes- und Europapolitik sowie dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und anderen Institutionen zu vertreten.

Relevanz für die baden-württembergische Wirtschaft

Klimaschutz und die damit einhergehende ökologische Transformation sind für die baden-württembergische Wirtschaft aktueller denn je. Spätestens durch die politischen Bestrebungen, Europa mit allem Nachdruck zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen, durch die sich daraus ableitenden nationalen Vorgaben sowie durch den kontinuierlichen Preisanstieg fossiler Energieträger, verstärkt durch die jüngsten politischen Entwicklungen, muss sich jedes Unternehmen individuell mit dem Klimawandel und den sich daraus ergebenden Handlungsnotwendigkeiten auseinandersetzen. Hinzu kommen wachsende Anforderungen aus den jeweiligen Wertschöpfungsketten sowie die sich ändernden Kundenanforderungen, die Transparenz und nachhaltiges Wirtschaften immer mehr in den Vordergrund rücken.
Die Transformation der Wirtschaft hat also längst begonnen. Bei Arbeits-, Produktions- und Lieferprozessen entsteht zunehmend größerer Handlungsdruck, der das Aufrechterhalten der Wettbewerbsfähigkeit immer häufiger erschwert. In der Vergangenheit gab es nur selten eine Verzahnung zwischen Wirtschaftswachstum und Klimaschutz. Der Klimawandel mit seinen unmittelbar spürbaren Auswirkungen, ein verändertes Verständnis von Nachhaltigkeit und vom Umgang mit natürlichen Ressourcen sowie die politischen Bestrebungen stellen jedoch ganz neue Herausforderungen für Wirtschaft und Gesellschaft dar. Nachhaltiges Wirtschaften bedeutet nun also keinen „Zusatz“ mehr, sondern eine zukünftige Grundlage wirtschaftlichen Erfolgs. Klimaschutz muss als neues Paradigma der Wettbewerbsfähigkeit betrachtet werden. Angefangen bei der Reduktion der Treibhausgasemissionen geht es darüber hinaus bis zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Das ist eine immense Herausforderung, der sich unsere Wirtschaft stellen muss.
Auch die baden-württembergische Landesregierung hat den Klimaschutz ins Zentrum ihres Koalitionsvertrags und damit des Regierungshandelns für die kommenden Jahre gestellt. Dies bringt auch die Novelle des Klimaschutzgesetzes deutlich zum Ausdruck. Politik und Wirtschaft stehen nun gemeinsam vor der großen Aufgabe, die gesteckten Klimaziele mit ökonomischen Interessen, regionalem Wohlstand und internationaler Wettbewerbsfähigkeit in Einklang zu bringen und den Transformationsprozess strukturerhaltend und sozial gerecht zu gestalten.
Die entscheidenden Fragen sind:
  • Wie kann eine Klimaneutralität Baden-Württembergs stabil und erfolgreich erreicht werden, unter gleichzeitiger Sicherung der Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze?
  • Welche Maßnahmen muss Baden-Württemberg hierzu konkret ergreifen?
  • Mit welchen konkreten Maßnahmen wird Baden-Württemberg die mittelständischen Betriebe beim Klimaschutz unterstützen?
  • Wie kann Baden-Württemberg die ökologische Transformation der Wirtschaft beschleunigen und mehr Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung erreichen?

Folgende Aspekte sind aus unserer Sicht von entscheidender Bedeutung:

Erstes Handlungsfeld: Klimaziele

  • Eine Verlässlichkeit und Langfristigkeit der gesetzlichen Rahmenbedingungen ist unerlässlich. Denn für langfristige Investitionen ist das Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2040 lediglich noch einen Investitionszyklus entfernt. Die Wirtschaft benötigt also widerspruchsfreie Regelungen, da sonst Fehlinvestitionen und „Stranded Assets“ drohen. Bevor Ende der 20er-Jahre, kurz vor dem Zwischenziel 2030, nur noch durch ordnungspolitische Vorgaben entscheidend Einfluss genommen werden könnte, müssen jetzt konkrete Dekarbonisierungspfade für die einzelnen Wirtschaftszweige aufgezeigt werden. Denn verschärfte Regulatorik und dramatisch zunehmender Handlungsdruck Ende der 20er-Jahre würden ansonsten zu Carbon Leakage und einem Verlust regionaler Wertschöpfungsketten führen.
  • Zentrales Element des Klimaschutzgesetzes sind die Klimaschutzziele für die Jahre 2030 und 2040. Der Treibhausgasausstoß des Landes soll im Vergleich zu den Gesamtemissionen im Jahr 1990 bis 2030 um mindestens 65 Prozent sinken und bis 2040 soll über eine schrittweise Minderung Netto-Treibhausgasneutralität („Klimaneutralität“) erreicht sein.
  • Das neue Klimaschutzgesetz zieht also das Ziel der Klimaneutralität nochmals fünf Jahre vor auf 2040, lässt aber weiterhin offen, wie die Ziele realisiert werden sollen. Gewerbliche und industrielle Anlagen laufen oftmals rund 20 Jahre und müssen vorher geplant und genehmigt werden. Dafür fehlen aktuell verlässliche Grundlagen. Die Wirtschaft ist ein großer Teil der Lösung des Klimaproblems. Für ein klimaneutrales Industrieland brauchen Unternehmen aber mehr Rationalität und Planbarkeit der Politik.
  • Bislang endet die Kommunikation von Regierungsseite jedoch bei den Zahlen für die Klimaschutzziele. Die Risiken auf dem Weg zur Erreichung dieser Ziele werden ausgeblendet und es gibt bislang keine Folgenabschätzungen hinsichtlich ökonomischer und sozialer Auswirkungen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass die erforderlichen Veränderungen in weniger als zehn Jahren zu Strukturbrüchen führen werden.
  • Ohne fundamentale Verhaltensänderungen jedes Einzelnen wird dieser Umbruch nicht gelingen, der alle Lebensbereiche und Sektoren betrifft. Wie das konkret erreicht werden kann, wird von der Regierung bisher nicht thematisiert. Hier drohen zunehmende Akzeptanzprobleme.
  • Auch die Planbarkeit des CO2-Preisanstiegs ist sehr bedeutend für die Wirtschaft. Eine unklare Preisentwicklung führt zu Planungsunsicherheit, welche letztlich zum Verlust der Wettbewerbsfähigkeit und zum Abwandern von Unternehmen führen könnte.
  • Die Landesregierung möchte 2022 ein novelliertes „Integriertes Energie- und Klimaschutzkonzept“ (IEKK) beschließen, das spezifische Ziele für die einzelnen Sektoren (Industrie, Verkehr, GHD etc.) beinhalten soll und will diese mit einem regelmäßigen Monitoring überprüfen. Falls sich abzeichnet, dass diese Sektorziele nicht erreicht werden, beschließt die Landesregierung zusätzliche Maßnahmen. Diese neuen jahresscharfen Klima-Sektorziele sind zwar als Eckpfeiler politisch gesetzt. Starre Klima-Sektorziele im Klimaschutzgesetz sollten jedoch gemäß einem „Effizienzgebot“ vermieden werden. Die Effizienz der eingesetzten finanziellen Mittel für Klimaschutzmaßnahmen (gemessen als „eingesparte Tonne CO2 pro eingesetztem Euro“) sollte hierbei Vorrang vor der erzwungenen Erreichung einzelner sektorspezifischer Ziele haben. Eine Flexibilisierung von Sektorenzielen darf nicht einseitig zu Lasten der Industrie erfolgen. Denn im Klimaschutz kommt es maßgeblich auf Geschwindigkeit an. Frühe Einsparungen sind besser als später, unabhängig in welchem Sektor diese erreicht werden. Und auch im Umwelt- und Klimaschutz gilt das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen, d.h. dass zusätzliche CO2-Einsparungen nur mit immer mehr Investitionen bzw. Aufwand erzielt werden können.
  • Bei der ökologischen Transformation der Wirtschaft wird weiterhin nicht unterschieden zwischen linearen Entwicklungen (wie z.B. die Fortschritte bei der Gebäudesanierung) und dynamischen Lernkurven (z.B. bei Photovoltaik, Wasserstoff oder Elektromobilität). Bisher wurde die Chance vertan, in die Gesetzgebung Flexibilisierungsoptionen einzubauen, um auf die nicht-lineare Realität besser reagieren zu können. Klimaschutz wird durch lineare Steuerung deutlich ineffizienter und teurer. Investitionen brauchen Zeit und bestimmte Voraussetzungen (z.B. Infrastruktur), damit sie wirken können. Ein Korsett jahresscharfer, linearer Klima-Sektorziele auf Grundlage heutiger Abschätzungen schafft theoretische Zukunftslandschaften, aber hilft dem Klimaschutz nur bedingt weiter.
  • Steuerliche Anreize und direkte Fördermaßnahmen sind ordnungspolitischen Maßnahmen und Regulierungen vorzuziehen. Dadurch kann intrinsisch das Innovationstempo der Wirtschaft erhöht werden.

Zweites Handlungsfeld: Erneuerbare Energien

  • Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll schneller vorankommen; dafür ist eine entsprechende Flächenbereitstellung erforderlich. Durch das 2 %-Ziel der Landesregierung wird die bereits bestehende Flächenkonkurrenz jedoch verschärft. Die neu eingerichtete Task Force erneuerbare Energien der Landesregierung ist deshalb gefordert, schnell Ansatzpunkte und Lösungen zu präsentieren, wie der Ausbau der erneuerbaren Energien im Land konkret vorangebracht werden kann. Auch die Geothermie und Biomasse mit ihrem beträchtlichen Zukunftspotenzial sollte eine Chance bekommen. Maßnahmen der Task Force sollten im Einklang mit den von der neuen Bundesregierung angedachten Vereinfachungen von Planungs- und Genehmigungsverfahren stehen. Bei der technischen, personellen und organisatorischen Stärkung der Behörden sollte Baden-Württemberg schnell voranschreiten.
  • Zudem müssen Naturschutzvorgaben im Rahmen der Genehmigungsverfahren schnellstens vereinheitlicht werden, um nicht weiterhin wertvolle Zeit bei der Dekarbonisierung der Energieversorgung zu verlieren. Behörden legen Regeln unterschiedlich aus und erschweren es den Projektierern, die in mehreren Bundesländern oder Landkreisen tätig sind, neue Anlagen zu errichten. Die Vorgaben sollten bundeseinheitlich gestaltet werden, beispielsweise in einer TA Artenschutz.
  • Unternehmen in Baden-Württemberg engagieren sich beim Ausbau erneuerbarer Energien zur Eigenversorgung. Dieses Engagement gilt es weiter anzureizen und bürokratische Hemmnisse durch Abgrenzungs- und Meldepflichten abzubauen, anstatt auf dirigistische Maßnahmen zu setzen.
  • Auch langfristige Stromverträge (PPA) und europäisch gehandelte Herkunftsnachweise können den Ausbau der erneuerbaren Energien voranbringen. Die Landesregierung sollte hierzu Informations- und Unterstützungsangebote für KMU entwickeln, um den Zugang zu diesen Instrumenten anzureizen und zu vereinfachen.

Drittes Handlungsfeld: Versorgungssicherheit

  • Gemäß einer Studie der Universität Stuttgart und des DLR, die für das Umweltministerium BW im Jahr 2018 erstellt wurde, erschien die Versorgungssituation bis Mitte des Jahrzehnts aus damaliger Sicht noch beherrschbar zu sein. Bei einem beschleunigten Kohleausstieg benötigt Süddeutschland laut dieser Studie allerdings bereits 2025 bis zu 16 GW Strom-Importkapazitäten aus dem benachbarten Ausland zur sicheren Lastdeckung. Die deutliche Verzögerung der Nord-Süd-Netzinfrastrukturprojekte Ultranet und SuedLink, in Verbindung mit einem, laut Koalitionsvertrag der Bundesregierung, erhöhten prognostizierten Bruttostrombedarf von 680 bis 750 Terawattstunden in 2030, spitzen die Lage bei der Versorgungssicherheit in Baden-Württemberg – unabhängig von aktuellen weltpolitischen Verwerfungen – spätestens gegen Ende dieses Jahrzehnts zu.
  • Des Weiteren muss der (HGÜ-)Stromnetzausbau auch auf europäischer Ebene vorangebracht werden und der Verteilnetzausbau durch den Einsatz intelligenter Netzgestaltungsmöglichkeiten forciert werden. Denn fehlende Netze erschweren die Vollendung des angestrebten EU-Energiebinnenmarkts.
  • Entscheidend wird in diesem Kontext auch der Einsatz der Landesregierung für die breite öffentliche Akzeptanz sowie für eine Beschleunigung der Planungsverfahren sein. Es gilt, Informationsbarrieren abzubauen und den Bürgerinnen und Bürgern die Notwendigkeit und Chancen des Netzausbaus deutlich zu machen.
  • Wir fordern die Landesregierung auf, das Landesmonitoring zur Energiewende der vergangenen zehn Jahre gerade hinsichtlich der Versorgungssicherheit bei Strom und auch Gas weiterzuentwickeln. Zur Absicherung der Energieversorgung in Baden-Württemberg sollten vor dem aktuellen, geopolitischen Hintergrund alle Optionen grundlastfähiger Energiebereitstellung, einschließlich Kohle-, Atom- und perspektivisch auch weitere Gaskraftwerke (H2-ready), in Betracht gezogen werden. Flexibilitäten und Stromspeicher können ebenfalls dazu beitragen und sollten technologieoffen gefördert werden, um das Innovationstempo zu erhöhen.

Viertes Handlungsfeld: Wettbewerbsfähigkeit

  • Bereits heute hat Deutschland mit die höchsten Strompreise weltweit. Solange dieser Standortnachteil bestehen bleibt, sollten Sonder- und Ausnahmeregelungen für Unternehmen im internationalen Wettbewerb bestehen bleiben. Andernfalls droht für viele baden-württembergische Unternehmen der Verlust ihrer Wirtschaftlichkeit und hätte eine Aufgabe oder Verlagerung der Produkti-onsstätten ins Ausland (Carbon Leakage) zur Folge.
  • Die Übernahme der EEG-Umlage in den Bundeshaushalt ab Mitte 2022 ist ein erster wichtiger Schritt. Doch auch weitere Steuern, Abgaben und Umlagen gehören auf den Prüfstand, um die Sektorenkopplung zu ermöglichen. Beispielsweise könnte eine Senkung der Stromsteuer dazu beitragen. Dies würde die Investitionssicherheit und die Attraktivität von Strom als zunehmend klimafreundlichem Energieträger deutlich erhöhen.
  • Das Innovationstempo muss mit enormen Investitionen auf öffentlicher und privater Ebene beschleunigt werden. Das setzt Technologieoffenheit voraus. Die Wirtschaft braucht versorgungssichere, konkurrenzfähige und erneuerbare Energie und technologische Lösungen. Dazu müssen Strom aus erneuerbaren Energieträgern, Power-to-X-Angebote und Stromspeichertechnologien weiterentwickelt und ausgebaut sowie die Forschungsaktivitäten verstärkt werden.
  • Das Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) ist aus Wettbewerbssicht zunächst ein deutscher Alleingang, der die exportintensive baden-württembergische Wirtschaft belastet. Parallel dazu wird das europäische Emissionshandelssystem (EU-ETS) weiter verschärft durch die Absenkung der freien Zuteilung. Die baden-württembergischen Industrie- und Handelskammern sprechen sich für den EU-ETS als führendes System aus, da dadurch technologieoffen die Sektorenkopplung gefördert wird. Allerdings muss der EU-ETS mittelfristig kleinteilige, nationale Regelungen ersetzen. Bis dahin sollte notgedrungen, anstatt der ständigen Anpassung der nationalen Vorgaben, die Wirkung des aktuell eingeführten nationalen Systems kritisch beobachtet werden.
  • Der EU-ETS hat seine Wirkung bewiesen, von zusätzlicher Regulierung durch Ziele im Bereich der Energieeffizienz oder kleinteiliger, betrieblicher Vorgaben für den Einsatz erneuerbaren Energien ist abzusehen.
  • Baden-Württemberg sollte auf den Bund weiterhin hinwirken, dass Deutschland sich nachhaltig für einen globalen „Klimaclub“ einsetzt, dem die wichtigen Industrienationen zugehören. Die Mitglieder dieses Gremiums sollten sich auf einen einheitlichen Preis für CO2 verständigen, so dass die jeweils nationalen
  • Industrien untereinander aufgrund der Klimaschutzaktivitäten nicht an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Um weitere Nationen anzureizen, diesem Klimaclub beizutreten, sollte zudem für Importe und Exporte im Sinne eines CO2-Grenzausgleichsmechanismus ein „Klimazoll“ erhoben werden bzw. „Klimanachlass“ gewährt werden, der parallel zum CO2-Preis ansteigt.

Fünftes Handlungsfeld: Verkehr und Mobilität

  • Die Treibhausgasemissionen im Verkehrsbereich sind höher als in den vereinbarten Klimazielen von Paris. Die Wirtschaft hat erhebliche Anstrengungen zur Realisierung von Effizienzgewinnen bei Antrieben unternommen. Durch einen insgesamt gesteigerten Personen- und Güterverkehr wurden diese Effizienzgewinne jedoch kompensiert. Daher sind die Antriebs- und Mobilitätswende weiterhin zwei zentrale Strategien, um den Verkehrssektor in eine klimaneutrale Zukunft zu führen. Dabei müssen Maßnahmen mit geringstmöglicher Belastung gewählt und Rücksicht auf die Investitionszyklen der Unternehmen genommen werden.
  • Die Mobilitätswende und die damit einhergehenden Maßnahmen zur Erhöhung der Attraktivität des ÖPNV, des Radverkehrs und der Fußwege benötigen massive Investitionen in Infrastruktur und Fahrzeuge. Die finanziellen Mittel sind jedoch in Zeiten schwieriger Haushaltslagen insbesondere auf der kommunalen Ebene nicht in dem Maße vorhanden, um eine attraktive Alternative zum motorisierten Individualverkehr zu schaffen. Insgesamt können Mobilitätskonzepte wie „on-demand-Verkehre“ sowie Car- und Bikesharing unterstützend wirken. Der Fokus sollte stets auf intermodalen und integrierten Verkehrslösungen liegen, die klimaneutral, bezahlbar und attraktiv sind. Diese Aspekte greift die Stadt- und Regionalplanung 2.0 auf, indem durch die Erarbeitung von Gesamtverkehrsmanagementkonzepten neue Mobilitätsformen in Städten und Gemeinden einbezogen werden. Bei allen Maßnahmen ist der Nutzen für die Umwelt im Verhältnis zum Aufwand der Betroffenen abzuwägen. Darüber hinaus ist der Bedeutung des Lieferverkehrs Rechnung zu tragen. Im ländlichen Raum ist zudem die besondere Abhängigkeit vieler Akteure vom Individualverkehr zu berücksichtigen.
  • Die Umstellung auf alternative Antriebe im privaten Sektor ist durch Weichenstellungen (z.B. Innovationsprämie für Elektroautos) von Wirtschaft und Politik bereits vorangeschritten. Vor größeren Herausforderungen steht jedoch der Güter- und öffentliche Personenverkehr auf Straße, Schiene, Wasser und in der Luft. Hier sind alternative Antriebe aufgrund des anspruchsvollen Fahr- und Nutzungsprofiles schwieriger einzusetzen, zudem müssen anspruchsvollere Gesamtkonzepte unter Berücksichtigung von Netz-, Tank- bzw. Ladeinfrastrukturen realisiert werden. Grundsätzlich ist für den gewerblichen Sektor eine Technologieoffenheit angebracht, um die beste Technologie für den jeweiligen Verkehrsträger zu finden. Neben alternativen Antrieben und eFuels sollten für den Umweltschutz zudem innovative Logistik- und Mobilitätskonzepte und autonomes Fahren bzw. Platooning – das elektronische Koppeln von Fahrzeugen – eingesetzt werden.
  • Benötigt wird unter anderem eine effizientere Nutzung der Infrastruktur, ein aktives und koordiniertes Baustellenmanagement, eine effiziente Straßenbauverwaltung in Bund, Land und Kommunen, eine Stärkung des Kombinierten Verkehrs, des Containerumschlags, der Häfen und Flughäfen, die Straffung von Planungs-, Beteiligungs- und Genehmigungsverfahren sowie die Förderung der Akzeptanz von Infrastrukturprojekten.
  • Die weitere Förderung von alternativen Antrieben ist notwendig, um auch (kleinen und mittleren) Unternehmen den Umstieg auf alternative Antriebe zu erleichtern. Betriebliches Mobilitätsmanagement kann einen Beitrag zur stärkeren Nutzung des ÖPNV und damit zur Entlastung der Straßen leisten. Wichtig ist zudem, dass die Elektromobilität durch einen vorlaufenden Ausbau von Ladepunkten weiter unterstützt wird.
  • Im Bundesverkehrswegeplan 2030 sind wichtige bauliche Maßnahmen vorgesehen und beschrieben. Nun kommt es darauf an, diese auch konsequent umzusetzen, Engpässe zu beseitigen und die Verkehrsachsen zu ertüchtigen. Zur Sanierung des Bestandsnetzes und zur Umsetzung der vordringlichen Aus- und Neubauprojekte sind jährlich mindestens 15 Mrd. Euro nötig. Eine dauerhafte Anhebung der Mittel auf dieses Niveau ist daher geboten.
  • Baden-Württemberg hat für die Entwicklung und Umsetzung der Mobilitätslösungen von morgen eine sehr gute unternehmerische Basis und mit dem Strategiedialog Automobilwirtschaft eine hervorragende Austauschplattform geschaffen. In Zukunft sollte die Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft intensiviert und auf weitere Mobilitätsbereiche ausgeweitet werden.

Sechstes Handlungsfeld: Wasserstoff

  • Die ambitionierten klimapolitischen Ziele stellen die baden-württembergischen Unternehmen vor große Herausforderungen und erfordern einen tiefgreifenden Umbau des Energiesystems. Unternehmen benötigen neben der Nutzung
  • regenerativ erzeugten Stroms und Erhöhung der Energieeffizienz weitere Optionen, um die CO2-Emissionen ihrer Geschäftstätigkeit zu reduzieren.
  • Voraussetzung hierfür sind die erforderliche Infrastruktur, wirtschaftliche Rahmenbedingungen und Marktanreizprogramme wie die Förderung von Innovationen und Investitionen, um weitere Skaleneffekte zu realisieren, die zu signifikanten Kostensenkungen beitragen. Dies führt zur verbesserten Wirtschaftlichkeit der Technologie und damit zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und Beschleunigung des Markthochlaufs.
  • Damit Wasserstoff für Betriebe in der Produktion oder zur Energiegewinnung attraktiv wird und die Verbreitung der Anwendungstechnologien zügig vorangetrieben wird, sollte übergangsweise in der ersten Phase des Markthochlaufs auch konventionell bzw. CO2-arm erzeugter Wasserstoff berücksichtigt werden, so dass die für Erprobungszwecke erforderliche „kritische Menge“ schnellstmöglich erreicht wird.
  • Der Aufbau frühzeitiger strategischer Partnerschaften mit Exportländern kann zugleich das Angebot an Wasserstoff in Baden-Württemberg sichern, da das Land aufgrund des hohen Industrialisierungsgrades und vergleichsweise geringen Potenzials an erneuerbaren Energien zu den Nettoimporteuren zählen wird.
  • Weitere Thesen zum Themenbereich Wasserstoff sind dem separaten BWIHK-Positionspapier „Leitlinien des BWIHK zum Thema Wasserstoff“ in der jeweils aktuellen Fassung zu entnehmen.