BW 02/2022 - SCHWERPUNKT

Projekt Zukunft

Höher, schneller, nachhaltig: Mit Turmbauten als Landmarken, smarten Quartieren und leistungsfähiger Verkehrsinfrastruktur entsteht das neue Berlin. Und die Entwicklung soll an der Stadtgrenze nicht haltmachen
Berlin macht sich bereit für die Zukunft. Neue Bauprojekte werden nachhaltig das Stadtbild verändern, etwa am Neuköllner Hermannplatz. Dort plant die Signa- Gruppe, das historische Karstadt-Gebäude zu entkernen und das dazugehörige Stahlbeton-Rohbauskelett zu sanieren. „Im Vergleich zu einem Abriss und einem konventionellen Stahlbeton- Neubau könnten wir allein in der Bauphase bis zu 70 Prozent CO2-Emissionen einsparen“, freut sich Thibault Chavanat. „Zudem wäre die gewählte Holzbauweise schneller und weniger lärmintensiv als die konventionelle Bauweise mit Stahlbeton“, erzählt der verantwortliche Projektleiter des österreichischen Immobilien- und Handelsunternehmens.
„Darüber hinaus wollen wir auch technisch sehr innovative Wege gehen und überlegen gerade mit der BVG, ob und wie wir die Wärme der U-Bahn-Röhre, die durch unseren Keller läuft, als Wärmequelle für das zukünftige Haus nutzen können.“ Nach Ende der Bauarbeiten soll die mit Ziegeln nachempfundene Außenfassade gemeinsam mit den zwei ikonischen Türmen an das Design des Kaufhauses vor seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg erinnern. In den Geschossen über dem Warenhaus sind Gewerbe- und Büroflächen sowie eine Kita geplant. Nicht zuletzt würde nach den Vorstellungen von Signa eine rund 4.000 Quadratmeter große und begrünte Dachterrasse zum Verweilen einladen – ganz so wie vor 90 Jahren. Vier Jahre soll der Umbau dauern.

Design trifft Ökologie am Bau

Auch ein paar Kilometer weiter steht das Thema Nachhaltigkeit im Mittelpunkt eines Bauprojektes. Dort entwickelt Art-Invest Real Estate auf dem Areal des früheren Postscheckamts am Halleschen Ufer das Quartier „Die ­Macherei ­Berlin-Kreuzberg“ mit einem urbanen Nutzungsmix, insbesondere aus Büroflächen, ­Gastronomie und Geschäften des täglichen Bedarfs sowie – zusammen mit dem Kooperationspartner Degewo – mehr als 300 Wohnungen. Herzstück des Ensembles ist das ehemalige Postbank-Hochhaus, das unter dem Namen „M50 – Der Design-­Tower“ ökologisch revitalisiert wird.
Auch für die angrenzenden Neubauten gelten hohe Nachhaltigkeitsanforderungen: „M40 – Das Holz-Carré“ wird bei der Fertigstellung Deutschlands flächengrößtes Holzhybridgebäude sein, und „M60 – Das Zero-CO2-Haus“ ermöglicht dank der Photovoltaikanlagen im Quartier einen bilanziell klimaneutralen Betrieb. Die Fertigstellung des Gesamtprojekts ist für das Jahr 2024 geplant.

Quartiere mit der richtigen Mischung

„Das Thema Nachhaltigkeit ist und bleibt ein großer Faktor bei der Realisierung von Neubauten und auch im Bestandsmanagement, denn die Immobilienwirtschaft zählt zu den Branchen mit den höchsten CO2-Emissionen“, sagt Lena Brühne, Partnerin und Niederlassungsleiterin Berlin bei Art-Invest Real Estate. „Wir gehen davon aus, dass zunächst eine absolute Transparenz bei den Verbrauchsdaten von Gebäuden sowohl bei Errichtung als auch im Betrieb erforderlich wird, bevor eine drastische Reduzierung der CO2-Emissionen durch alle Marktteilnehmer und in allen Immobiliensegmenten erfolgen kann“, fügt sie hinzu. „Aber auch die Schaffung von lebendigen Quartieren trägt zur Nachhaltigkeit bei, denn ein urbanes Quartier mit einer ausgewogenen Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Gewerbe bietet vielfältige Angebote und langfristige Aufenthaltsqualität für Mieter, Nutzer und Besucher.“
Beide Projekte, das Karstadt-Gebäude am Hermannplatz und der Komplex am Halleschen Ufer, verdeutlichen, welche Kriterien beim Bau von neuen Quartieren in dieser Dekade zunehmend in den Fokus rücken. Weniger deutlich ist hingegen, wie der steigende Bedarf an Wohnungen und Gewerbeflächen in der wachsenden Stadt Berlin insgesamt gedeckt werden kann. Die Lage bleibt angespannt. Zwar plant die neue Koalition unter der Regierenden Bürgermeisterin ­Franziska ­Giffey, bis 2030 insgesamt 200.000 neue Wohnungen zu errichten. Allerdings melden Experten Zweifel an, ob dieses Ziel erreicht werden kann. „Insgesamt kann diese Aufgabe nur gelingen, wenn Politik und Wirtschaft gemeinsam den Wohnungsneubau gestalten und dabei den gesamten Instrumentenkasten, angefangen bei der Novellierung der Bauordnung über die Nachverdichtung im Bestand etwa durch Supermarktüberbauungen bis zu der Umsetzung neuer Wohnraumkonzepte, nutzen“, betont ­Christof ­Deitmar. „Gleichzeitig muss das Angebot an Gewerbeflächen und Infrastruktur mitwachsen, denn auch gewerbliche Nutzungen finden in Zentrumsnähe kaum noch bezahlbare Flächen“, fügt der Experte von der IHK Berlin hinzu. „Für diese dringliche Aufgabe sollte eine moderne Metropole bei Fragen rund um die Themen Wohnungsbau und Gewerbe alle Beschleunigungspotenziale nutzen.“
Grundsätzlich stellt sich die Frage, in welche Richtung Berlin sich in den kommenden Jahren weiterentwickeln wird. Nicht nur die beiden ambitionierten Kreuzberger Projekte zeigen: Die Hauptstadt wird weiter in die Höhe wachsen. „In einer Stadt wie Berlin sind Hochhäuser ein wichtiger Baustein der Stadtplanung“, erklärt ­Ekkehard Streletzki. „Sie verbrauchen wenig Grundfläche und schaffen viel dringend benötigten Wohnraum bei geringem Flächenverbrauch: Somit bleibt mehr Platz für Grünflächen, die sich positiv auf das Stadtklima und auf die Lebensqualität auswirken“, fügt der Eigentümer des Business- und Eventhotels Estrel hinzu.
Weitere Pluspunkte erzielen Hochhäuser nach Überzeugung von Streletzki durch die ökologischen Chancen beim Bau. „Wer hier klimafreundlich plant, kann Infrastruktur- und Energiekosten deutlich reduzieren und so den CO2-Fußabdruck verringern.“ Dies beweist der engagierte Bauherr auch bei der Errichtung eines neuen Wahrzeichens der Stadt. Gleich neben dem Hotel entsteht an der Sonnenallee der 176 Meter hohe Estrel Tower. Er bietet gerade für den Süden der Hauptstadt eine vielversprechende Perspektive. Auf den insgesamt 45 Etagen des Turms sollen unter anderem ein Hotel mit 525 Zimmern, Apartments, Wellness- und Fitnessstudios für die Bewohner sowie 9.000 Quadratmeter Büros und Flächen für Co-Working geschaffen werden. In den obersten Stockwerken sind zudem ein Restaurant und eine Skybar mit Außenterrasse geplant. Das Konzept ist hybrid, partizipativ und nachhaltig: Neben begrünten Dächern und Photovoltaikanlagen kommt etwa in Zusammenarbeit mit Eon und der RWTH Aachen ein innovatives CO2-sparendes Energiekonzept mithilfe von Wasserstoff zur Anwendung, das auch als Blaupause für andere Projekte dienen könnte. Für 2024 ist die Eröffnung des Estrel Towers geplant.
Auch an anderen Orten in der Stadt wachsen in nächster Zeit Häuser in die Höhe. So sollen nördlich der Hertzallee zwischen dem Bahnhof Zoo und dem TU-Campus vier Hochhäuser mit Höhen von bis zu 110 Metern entstehen. Zudem entsteht momentan am Alexanderplatz der mit 150 Metern höchste Wohnturm der Stadt. Der „Alexander Berlin’s Capital Tower“ des russischen Investors Monarch wird auf 39 Etagen mehr als 370 Wohnungen, moderne Büros, einen Fitnessbereich und ein Shopping-Center auf vier Untergeschossen bieten. Start des Hochbaus war im Oktober 2021. Zudem plant etwa der US-Investor Hines ebenfalls ein 150 Meter hohes Haus an dem Platz vis-à-vis dem Fernsehturm.
Berlin wird aber nicht nur weiter in die Höhe wachsen, sondern aus Platzgründen gerade auch an den Rändern der Stadt den Siedlungs- und Wirtschaftsraum weiterentwickeln. Entsprechend gilt es mehr denn je einen Blick über die Landesgrenze hinaus zu werfen. Bislang zählt der im Jahr 2019 von beiden Landesparlamenten verabschiedete Landesentwicklungsplan für die Hauptstadtregion (LEP HR) zu den wichtigsten Grundlagen für die gemeinsame wirtschaftliche Entwicklung. Dieser Plan regelt vor allem die weitere Entwicklung in den Teilbereichen Siedlungs-, Gewerbe- und Einzelhandelsflächen.
Darüber hinaus arbeiten insbesondere in der Hauptstadtregion die Akteure aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft im Verein Kommunales Nachbarschaftsforum Berlin-Brandenburg (KNF) sowie in ersten Ansätzen in länder- übergreifenden Kooperationsnetzwerken wie dem Regionalmanagement Metropolregion Ost zusammen. Noch beschränkt sich der Austausch allerdings auf die Berliner Randbezirke und berlinnahe Umlandgemeinden. „Deswegen fordern wir, die Struktur der planerischen Zusammenarbeit zu erweitern sowie die Abstimmung der länderübergreifenden Zusammenarbeit zu intensivieren“, fordert IHK-Fachmann ­Christof Deitmar. „Einer der Schlüssel zum gemeinsamen Erfolg liegt etwa in der Weiterentwicklung des KNF.“
Auch im neuen Koalitionsvertrag der Berliner Landesregierung ist der Wunsch erkennbar, eine Entwicklungsstrategie voranzutreiben, um die individuellen Standortengpässe zu kompensieren und die jeweiligen Stärken von Berlin und Brandenburg gemeinsam auszuspielen. Mithilfe von Innovationskorridoren sollen entlang der großen Bahnlinien und Autobahnen die Puzzlestücke Wohnen, Arbeiten und Lernen, Wirtschaft, Mobilität, Energie und Klimaschutz miteinander zu einer gemeinsamen Strategie verknüpft werden.
Zu den Innovationskorridoren zählt etwa die Region rund um den Flughafen BER im Südosten Berlins. Die Region wird sich in den kommenden Jahren zu einem der Wachstumsmotoren der Metropolregion entwickeln. Eine Studie der IHK Cottbus rechnet bis zum Jahr 2040 mit über 67.000 neuen Einwohnern und 1.100 Hektar neuen Gewerbeflächen im Umfeld des Flughafens, 600 Hektar davon allein in Schönefeld. Durch diese Entwicklung werden 135.000 neue Arbeitsplätze bis zum Jahr 2040 erwartet. Prominentestes Beispiel für den Wachstumsschub mit Ausstrahlung auf die gesamte Hauptstadtregion ist die Tesla Giga- ­factory in Grünheide im östlichen Flughafenumfeld. Dort wird das US-Unternehmen im Frühjahr die Serienproduktion aufnehmen und jährlich rund 500.000 Elektrofahrzeuge bauen. Mit der Ansiedlung der Tesla-Fabrik wächst der Bedarf an Wohn- und Gewerbeflächen erheblich.

Wachstumsregion am BER

Auch das Unternehmen Segro profitiert schon jetzt von den Wachstumsaussichten des Gebiets. Der Entwickler von Logistik- und Gewerbeimmobilien hat von der Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg Ende 2021 ein 63 Hektar großes Grundstück erworben. Die Flächen sollen zur Erweiterung des bestehenden Gewerbeparks genutzt werden. „Mit dieser Erweiterung wird unser Segro Airport Park Berlin auf eine Größe von fast einem Quadratkilometer anwachsen“, berichtet Tim Rosenbohm von Segro. „Seit der Eröffnung des Flughafens Berlin Brandenburg ‚Willy Brandt‘ hat die Nachfrage nach unseren Gewerbeflächen noch einmal einen weiteren Schub erfahren.“
Durch die Entwicklung der Innovationskorridore wachsen auch die Herausforderungen an die Verkehrsinfrastruktur. Mit Blick auf die Erreichbarkeit von Zielen mit Auto, Lieferwagen oder Lkw bietet die Gründung der Autobahn GmbH des Bundes eine Chance für die Region. Der Grund für diese Hoffnung: Da die Verankerung der Verantwortung beim Bund die Landesgrenzen beim Ausbau des Fernstraßennetzes quasi aufhebt, könnte dies für Berlin und Brandenburg bedeutsam sein.
Selbstverständlich spielt aber auch der Ausbau des ÖPNV bei allen Gedankenspielen rund um das Thema Mobilität in der Metropolregion eine zentrale Rolle. Maßgeblich dafür ist das zukunftsweisende Infrastrukturprojekt mit dem Namen „i2030“. Die Länder Berlin und Brandenburg, der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) und die Deutsche Bahn haben unter dieser Dachmarke insgesamt acht Ausbaukorridore und ein umfassendes Maßnahmenpaket für die Berliner S-Bahn definiert.
Möglichst viele Teilprojekte sollen bis zum Jahr 2030 abgeschlossen sein. „Dabei entwickeln sich die einzelnen Teilprojekte je nach Komplexität unterschiedlich schnell“, erzählt Susanne ­Henckel, Geschäftsführerin des VBB. „Aufgrund der gemeinsamen und integrierten Planung aller Projektpartner stehen die Chancen gut, schon bis Mitte der 20er-Jahre verschiedene Maßnahmen fertigzustellen und in Betrieb zu nehmen.“
Dazu gehören der Bahnhof Königs Wusterhausen, die Wiederinbetriebnahme der Regionalverkehrsstrecke „Stammstrecke Heidekrautbahn“, eine Verlängerung von Bahnsteigen entlang der Linie RE 1 oder der Ausbau der Regionalverkehrsstrecke für den „Prignitz-Express“ im Abschnitt Velten-Neuruppin. „Gleichzeitig soll mit dem Bau weiterer Vorhaben bis ebenfalls Mitte der 20er-Jahre begonnen werden, unter anderem für die Wiederinbetriebnahme der Siemensbahn, sodass weitere Projektfertigstellungen sukzessive folgen können“, erklärt Susanne ­Henckel.
Mit dem Ziel der Bundesregierung, den Klimaschutz und damit auch die Verkehrswende in den kommenden Jahren entscheidend voranzubringen, eröffnen sich auch im Projekt i2030 neue Möglichkeiten der Finanzierung und der beschleunigten Umsetzung. „Die Entwicklungen behalten wir im Blick und werden sie unmittelbar nutzen, um unser gemeinsames Ziel einer leistungsfähigen Schienen-Infrastruktur für die Zukunft so schnell wie möglich zu erreichen“, betont die VBB-Chefin. „Denn i2030 heißt für alle Berliner und Brandenburger Fahrgäste: Schnelle Verbindungen, pünktliche Züge und mehr Platz in der Bahn!“
Dies ist nicht zuletzt deswegen dringend notwendig, weil auch die Bevölkerung Berlins weiter zunehmen wird. Laut einer Prognose des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung und des Cima Instituts für Regionalwirtschaft dürfte die Einwohnerzahl Berlins bis 2030 im Vergleich zu 2017 um 9,6 Prozent auf fast vier Millionen wachsen. Allerdings entstand die Prognose noch vor dem Ausbruch der Pandemie, die möglicherweise einen damals noch nicht einberechneten Einfluss auf die Bevölkerungsentwicklung der Hauptstadt hat. „Vor allem im ersten Jahr der Pandemie ging der Zuzug aus dem Ausland zumindest zeitweise zurück“, sagt Lilian Beck. „Zuwanderung aus dem Ausland ist allerdings schon seit einigen Jahren der Hauptgrund, warum die Hauptstadt noch zulegen kann“, fügt die Expertin vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hinzu.

Modelle für die Stadt von morgen

Auch der Wunsch nach zusätzlichem Wohnraum durch die Ausweitung der Arbeit im Homeoffice könnte die Entwicklung der Einwohnerzahlen Berlins verändern. Dieser Wunsch könnte die Umzüge ins Umland weiter zunehmen lassen, da er innerstädtisch immer schwieriger zu erfüllen ist. Insgesamt dürfte sich der Trend des Zuzugs in die Hauptstadt also möglicherweise in Zukunft etwas abschwächen, aber eine Umkehr ist nicht in Sicht.
Um den auch daraus resultierenden Bedarf an Wohnungen und Gewerbeflächen in der wachsenden Stadt Berlin bedienen zu können, werden zwei ganz neue Stadtviertel eine Hauptrolle spielen. Zum einen entsteht auf dem 500 Hektar großen Areal des geschlossenen Tegeler Flughafens nicht nur ein vollkommen neuer Stadtteil, sondern Berlins Modell für die Stadt von morgen: ein klimaneutrales, autoarmes und wassersensibles Wohnquartier für mehr als 10.000 Menschen und ein auf urbane Technologien spezialisierter Forschungs- und Industriepark mit Hochschulcampus sowie ein 150 Hektar großer Landschaftsraum. 2027 sollen die ersten Bauabschnitte abgeschlossen sein.
Zum anderen bekommt Spandau mit der Siemensstadt² einen neuen Stadtteil. Der Standort soll neue Arbeitsmodelle, moderne Forschungs- und Produktionsbedingungen mit Wohnen und Leben vereinbaren. Geplant sind neben Büro-, Forschungs- und Produktionsflächen auch 2.700 neue Wohnungen, lebenswerte öffentliche Räume und Parkanlagen, eine Grundschule und weitere soziale und kulturelle Infrastruktureinrichtungen. Der Baubeginn ist für 2022 geplant. Berlin macht sich bereit für die Zukunft.
von Jens Bartels