BW 03/2021 – Schwerpunkt | Interview

„Homeoffice? Wow, das geht ja!“

Martin Permantier ist Gründer der Kommunikationsagentur Short Cuts. Er berät Firmen in Führungsfragen. Seit der Pandemie beobachtet er einen Kulturwandel zum Positiven in Chefetagen
Für sein Buch „Haltung entscheidet“ hat Martin Permantier sich damit beschäftigt, wie Firmen durch Führung und Unternehmenskultur fit für die Zukunft gemacht werden können. Corona hat den Reifungsprozess der Haltung im Topmanagement beschleunigt, meint er. Fast zwangsläufig müssen Führungskräfte nun auf Vertrauen statt auf Kontrolle setzen.

Berliner Wirtschaft: Was hat sich für Sie im Pandemie-Jahr 2020 verändert?

Ich weiß jetzt die Vorzüge der digitalen Kommunikation noch besser zu schätzen. Zum Beispiel habe ich den vergangenen Monaten unglaublich viele neue Leute kennengelernt, die ich sonst wahrscheinlich nicht getroffen hätte. Vor Corona hat man gesagt: Wenn ich mal in München bin, dann komm ich vorbei. Aber dann passiert das nicht. Jetzt sagt man: Lass uns mal einen Videocall machen, und dann tauscht man sich sofort aus. Ein großer Anteil unserer früheren Reisetätigkeit wird auch künftig unterbleiben.

Arbeiten Sie lieber im Homeoffice als im Büro?

Nein, ich gehe fast jeden Tag ins Büro, weil ich die Atmosphäre in unseren Räumen sehr schätze. Ein Drittel unserer Mitarbeiter kommt ebenfalls täglich, ein Drittel ab und zu, ein Drittel arbeitet überwiegend im Homeoffice. Dieses Verhältnis ist auch in anderen Unternehmen zu beobachten. Einige Mitarbeitende von uns arbeiten von Bremen oder Regensburg aus. Mittlerweile denke ich: Ja, wenn diese Mitarbeiter sich verantwortlich für die Projekte und für die Ziele fühlen, ist das okay.

Können Sie Ihre Firma noch genauso gut führen wie in Zeiten, in denen alle im Büro waren?

Ja, wir haben schon vor vier Jahren angefangen, agile Tools in der Kommunikation zu nutzen, und Formate wie ein Daily etabliert. Dabei setzen sich die Teams jeden Morgen für zehn Minuten zusammen. Jeder erzählt, was er macht und am Tag zuvor gemacht hat, was gut und was schlecht lief, welche Probleme aufgetreten sind und wo er Hilfe braucht. So hatten wir schon vor Corona eine Führungspraktik aufgebaut, bei der die Mitarbeiter aus den Teams sich gegenseitig managen. Diese tägliche Routine haben wir 2020 ins Virtuelle übertragen. Unternehmen, die diese Routine nicht hatten, hatten es sicherlich schwerer.

Weil die Mitarbeiter plötzlich allein dastanden?

Genau. Der eine oder andere fühlte sich sicherlich ein bisschen verloren. Ihnen wird viel mehr Eigenverantwortung und Selbstorganisation abverlangt, sie müssen sich plötzlich selbst führen. Bei vielen klappt das aber ausgesprochen gut, sie entwickeln ganz neue Qualitäten, beschäftigen sich mit technischen Tools, bringen Verbesserungsvorschläge ein.

Homeoffice funktioniert also besser, als viele dachten?

Früher dachten viele Führungskräfte, dass ihre Mitarbeiter im Homeoffice vor allem auf dem Sofa sitzen und sich ablenken lassen. Heute merken sie: Homeoffice? Wow, das geht ja! Zwar macht jeder, was er will – aber es funktioniert. Der eine arbeitet frühmorgens, der andere spät am Abend, aber die Ergebnisse kommen. Die meisten Mitarbeiter arbeiten eigenbestimmt, selbstverantwortlich und verlässlich und folgen den Werten des Unternehmens. Allerdings nagt die aktuelle Situation am Selbstwertgefühl vieler Führungskräfte.

Warum?

Sie können jetzt nicht mehr durch volle Büroetagen laufen, Aufgaben delegieren und kontrollieren, dass alles so läuft, wie sie es sich vorstellen. Jetzt bedarf es eines anderen Selbstbilds von Führung.

Wie sieht das aus?

Führung wird in Zukunft weniger Kontrollmechanismen haben, dafür aber agiler und verteilter sein. Mitarbeiter werden sich viel stärker selbst führen. Und die Kommunikation verläuft nicht mehr so stark hierarchisch zwischen Vorgesetztem und Mitarbeitern, sondern stärker im Team. Dazu brauchen wir aber eine neue Vertrauenskultur.

In der weniger Kontrolle herrscht?

Ja, viele Führungskräfte haben sich bisher einer Kontrollillusion hingegeben. Auch im Büro wussten viele, wie sie die Kontrolle aushebeln können. Dass Arbeit nur über Kontrolle zu organisieren ist, basiert auf einem Menschenbild, das sich nicht aufrechterhalten lässt.

Wie kommen wir zu dieser neuen Vertrauenskultur?

Indem wir mehr auf das achten, was gut läuft. Bei vielen Führungskräften steht heute das eigene Misstrauen im Fokus. Sie sehen das, was nicht so gut läuft, aber nicht, dass das Team größtenteils vertrauenswürdig arbeitet und Ergebnisse liefert. Natürlich gibt es gerade in dieser Zeit auch Mitarbeiter, die mit der Situation nicht zurechtkommen und weniger produktiv sind als zuvor im Büro. Aber das sind relativ wenige. Vielen Führungskräften fällt es aber schwer, dieses Verhältnis realistisch abzuschätzen. Es bedarf der Selbstentwicklung der Führungspersönlichkeiten und der Erweiterung der inneren Haltung. Tabus brechen auf.

Also wird Corona die Führung langfristig verändern?

Auf jeden Fall. Führung wird in Zukunft agiler werden. Führungskräfte zeigen auf, welche Ergebnisse sie erwarten. Die Mitarbeiter entscheiden dann selbst, wie sie diese erreichen wollen. Bei Führung geht es manchmal auch darum, den Mund zu halten. Das ist eine großartige Lernchance – mal nicht beteiligt zu sein und die anderen machen zu lassen. Daraus ergibt sich ein Raum für mehr Selbstführung.

Gibt es so etwas wie einen längerfristigen Entwicklungspfad, den gute Führung durchläuft?

Die Reifung beginnt mit der Selbstentwicklung und besteht darin, Führungskommunikation transparenter und emotionaler zu gestalten und dadurch komplexere Aufgabenstellungen besser zu bewältigen. Von der Orientierung an Zahlen geht es zu einer stärkenorientierten Führung. Mit der Fähigkeit zur Selbstreflexion wächst die Fähigkeit zur emotionalen Führung. Wir nehmen unsere eigenen Gedanken und Gefühle besser wahr und erkennen deren Subjektivität. Das ist der Beginn von Agilität. Die nächste Entwicklung wäre ein Führungsteam, das interdisziplinär und divers in einem offenen Austausch miteinander steht, sich selbst führt und sich die Macht teilt.

Das klingt nach einer Machtverschiebung.

Durch den demografischen Wandel haben Mitarbeiter bei der Auswahl des Arbeitgebers schon jetzt mehr Macht bekommen. Der kulturelle Aspekt ist bei der Arbeitsplatzwahl wichtiger geworden. Jetzt kommt hinzu, dass Führungskräfte nicht mehr so einen starken Zugriff auf die Menschen haben. Wir können auch von einer Demokratisierung der Führung sprechen. Wir fangen an, uns mehr als selbstverantwortliche Erwachsene zu sehen.

Wer gestaltet diese Veränderungsprozesse?

Manchmal heißt es, dass nur der Vorstandschef und der Aufsichtsratschef an einem Strang ziehen müssen, um einen Change-Prozess zu initiieren. Mittlerweile glaube ich, dass der echte Wandel aus der Mitte der Unternehmen kommt, weil das Topmanagement zu sehr auf Prozessoptimierungen geschult ist und sich schlecht davon lösen kann.

Wächst in Corona-Zeiten der Beratungsbedarf von Führungskräften?

Wir unterstützen Unternehmen mit den Führungsthemen Haltung, Werte und Identität. Nun fällt vielen auf, wie wichtig diese Aspekte sind. Gerade jetzt wird auch deutlich, dass in vielen Firmen kein einheitliches Führungsverständnis existiert. Die Diskrepanzen waren zuvor nicht sichtbar. Aktuell reagieren Führungskräfte sehr unterschiedlich auf die neue Situation. Die einen reagieren mit Ängsten und fragen sich, wer sie jetzt sind in den veränderten Strukturen. Andere sehen in den Veränderungen neue Wachstumschancen. Dabei wird deutlich, dass die einen kontrollieren, die anderen vertrauen wollen.

Werden Werte wichtiger, um Mitarbeiter in ihren Homeoffices führen zu können?

Ja, aber diese Unternehmenswerte kann keiner aus dem Hut zaubern, die müssen erarbeitet werden. Wir haben schon erlebt, dass höhere Führungsetagen sich auf Werte verständigt haben und fünf Jahre später frustriert feststellen mussten, dass kaum jemand diese Werte kennt und noch weniger damit leben. Das Problem: Die Werte wurden top-down beschlossen, und dann hieß es: So, jetzt lebt mal damit.

Wie hätte man es besser machen können?

Es muss in das Unternehmen hineingehört werden, auf welchen emotionalen Gemeinsamkeiten die Unternehmenswerte basieren können. Mit Kontrolle entsteht keine Verbundenheit. Wir brauchen noch einen anderen Kitt. Und der funktioniert über Narrative.

Was hat das mit den Werten zu tun?

Über diese Narrative entwickeln und transportieren wir die Werte. Entscheidend ist, was wir uns erzählen. In welcher Mission sind wir unterwegs? Welche Vision verfolgen wir? Mit welcher Strategie wollen wir unsere Ziele erreichen? Welches gemeinsame Führungsverständnis haben wir? Wenn das für alle verständlich formuliert ist, sodass sich jeder drauf beziehen kann, dann kann ich auch die virtuelle Arbeit viel einfacher organisieren. Dann gibt es ein emotionales Wir.

Wie wirkt es sich auf Unternehmen aus, wenn sich durch Corona Führungskultur weiterentwickelt?

Corona hat uns eine neue Beweglichkeit gebracht. Es wächst die Bereitschaft, Neues zu denken und Neues zu wagen – ebenso wie die Fähigkeit, mit den Veränderungen umgehen zu können. Das sind für Unternehmen wichtige Voraussetzungen, um sich zukunftsfähig aufzustellen.
von Michael Gneuss