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ChatGPT, der neue Kollege

KI-basierte Anwendungen zählen zu den wichtigsten technischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte. Auch die Steuerpraxis wird dadurch optimiert.
Künstliche Intelligenz (KI) wird die Arbeit in Steuerabteilungen revolutionieren. Zu diesem Ergebnis kamen das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und die internationale Steuerberatungsgesellschaft WTS bereits 2017. Was damals noch nach ferner Zukunftsmusik klang, nimmt heute, rund sechs Jahre später, zunehmend sichtbarer werdende Züge an. Maßgeblich dazu beigetragen hat auch das medienwirksame Erscheinen des KI-basierten Chatbots ChatGPT im vergangenen Jahr.
Noch bis vor Kurzem wurde das Potenzial von KI im Steuerwesen vor allem in der automatisierten Belegverarbeitung und Kontierung gesehen. Mit ChatGPT steht Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Steuerfunktion nun eine digitale Assistenz zur Verfügung, deren Einsatzmöglichkeiten weit darüber hinausgehen.

Recherchen zu komplexen Themen möglich

So kann das KI-basierte Sprachmodell beispielsweise bei der Erstellung von Lageberichten und Bilanzanalysen unterstützend eingesetzt werden, es kann langwierige Rechtsurteile verständlich zusammenfassen, Texte für Präsentationen, E-Mails und Stellenausschreibungen erstellen oder auch Recherchen zu komplexen Themen durchführen, erklärt Jens Henke, Vizepräsident des Steuerberaterverbands Berlin-Brandenburg. Als leitender Steuerberater bei der DBB DATA in Berlin beschäftigt sich der Experte bereits seit vielen Jahren mit der Digitalisierung im steuerlichen Umfeld.
Durch die Integration KI-basierter Modelle in andere Anwendungen und Apps besteht laut Henke in den nächsten Jahren weiteres Entwicklungspotenzial: „Wir werden eine Verbesserung unserer Recherchemöglichkeiten erhalten, indem wir Sprachmodelle wie ChatGPT mit den Datenbanken der Fachverlage sowie, datenschutz- und berufsrechtskonform, mit unseren internen Datenbanken verknüpfen. Durch eine Integration der Sprachmodelle in Office-Software und Fachanwendungen können wir Dokumente künftig schneller erstellen, aber auch Daten schneller analysieren.“

KI verändert Arbeitsalltag und Ausbildung

„Menschen in der Steuerfunktion werden durch KI und ChatGPT nicht zwingend ersetzt, sondern vor allem unterstützt“, sagt Jens Henke. Dabei gilt: Je komplexer die Aufgabe ist, bei der KI unterstützt, desto wichtiger ist es, dass Menschen mit Erfahrung und Kompetenz diese Aufgabe erteilen und anschließend auch die Ergebnisse überprüfen.
Interne Regeln zur Verwendung von KI sind dabei unabdingbar, um die Qualität der Arbeit sicherzustellen. „Ohne eine Integration in das interne Qualitäts-, Datenschutz- und Sicherheitsmanagement geht es nicht. Es ist exakt zu definieren, wer welche KI-Anwendung für welchen Anwendungsfall nutzen darf und welche Qualifikationen oder Rollen in der Unternehmensorganisation hierfür notwendige Voraussetzungen sind“, erklärt Jens Henke.
Aber auch auf die Form der Ausbildung habe künstliche Intelligenz einen Einfluss, so der Experte, der selbst als Dozent für Betriebswirtschaftslehre und Digitale Unternehmensentwicklung arbeitet. „Die fachlichen und persönlichen Anforderungen an Menschen, die in der Steuerfunktion arbeiten, verändern sich rasant. Wir laufen der Entwicklung hinterher. Insgesamt müssen alle Ausbildungen dynamischer werden“, findet er. Henke fordert vor allem eine Abkehr von der reinen Vermittlung von Faktenwissen hin zu einer breiteren Auseinandersetzung mit Methodik, dem Erschließen von Wissen, dem Definieren und Pflegen von Prozessen sowie IT-Kompetenzen.

Potenziale von Automation optimal nutzen

Wie gewinnbringend KI im Steuerwesen eingesetzt werden kann, hängt letztlich auch vom Digitalisierungsgrad des jeweiligen Unternehmens ab. „Wer die Potenziale von KI-Modellen, sei es zur Finanzanalyse oder zur Textgenerierung, voll ausschöpfen will, muss sicherstellen, dass alle Unternehmensprozesse erstens standardisiert und zweitens in der Folge auch alle Daten strukturiert digital vorhanden sind“, formuliert Jens Henke die Anforderungen an die Unternehmen, die von den Möglichkeiten profitieren möchten.
Wichtig sei auch, das eigene Geschäftsmodell digital anzupassen. Als Niederlassungsleiter bei der DBB Data in Berlin-Westend gibt Henke ein Beispiel aus dem eigenen Umfeld: „Als Kanzlei, die auf Immobilienthemen fokussiert ist, haben wir eine Hausverwaltung gegründet, um unseren Mandanten auf einer Datenbasis einen ineinandergreifenden Prozess rund um die Verwaltung der Immobilie zu ermöglichen.“
Das Beispiel zeigt: Nur wenn wir Veränderungen durch Digitalisierung und künstliche Intelligenz als Chance begreifen, können wir in Zukunft auch ihre vollen Potenziale ausschöpfen.
Von Verena Linz