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„Angst verstellt den Blick“

Bedrohungsszenarien bestimmen oft die Diskussion um künstliche Intelligenz. K.I.E.Z-Leiterin Tina Klüwer warnt vor einer Verengung der Perspektive.
Schon bevor künstliche Intelligenz zum Megathema schlechthin wurde, war K.I.E.Z. ein Hotspot der Berliner KI-Gründerszene. In manchen Punkten gibt es aber noch Nachholbedarf, meint Leiterin Tina Klüwer.

Berliner Wirtschaft: Unterscheiden sich heutige KI-Gründungen von denen der vergangenen Jahre?

Tina Klüwer: Ja, da entwickelt sich einiges. In­zwischen gibt es viele Teams, die mit einer nutzer­bezogenen Anwendung an Open-Source-­Modelle andocken, während früher vor allem technische Teams Modelle mit eigenen Daten trainiert haben. Trotzdem sind KI-Start-ups noch immer sehr wissenschaftsnah, vier von zehn Gründungen wurzeln in der Wissenschaft. Bei anderen Start-ups sind es nur zwei Prozent.

Ist der Standort Berlin für KI-Gründungen international konkurrenzfähig?

Die Forschung zu Grundlagen und Anwendung von KI in Berlin ist exzellent. Aber noch nicht exzellent sind die Strukturen, über die Wissen aus der Forschung in die Wirtschaft transferiert wird. Forschungseinrichtungen müssen motiviert sein, Transferstrukturen einzurichten. Einige Bundesländer haben diese Aufgabe im Hochschulgesetz verankert und damit auch die Finanzierung notwendiger Strukturen verstetigt.

Ist Wagniskapital nicht der wichtigste Faktor für erfolgreiche KI-Gründungen?

Private Investments sind wichtig, aber nur ein Faktor. Wir haben derzeit etwa 500 KI-Unternehmen in Deutschland. Diese müssen wachsen, und es ist wichtig, dass weitere erfolgreiche Gründungen dazukommen. Die Wissenschaft als Transferquelle ist dafür ungeheuer wichtig.

Der Senat plant die Gründung eines KI-Hubs.

Das ist ein interessantes Vorhaben. Noch fehlt Berlin eine hoch dotierte KI-Strategie, wie sie etwa Baden-Württemberg mit 50 Mio. Euro umsetzt. Ich bin gespannt, mit welchen finanziellen Ressourcen Berlin den KI-Hub ausstatten wird.

KI wird oft als Risiko gesehen. Brüssel diskutiert die gesetzliche Definition als Risikotechnologie. Sind das berechtigte Sorgen?

Wenn wir angsterfüllt an die Technologie herangehen, gewinnen wir weder einen klaren Blick auf deren Chancen noch auf die echten Risiken. Nicht die Technologie ist problematisch, aber es gibt riskante Anwendungsfälle – etwa, wenn KI genutzt wird, Fake News zu verbreiten. Aber dann muss der Fall reguliert werden und nicht die Technologie. Sonst entwickeln wir hochkomplexe, aber weitgehend unnötige Regularien. Für KI-Gründungen wird es dann schwierig in Europa.

Viele fürchten, durch KI ihren Job zu verlieren.

KI wird den Menschen nicht ersetzen, aber in vielen Fällen ergänzen. Unser Handlungsraum wird erweitert, die Ergebnisse, die KI uns liefert, müssen wir prüfen. Aber KI bleibt ein Werkzeug.
Von Christian Nestler