Ausgewählte Rechtsfragen in Zeiten des Brexit

Unternehmen und Privatleute aus dem Vereinigten Königreich und Deutschland haben zahlreiche vertragliche Beziehungen über die Ländergrenzen hinweg. Der Brexit wird erhebliche Auswirkungen auf bestehende und neu abzuschließende Verträge haben. Dies betrifft den Gerichtsstand und das anwendbare Recht in Verträgen ebenso wie vertragstypspezifische Fragestellungen zu einer Vielzahl von unterschiedlichen Verträgen wie Kauf- und Lieferverträgen, Handelsvertreterverträgen oder auch Arbeitsverträgen. Auch die Frage, was aus der englischen „Limited“ wird, und ob diese in Deutschland weiter bestehen kann, gilt es zu beantworten.      
Einige der rechtlichen Auswirkungen des Brexit auf das internationale Handelsgeschäft und darauf, was Sie tun können, haben wir für Sie im Folgenden zusammengestellt.

Auswirkungen für die Vertragsparteien

Abgeschlossene Verträge sind nach dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ einzuhalten. Der Brexit wird den Vertragsparteien allerdings viele Neuerungen und vertragliche Änderungen bringen.

Besonders bei Kauf- und Lieferverträgen werden möglichweise wieder Zölle anfallen. Fehlt aber eine Regelung zur Kostentragung im Hinblick zum Beispiel auf Zölle, weil eine ausdrückliche einzelvertragliche Regelung fehlt oder keine Incoterms® 2020-Klausel vereinbart wurde, muss über eine Vertragsanpassung bei der Kostenregelung oder Änderung der Incoterms® 2020-Klausel nachgedacht werden.
Zudem ist fraglich, was bei bestehenden Verträgen mit solchen unzumutbaren Kosten gemacht werden kann, wenn der Vertrag unter diesen Voraussetzungen nicht geschlossen worden wäre. Sofern die Auswirkungen auf die Kostenbelastung bedeutsam sind, kann eine „Störung der Geschäftsgrundlage“ in Betracht kommen und einen Anspruch auf Vertragsanpassung oder auch die Möglichkeit eines Rücktritts vom Vertrag gemäß § 313 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auslösen. An die Stelle des Rücktritts würde bei Dauerschuldverhältnissen die Möglichkeit einer vorzeitigen Vertragskündigung gemäß §§ 313 Absatz 3 Satz 2, 314 BGB treten.
Bei zukünftig abgeschlossenen Verträgen ist es grundsätzlich einfacher: Man kann die Vertragsgestaltung anpassen und auch eine ausdrückliche Regelung treffen, wer letztlich eine etwaige Zollanmeldung vorzunehmen oder den finanziellen Aufwand für die Zollbelastungen zu tragen hat.

Handelsvertreterverträge

Die europäische Handelsvertreterrichtlinie 86/653/EWG wurde sowohl in Deutschland als auch im Vereinigten Königreich umgesetzt, so dass der Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen Anspruch auf Ausgleich oder Schadensersatz hat.

Bei einem Brexit würde zwar das nationale britische Recht fortgelten, aber auch dann kann der Brexit Auswirkungen auf den Handelsvertreterausgleichsanspruch nach deutschem Recht haben. Das betrifft vor allem diejenigen Handelsvertreter, die ausschließlich im Vereinigten Königreich tätig sind. In Deutschland ist der Handelsvertreterausgleichsanspruch in § 89 b Handelsgesetzbuch (HGB) geregelt. § 92 c HGB sieht dabei eine Öffnungsklausel für Handelsvertreter vor, die außerhalb der EU und dem Europäischen Wirtschaftsraum eine Tätigkeit ausüben. Hat der Handelsvertreter demnach seine Tätigkeit für den Unternehmer nach dem Vertrag nicht innerhalb des Gebietes der EU oder der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum auszuüben, so kann auch zum Beispiel hinsichtlich § 89 b HGB etwas anderes vereinbart werden. Das bedeutet, dass ein Handelsvertreterausgleichsanspruch für die Zeit nach dem Brexit sogar ganz ausgeschlossen werden könnte, wenn in dem Vertrag deutsches Recht vereinbart ist.

Arbeitsverträge

Ein wichtiger Faktor für die Unternehmen wird die Personenfreizügigkeit sein. Problematisch wird es, wenn der Brexit Auswirkungen auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit bringt. Denn nach Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU wäre das Freizügigkeitsgesetz/EU nicht mehr anwendbar. Das würde britische Arbeitnehmer, die in Deutschland arbeiten, und Arbeitnehmer aus Deutschland, die im Vereinigten Königreich beschäftigt werden wollen, vor die Herausforderung eines Aufenthaltstitels stellen.

Ein fehlender Aufenthaltstitel führt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts jedoch grundsätzlich nicht zu einer Nichtigkeit des Arbeitsvertrags, sondern ausschließlich zu einem Beschäftigungsverbot. Da jedoch eine illegale Beschäftigung nach dem deutschen Sozialgesetzbuch sanktionsbewehrt ist, könnte der deutsche Arbeitgeber möglicherweise eine Kündigung aussprechen.

Rechtswahl

Verträge mit englischem Recht abzuschließen, ist in der Praxis nicht selten, insbesondere in Verbindung mit der englischen Vertragssprache.
Zu berücksichtigen ist jedoch, dass das englische Recht („Common Law“) sich nicht auf Gesetze, sondern auf Präzedenzfälle stützt und durch richterliche Auslegung weitergebildet wird. Im Gegensatz dazu basiert das in kontinentaleuropäischen Ländern und Deutschland heimische „Civil Law“ auf Gesetzen. Das Richterrecht spielt eine eher untergeordnete Rolle.
Dies macht eine Vereinbarung englischen Rechts gegenüber dem deutschen Recht nicht unbedingt vorteilhafter. Außerdem würde die Wahl englischen Rechts einen Wandel nach dem Brexit erfahren, denn bisher umfasst englisches Recht auch das im Vereinigten Königreich anwendbare EU-Recht. Dies würde in Zeiten nach dem Brexit nicht mehr ohne weiteres gelten. 
 
Zudem folgt, dass die Vertragsauslegung im englischen Recht anderen Regeln folgt als im deutschen Recht. Sowohl vor- als auch nachvertragliches Verhalten spielt beispielsweise bei der Auslegung des Vertrags zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine Rolle. Im englischen Recht wird vielmehr der Wortlaut des Vertrags strikt beachtet. Es besteht im englischen Recht also grundsätzlich die Gefahr, dass die Gerichte bei Fehlen einer ausführlichen Brexit-Klausel davon ausgehen, dass die Vertragsparteien ausdrücklich keine bindende Regelung treffen und das Risiko veränderter Umstände auf sich nehmen wollten. Daher ist es nicht verwunderlich, dass gerade britische Kanzleien derzeit versuchen, vor dem Hintergrund des Brexit zugunsten ihrer britischen Mandanten „Brexit-Sicherheitsklauseln“ in den Vertrag einzubauen. Diese beinhalten beispielsweise die Formulierung, dass der britische Vertragspartner die Neuverhandlung der Konditionen verlangen kann, falls der Brexit nachteilige Auswirkungen auf die Vertragsbeziehung hat. Falls keine Einigung erzielt wird, innerhalb einer bestimmten Frist ein Sonderkündigungsrecht ausgeübt werden kann oder der Wert des britischen Pfunds im Verhältnis zum Euro sinkt, hätte der britische Vertragspartner weniger zu zahlen, selbst wenn die Forderung in Euro vereinbart ist. Ein deutscher Vertragspartner kann solche einseitigen Klauseln eigentlich nur ablehnen. Treffen die Vertragsparteien keine detaillierte Vorsorge für den Fall des Brexit, könnte ein Richter nach deutschem Recht den Vertrag jedenfalls entsprechend dem hypothetischen Willen der Parteien ergänzend auslegen und somit eine für beide Seiten tragfähige Regelung treffen, so dass eine allgemeine Schutzklausel für den Fall des Brexit vielleicht ausreichend wäre.

Schon allein aus diesen Gründen sollte ein Vertragsschluss mit Vereinbarung englischen Rechts im Vorfeld durchdacht werden und im Zweifel könnte die Vereinbarung deutschen Rechts vorteilhafter sein.

Auch ein Rückgriff auf das UN-Kaufrecht (United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods (CISG)) ist nicht möglich. Zwar ist das UN-Kaufrecht ein wichtiger Bestandteil des internationalen Handels und das CISG gilt in 89 Staaten der Welt (Stand April 2018), so auch in Deutschland. Allerdings ist das Vereinigte Königreich kein Vertragspartner des CISG und das UN-Kaufrecht somit nach derzeitigem Stand auch künftig kein im Vereinigten Königreich geltendes Gesetz. 

Gerichtsstand

London ist einer der wichtigsten Gerichts- und Schiedsstandorte weltweit. Verträge werden häufig nicht nur in englischer Sprache entworfen, sondern enthalten oft auch eine Rechtswahl zugunsten des englischen Rechts mit einer Gerichtsstandsvereinbarung in London.

Bisher können Gerichtsurteile aus dem Vereinigten Königreich nach der Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungs-VO (EuGVVO) in Form der Brüssel Ia-VO gemäß Art. 39 ohne gesonderte Vollstreckbarerklärung in jedem Mitgliedstaat der EU vollstreckt werden. Da das Vereinigte Königreich mit dem Abschluss des Austrittsverfahrens nach Art. 50 Vertrag über die Europäische Union im Verhältnis zur EU zu einem Drittstaat wird, findet auch die Brüssel Ia-VO keine Anwendung mehr. Bei britischen Urteilen wird man sich daher nicht mehr darauf verlassen können, dass diese künftig ohne weiteres auch in anderen EU-Mitgliedstaaten vollstreckbar sein werden. Entsprechendes gilt für Urteile von deutschen Gerichten oder von Gerichten verbleibender EU-Mitgliedstaaten bei einer gewünschten Vollstreckbarkeit im Vereinigten Königreich.

Die Vollstreckung eines britischen Urteils würde sich dann nach den völkerrechtlichen Verträgen zwischen dem Vereinigten Königreich und dem anderen Staat richten, mithin dem Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ) von 1972, einem völkerrechtlichen Vertrag zwischen Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Irland, Luxemburg, den Niederlanden, Portugal, Spanien und Großbritannien. Zwar würden auch nach dem EuGVÜ Gerichtsstandsvereinbarungen, die heute gemäß der Brüssel Ia-VO gelten, weitgehend wirksam bleiben, allerdings würde nach der EuGVÜ wieder eine Vollstreckbarkeitserklärung verlangt werden, die durch die Brüssel Ia-VO abgeschafft wurde. 

Somit würde die Vollstreckung eines britischen Urteils in der EU mühsamer, kostenintensiver und langwieriger werden. Vertragsparteien sollten sich daher gut überlegen, welcher Gerichtsstand für sie in diesem Fall noch akzeptabel erscheint und es empfiehlt sich, nur dort den Gerichtsstand zu wählen, wo überhaupt vollstreckt werden kann. 

Schiedsverfahren

Von den Vertragsparteien internationaler Verträge nicht unterschätzt werden sollte die Möglichkeit, sich anstelle einer Gerichtsstandsvereinbarung für ein Schiedsgerichtsverfahren zu entscheiden. Grundsätzlich eignen sich Schiedsvereinbarungen für den internationalen Rechtsverkehr besser als Gerichtsstandsklauseln, denn auch eine für die Partei günstigste Gerichtsentscheidung nützt dieser am Ende wenig, wenn die Vollstreckung der Entscheidung scheitert oder nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand bewältigt werden kann.

Bei Schiedsgerichtsurteilen ist dies anders. Hier richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedsgerichtsurteile nach dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958, welches inzwischen von 157 Staaten ratifiziert wurde, darunter auch Deutschland und das Vereinigte Königreich. Hieran wird sich jedenfalls aufgrund eines Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU nichts ändern, so dass Schiedsvereinbarungen von einem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs weniger berührt werden. Als zukünftiger Schiedsort eignen sich als Alternative zum Schiedsort London zum Beispiel Deutschland, Österreich oder die Schweiz gleichermaßen. 

Vertragsparteien sollten sich aber auch hier bewusst sein, dass in der Zeit nach dem Brexit Schiedsgerichtsverfahren im Vereinigten Königreich wieder durch sogenannte „anti-suit-injunctions“ abgesichert werden können.

„Anti-suit-injunctions“ sind Unterlassungsverfügungen der Gerichte Staaten mit Common Law, wie dem Vereinigten Königreich, mit dem Ziel, Verfahren in anderen Staaten zu unterbinden. Diese Unterlassungsverfügungen richten sich nicht gegen das ausländische Gericht selbst, sondern gegen die klägerische Partei, um deren Gerichtsverfahren im Ausland zu unterbinden. Zwar hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass solche Unterlassungsverfügungen mit der Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungs-VO (EuGVVO) nicht zu vereinbaren sind. Da die EuGVVO nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU für dieses aber nicht mehr gelten würde, könnte nach dem Brexit ein Beklagter sowohl die Einrede der Nichtzuständigkeit des ordentlichen Gerichts erheben und zudem mit einer „anti-suit-injunction“ bei einem staatlichen Gericht am Ort des Schiedsgerichtsverfahrens der klägerischen Partei eine Unterlassungsverfügung „zukommen“ lassen mit dem Ziel, die Klage im Ausland zurückzunehmen.

Andererseits könnte nach dem Brexit eine Partei, die das Schiedsverfahren hinauszögern oder sich ihm entziehen will, nicht mehr allein durch die Anrufung eines mitgliedstaatlichen Gerichts dessen Zuständigkeit zur Überprüfung der Schiedsgerichtsvereinbarung herbeiführen, denn die „anti-suit-injunctions“ durch Gerichte anderer Staaten, insbesondere am Sitz des Schiedsgerichts, stünde wieder zur Verfügung. 

Wir halten Sie weiterhin über die aktuellen Entwicklungen auf dem Laufenden. Für weitere Informationen über das Thema „Ausgewählte Rechtsfragen in Zeiten des Brexit“ hinaus, bietet sich die Brexit-Checkliste des DIHK  an. Außerdem bietet unser Brexit-Update einen guten Überblick zum aktuellen Stand.
Quelle: IHK Stuttgart