BW 03/2021 – Schwerpunkt

Vertrauen in die Fernsteuerung

In der Pandemie haben viele Hauptstadt- Unternehmen digitalisiert und flexibilisiert. Führungskräfte müssen anders kommunizieren und motivieren. Auf Präsenz am Arbeitsplatz komplett verzichten will kaum jemand
Auch ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie klingt Benjamin Minack noch ganz optimistisch. Zum einen laufen die Geschäfte seiner Berliner Kommunikationsagentur Ressourcenmangel trotz der Krise immer noch überwiegend gut. Nur Einzelhandels-, Gastronomie- und Luftfahrtkunden hätten auf die Budgetbremse getreten, sagt der Geschäftsführer. Zum anderen waren die 260 Mitarbeiter, davon 160 in Berlin, auf die neue Art zu arbeiten gut vorbereitet. „Wir hatten schon vor Corona 20 verschiedene Arbeitszeitmodelle und pflegen eine sehr offene Führungskultur mit einem Umgang auf Augenhöhe“, sagt Minack. Seinen Kollegen starre Regeln für die Anwesenheit im Büro oder im Homeoffice vorzugeben, käme dem 42-Jährigen deshalb nicht in den Sinn. Weder heute noch nach Ende der Pandemie. „Die einzelnen Teams sollen die Verantwortung für ihr Ergebnis übernehmen und müssen dazu individuelle Lösungen finden, die gleichzeitig nicht zulasten der Gemeinschaft gehen dürfen.“ Das Gros arbeite derzeit von zu Hause.
Vor einem Jahr, am 11. März 2020, erklärte die Weltgesundheitsorganisation Covid-19 zur Pandemie. Von jetzt auf gleich wechselten Millionen Arbeitnehmer an den heimischen Schreiboder Küchentisch. „Aktuell arbeitet jeder Vierte ausschließlich im Homeoffice. Das entspricht 10,5 Millionen Beschäftigten“, heißt es in einer im Dezember 2020 veröffentlichten Studie des Digitalverbandes Bitkom. Auf weitere 20 Prozent treffe das zumindest teilweise zu. Vor der Pandemie hätten diese Werte bei drei beziehungsweise 15 Prozent gelegen.
Doch die Arbeitswelt ist nicht nur mobiler, sondern auch digitaler, agiler und flexibler geworden. Für Führungskräfte hat die Corona-Krise eine neue Ära mit zahlreichen Herausforderungen eingeläutet: Sie müssen auf Distanz führen, dabei die Produktivität aufrechterhalten, indem sie die Mitarbeiter motivieren und binden. Sie müssen mit Volldampf Geschäftsmodelle digitalisieren oder um neue Säulen erweitern, wollen sie den Anschluss nicht verlieren. Ständig neue Regeln zu Lockdowns von light über hart bis sehr hart oder Vorschriften zum Arbeitsschutz verlangen zudem höchste Flexibilität. Was haben Führungskräfte aus der Pandemie gelernt? Auf welche Skills kommt es heute und künftig an? Was erwarten die Mitarbeiter von ihren Chefs? Und mit welchen Herausforderungen rechnen sie für die Zeit nach Covid-19?
Agenturchef Benjamin Minack war schnell klar, dass er als Erstes die Kommunikation in der Krise ändern muss. „Heute läuft es offener, intensiver, emotionaler“, sagt der Chef, der feste virtuelle Formate einführte: Jede Führungskraft spricht einmal täglich mit jedem Teammitglied unter vier Augen. An den verschiedenen Standorten der Agentur kommen die Kollegen zweimal wöchentlich zu einer Mischung aus Unterhaltung und Arbeit zusammen. Und zweimal monatlich schaltet sich die ganze Agentur via Zoom zusammen, um häufig gestellte Fragen zu klären. Dabei zeigte sich auch, dass Homeoffice und gleichzeitig Homeschooling viele Paare vor riesige Herausforderungen stellt. Im Spätsommer 2020 schloss der Mittelständler deshalb einen Vertrag mit einem Familienservice, der kurzfristig die Kinder betreuen kann und auch psychosoziale Aufgaben übernimmt.
Auch wenn Minack für das Arbeiten im Homeoffice eine positive Bilanz zieht, beobachtet er: „Das Bedürfnis nach Gemeinschaft ist ungebrochen. Nach Abschluss der Impfkampagne wird sicher eine hedonistische Zeit beginnen.“ Dass an der Zoom-Weihnachtsfeier der Agentur mit Live-Musik, Spielen und Unterhaltung das Gros der Kollegen teilgenommen hat, bestärkt den CEO in seiner Prognose. Als persönliche Lessons Learned verbucht er, sein Führungsverhalten geändert zu haben. „Ich war eher ein kritisch distanzierter Chef, habe in der Krise aber gelernt, mehr Nähe zuzulassen und Emotionen zu zeigen.“
Eine der größten Herausforderungen für die Arbeit im Homeoffice ist aus Sicht von Bitkom- Präsident Achim Berg die Abgrenzung von Beruflichem und Privatem. Sein Tipp: „Hierbei helfen klare Regeln und Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.“ Dass es noch Nachholbedarf gibt, findet auch das Fachmagazin „Harvard Business Manager“. Die Arbeit im Homeoffice steigere zwar die Produktivität und das Engagement der Mitarbeiter. Kommunikation, Wissenstransfer, kreativer Austausch, Kontaktpflege und die Datensicherheit ließen sich aber noch deutlich verbessern.

Technik für das Homeoffice

Das finden auch die Beschäftigten. Wie sie von ihren Arbeitgebern im Homeoffice unterstützt werden, darüber denken sie nicht nur positiv. Knapp jeder Vierte im Homeoffice beklagt, keinerlei Unterstützung dabei erhalten zu haben und nicht einmal über ein Smartphone oder ein Notebook des Arbeitgebers zu verfügen, so die Bitkom- Studie. Mit 61 Prozent wurde aber immerhin der Mehrheit ein Notebook gestellt, 29 Prozent erhielten einen Monitor, 20 Prozent ein Smartphone. Jeder Dritte berichtet laut Bitkom, dass der Arbeitgeber eine Plattform zum Mitarbeiteraustausch eingerichtet habe. Jeder Vierte wird bei der Selbstorganisation unterstützt, etwa durch Leitfäden. 13 Prozent haben eine spezielle Weiterbildung machen können.
Für produzierende Unternehmen wie die Ahlberg Metalltechnik GmbH spielt das mobile Arbeiten naturgemäß kaum eine Rolle. Der Mittelständler mit Sitz im Technologiepark Berlin-Adlershof beliefert vor allem die Automobilindustrie, die 60 Prozent zum Umsatz beisteuert. „Im ersten Lockdown mit der zeitweisen Schließung von ganzen Fabriken mussten wir zügig flexibel gegensteuern und das Geschäft mit unseren anderen Industriekunden, etwa in der Medizintechnik, stärken“, sagt Geschäftsführer Mario Ahlberg, der auch im IHK-Branchenausschuss Industrie sitzt. Eigentlich überlässt der Inhaber das Tagesgeschäft überwiegend seinen Mitarbeitern, vertraut auf deren Kompetenzen und hohes Verantwortungsbewusstsein. Ein bekanntes Zitat hat der Diplom-Kaufmann deshalb als seinen Führungs- Leitspruch umgemünzt in: „Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser.“
Doch in der Pandemie habe er sich deutlich rigider in den Vertrieb eingemischt, um seine Mitarbeiter zu motivieren und als Chef bei den Kunden Flagge zu zeigen. „Ich wollte auch Optimismus verbreiten, zeigen, dass wir es hinkriegen, und meine Sorgen nicht an die Kollegen weitergeben.“ Flexibilität war seine Devise auch beim Personaleinsatz. Ingenieure, die im Bereich Engineering weniger zu tun hatten, verstärkten die Maschinenbediener in der Produktion.
Beweglichkeit, Entscheidungsfreude und Kreativität haben sich ausgezahlt. Die Teams hätten gut mitgezogen, sagt der Chef. Um gut 15 Prozent brach der Ahlberg-Umsatz im vergangenen Jahr zwar ein, aber ohne den konsequenten Ausbau anderer Kundengruppen wären es sicher mehr gewesen. Für das laufende Jahr ist Ahlberg optimistisch, der Gruppen-Umsatz werde sich wieder in Richtung Vorkrisenniveau bewegen, und auch die Zahl der Beschäftigten will er nach einem vorübergehenden Personalabbau wieder aufstocken auf 170 Mitarbeiter.
Festhalten wird der Mittelständler an seinen bewährten individuellen Arbeitszeitmodellen mit flexibler Arbeitszeit, ohne Kernarbeitszeit in Verwaltung, Entwicklung und Konstruktion. „Ein 32-Jähriger etwa fängt bei uns nie vor Mit-tag an“, nennt der Chef ein Beispiel und empfindet diese Flexibilität auch als entscheidend, um als attraktiver Arbeitgeber zu punkten. Hinzu komme die Wertschätzung der Beschäftigten, die sich auch in Zusatzleistungen zeige wie einer eigenen Kantine, einem Parkplatz oder umsatzabhängigen Boni.
Seinen Führungsstil beschreibt Ahlberg als „konsequent und freiheitsliebend“, wobei er als Kaufmann niemals den Ertrag aus den Augen verliere. Offizielle Feedbacks zum Stil der Führungskräfte holt das Unternehmen zwar nicht ein. Aber die geringe Fluktuation wertet der Chef als einen Beweis dafür, dass die Richtung stimmt.
Wie Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung der Chefs auseinanderdriften, das haben die Personalberatung Kienbaum und die Online-Jobplattform Stepstone bei einer Befragung von rund 13.500 Fach- und Führungskräften zur „Kunst des Führens in der Digitalen Revolution“ vor der Pandemie ermittelt. Ihr Fazit: Was die Belegschaft wünscht und was Chefs glauben, zu bieten, das weicht stark voneinander ab.
„Führungskräfte schätzen sich bei allen Fragen zu ihrem Verhalten deutlich günstiger ein, als es Fachkräfte wahrnehmen“, so die Studie. Mit 54 Prozent gab die Mehrheit der Fachkräfte an, dass sie direktiv geführt werde. Und genau das wollen sie nicht. Sie wünschen sich vielmehr einen Chef, der charismatisch ist, als Vorbild fungiert, eine Vision vermittelt und motiviert. 94 Prozent votierten für diesen transformationalen Stil, der Selbstbestimmung fördert und Vertrauen in die Leistungsstärke beinhaltet.

Glaubwürdigkeit zählt

Experten raten deshalb, dass Vorgesetzte regelmäßig bei ihren Mitarbeitern ein Feedback einholen sollten, um zu erfahren, wie ihr Stil wahrgenommen wird. In ihrem jüngst erschienenen Buch „True Leadership: Führung in Extremsituationen“ kommen die Autoren Ingo Hamm und Wolf- Bertram von Bismarck zu dem Schluss, dass eine Krise nur mit einem echten, einem glaubwürdigen Führungsstil gemeistert werden könne.
Trotz Personalabbaus bei vielen von Corona stark betroffenen Branchen bleibt die Nachfrage nach Führungskräften hoch. Jürgen Below, Geschäftsführer der Berliner Below Tippmann & Compagnie Personalberatung GmbH: „Die Unternehmen suchen aktuell vor allem General Manager, die neue Geschäftsmodelle aufsetzen können oder Transformation beherrschen.“ Gefragt seien auch Personalchefs, die mit Blick auf die vielen neuen Arbeitsschutzvorschriften für reibungslose betriebliche Abläufe in den Betrieben sorgen könnten. Betriebliches Gesundheitsmanagement wird aus Belows Sicht auch nach der Krise ein Top-Thema für Führungskräfte bleiben. Außerdem beobachtet der Headhunter, dass aktuell Seniorität gefragt sei. Manager mit viel Erfahrung, die auf die neuen Bedingungen reagieren können, sind dann selbst mit Ende 50 nicht zu alt.
Norbert Meinike, Leiter globales Marketing, bei Blacklane GmbH in Berlin, musste im März 2020 erst einmal zusehen, wie in Windeseile ein bis dato erfolgreiches Business plötzlich ins Wanken geriet. Weltweit bringt das 2011 gegründete Berliner Unternehmen mit heute rund 400 Mitarbeitern, davon gut 300 in der Hauptstadt, auf seiner Plattform Chauffeur-Dienstleister mit Privat- und Geschäftskunden zusammen. Als die Airport-Fahrten schlagartig einbrachen, waren Agilität und Kreativität gefragt. „Wir haben unsere Services angepasst und als Alternative zu Flug und Bahn Inter-City-Fahrten angeboten“, sagt Meinike. So hätten die Kunden ihre persönlichen Kontakte reduzieren können. Um das Angebot attraktiv zu machen, reduzierte Blacklane den Preis für die Fahrten deutlich. Als entscheidendes Kriterium für ein erfolgreiches Anpassen eines Geschäftsmodells nennt der 47-Jährige Transparenz. „Die Mehrheit der Mitarbeiter will wissen, welchen Beitrag sie zum Unternehmenserfolg leisten können. Dafür müssen sie aber die Pläne des Unternehmens verstehen.“
Bewährt habe sich in der Krise, dass Blacklane vor zwei Jahren die sogenannte OKR-Methode eingeführt habe. Erfunden Mitte der 70er Jahre beim US-Halbleiterhersteller Intel und unter anderem bei Google erfolgreich eingesetzt, hilft sie Unternehmen, sich zu fokussieren, Ressourcen effizient einzusetzen und die Belegschaft stärker in die Definition von Zielen einzubinden. Dabei steht OKR für Objectives (Ziele) und Key Results (Kernergebnisse). Gemeinsam legen Mitarbeiter und Chefs fest, was sie erreichen wollen und wie sie ans Ziel kommen möchten. Als OKRFaustregel nennen Experten, dass 40 Prozent der Inhalte „von oben“ und 60 Prozent aus der Belegschaft kommen sollen. In eine Software wird eingetragen, wer sich welches Ziel gesetzt hat, und nach Ablauf des Quartals, was daraus geworden ist. Haben sich die Rahmenbedingungen geändert, wird der Kurs korrigiert. Jeder Mitarbeiter kann sehen, was er zum Erfolg beigetragen hat, zeitraubende und demotivierende Doppelarbeit wird vermieden. Wie Unternehmer Ahlberg blickt auch Meinike optimistisch auf das neue Jahr. „Seit dem vierten Quartal geht es wieder aufwärts.“
Nicht nur für die Mitarbeiter, auch für die Führungskräfte hat die Corona-Krise die Frage nach dem „Warum“ stärker in den Fokus der Karriereplanung gerückt. Laut einer Ende 2020 veröffentlichten Studie der auf Executive Search spezialisierten Personalberatung Odgers Berndtson belegte zwar der „Einsatz der persönlichen Stärken und Begabungen“ mit gut 62 Prozent unter den Karrieremotivatoren Platz eins. Auf Rang zwei folge aber schon die „Sinnhaftigkeit der eigenen Aufgabe“, die in den Vorjahren nur auf Platz vier oder fünf landete.
Wie Benjamin Minack, Mario Ahlberg und Norbert Meinike braucht auch Nicole Srock.Stanley aktuell gute Nerven, um die Krise zu managen. Zumal sie als Mutter von drei schulpflichtigen Töchtern gleichzeitig das Thema Home-schooling meistern muss. Anders als viele Unternehmen hatte die Chefin der dan pearlman Group, einem Verbund inhabergeführter Kreativagenturen mit 120 Mitarbeitern, schon vor der Krise die meisten Prozesse digitalisiert. „Für eine erfolgreiche Arbeit brauchen wir aber das physische Miteinander in der Agentur.“ Srock.Stanley machte sich zunächst mit allen digitalen Tools vertraut, um Möglichkeiten und vor allem Belastungsgrenzen kennenzulernen. „Mit einem sechsstündigen Workshop im Büro haben die Teams kein Problem, nach einer zweistündigen digitalen Konferenz fühlt man sich hingegen völlig überrollt.“ Um auch unter den neuen Gegebenheiten erfolgreich zu arbeiten, gründete die Agentur deshalb diverse digitale Arbeitsgruppen, die Kollaborations-Tools, neue Schutzregeln am Arbeitsplatz, aber auch Lösungen für Eltern mit Kindern erarbeitete.
Ihr Zwischenfazit: „Die Krise ist ein unglaublicher Innovationsbeschleuniger und hat uns explosionsartig ins digitale Zeitalter katapultiert.“ Das eigenverantwortliche Arbeiten habe erstaunlich gut funktioniert, auch weil man eine starke Vertrauenskultur entwickelt habe. Eine soziale Kontrolle sei im Homeoffice schließlich so gut wie gar nicht möglich. In den Reigen derer, die jetzt die vielen Vorzüge des Homeoffice preisen, will die Managerin allerdings nicht ein-stimmen. „Zuhause ist mein Erholungsort, mein Platz, an dem ich mit meiner Familie zusammen bin. Da will ich abschalten“, sagt Srock.Stanley. Die Pandemie habe ihr einmal mehr gezeigt, wie wichtig die physischen Räume seien. „Nur dort können wir die Unternehmenskultur vermitteln und vorleben sowie das Miteinander der Mitarbeiter fördern.“

Flexibilität birgt Konfliktpotenzial

Auch nach Ende der Pandemie werden Führungskräfte zahlreiche Herausforderungen meistern müssen. Robert Ermich, Mehrfachgründer und heute Geschäftsführer der OnTruck GmbH, die ihren Kunden seit 2018 Werbeflächen auf großen Lkw verkauft (siehe auch Seite 32), ist überzeugt: „Die Unternehmen werden viel mobiler arbeiten. Mitarbeiter, etwa aus der IT, werden wahrscheinlich überwiegend von zu Hause oder unterwegs ihren Job erledigen, andere kommen häufiger ins Büro, weil sie es wollen oder müssen.“ Was selbstbestimmt und verführerisch klingt, birgt auch Tücken. „Die Führungskräfte werden häufig Konflikte managen müssen, weil die Meinung darüber, wer wann von wo arbeiten kann, in den Teams und auch zwischen den Teams oftmals stark auseinandergehen wird. Auch das hat die Krise bereits gelehrt“, sagt Ermich, der aber wie Agenturchef Benjamin Minack glaubt, dass sich nach Ende der Corona-Pandemie viele erst einmal ins Büro zurücksehnen. Die persönlichen Kontakte und der informelle Wissensaustausch in der Kaffeeküche, beim Kickern oder Dartspiel seien so leicht nicht zu ersetzen, so Ermich.
Der amerikanische Trendforscher Rohit Bhargava nennt diese Zeit die „Flitterwochen“. Doch dann würden sich die Mitarbeiter daran erinnern, dass sie während der Krise nicht 45 Minuten im Zug zur Arbeit hätten fahren müssen. Und das Pendel werde wieder zurückschwingen. Zwei bis drei Tage würden die Beschäftigten künftig im Büro verbringen, dort alle Konferenzen abhalten und Gespräche führen und schließlich den Rest der Arbeitszeit im Homeoffice sein, ohne „Konferenzhölle“ und sehr produktiv arbeitend.
Ganz anders die Prognose von Personalberater Below: „Ich glaube, dass sich nach Ende der Krise gar nicht so viel ändern wird. Das eine Jahr seit Ausbruch der Pandemie hat gezeigt, wie wichtig die Präsenz am Arbeitsplatz ist.“ Das gilt auch für seine Branche. Um etwa Führungspositionen final zu besetzen, seien persönliche Interviews unerlässlich. Wie Robert Ermich beobachtet Below zudem bereits eine gewisse Neiddebatte in den Firmen, weil die Meinungen sehr darüber auseinandergingen, wie man seine Arbeitszeit zwischen Büro und Homeoffice aufteilen könne. „Und viele vermissen einfach den Austausch mit den Kollegen.“
Wie stark die Pandemie tatsächlich die Arbeitswelt nachhaltig verändern wird, bleibt abzuwarten. Auch nach der Finanzkrise wurde zum Beispiel ein Ende des Konferenztourismus vorhergesagt – und kurz darauf wieder sehr viel gereist. Schon vor der Krise eingeläutete Trends könnten sich jedoch verstärken: Noch mobiler, digitaler, agiler und flexibler dürfte es in den Unternehmen zugehen. In turbulenten Phasen sollten Chefs die Devise von Kenny Wilson befolgen. Dem britischen „Evening Standard“ erklärte der CEO der Kultstiefel-Marke Dr. Martens einmal: „Ich mache mir keinen Stress. Das ist von Vorteil, denn wenn der Boss gestresst ist, machen sich alle Sorgen.“
von Eli Hamacher