Theo Kahl von Alexander Köhl, Biograf, Mainaschaff

Glücksfall für den Aschaffenburger Einzelhandel

Heute lässt sich nicht mehr mit Gewissheit sagen, ob Theo Kahl bereits als Jugendlicher den Berufswunsch hegte, das nach seinem Vater benannte Modewarengeschäft Ernst Kahl zu übernehmen. Dass er es jedoch tat, erwies sich als Glücksfall für den Aschaffenburger Einzelhandel.
Die ersten beruflichen Erfahrungen sammelte der 1937 geborene Theo Kahl allerdings nicht im väterlichen Betrieb in der Aschaffenburger Herstallstraße, sondern bei der Kaufhof AG in Hanau. Dort absolvierte er ab seinem sechzehnten Lebensjahr eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. „In unserer Familie bestand das Bestreben und die Devise, den Beruf außer Haus zu erlernen“, erinnert sich heute sein Sohn Michael, der das Geschäft in dritter Generation unter neuer Firmierung und mit verändertem Produktsortiment fortführt. „Man wollte sehen, wie es die anderen, die Großen, machen.“
Als frisch gebackener Einzelhandelskaufmann blieb der junge Kahl dem Kaufhofkonzern vorerst treu. An den Standorten Nürnberg und Rheydt erklomm er die Karriereleiter stetig weiter nach oben, bis er Mitte der 1960er Jahre in der Filiale Würzburg eine Stellung als Abteilungsleiter innehatte.
Vielleicht hätte sich Kahls erfolgreiche Karriere im Kaufhofkonzern noch fortgesetzt, wenn nicht 1968 das Schicksal in der Familie zugeschlagen hätte. Sein Vater Ernst Kahl erlitt einen Herzinfarkt und musste sich weitgehend aus dem Berufsleben zurückziehen. Er übergab die Geschäftsführung seines Modewarengeschäfts an seinen Sohn Theo, der in Würzburg die Zelte abbrach und in seine Heimatstadt zurückkehrte.
Damals ahnte in Aschaffenburg noch niemand, welche Bedeutung das Wirken und Engagement des noch jungen Mannes einmal haben würde, der sich nicht nur um die eigenen Geschäfte kümmerte, sondern auch generell die Belange des ortsansässigen Einzelhandels im Blick hatte.
Die Planung und der Bau der City Galerie in den 1970er Jahren auf dem ehemaligen Gelände der Buntpapierfabrik bedeuteten einen massiven Einschnitt in die bestehende Einzelhandelsstruktur Aschaffenburgs. Etliche von Kahls Kollegen fürchteten damals die sich abzeichnende Konkurrenz der großen Warenhäuser in der geplanten City Galerie und die hohen Mietpreise dort, die nur die Erfolgreichsten der Branche würden zahlen können. Doch Kahl, der in allem auch immer das Positive sah, erkannte in dem Projekt sofort eine Chance: Die Attraktivität solch eines großen Einkaufszentrums im Herzen der Stadt würde nahezu magnetische Wirkung entfalten und viele zusätzliche Kunden aus dem Umkreis anlocken. Aus diesem Kalkül heraus wurde Kahl auch von Beginn an mit einem Ladengeschäft Mieter in der City Galerie, ohne das Stammhaus in der Herstallstraße aufzugeben. „Du musst mit deinen Läden dahingehen, wo Frequenz ist“, zitiert ihn sein Sohn Michael sinngemäß. „Was hilft dir der Laden um die Ecke zu einem deutlich niedrigeren Mietpreis, wenn niemand vor der Haustür herumläuft.“
Obwohl selbst bald Mieter im entstehenden Einkaufszentrum, lag es dennoch in Kahls Bestreben, dessen mutmaßlicher Dominanz etwas entgegenzusetzen. Seiner Vorstellung nach musste die Infrastruktur des Einzelhandels im Innenstadtkern gestärkt werden. Deshalb setzte er sich beim damaligen Oberbürgermeister Willi Reiland dafür ein, das Areal um die Herstallstraße in eine Fußgängerzone umzuwandeln und diese an die City Galerie anzuschließen. Der Beschluss zur Umsetzung dieses städtebaulichen Schachzugs erging noch im Sommer 1973. Im November desselben Jahres wurde die Fußgängerzone errichtet, gerade rechtzeitig vor Eröffnung der City Galerie 1974.
Zudem rief Kahl die Initiative der 23 Starken ins Leben. Eine Werbegemeinschaft aus Einzelhändlern, die als Pendant zur City Galerie auftrat und gemeinsam Werbung für die Geschäfte im innerstädtischen Bereich betrieb.
Sowohl die Idee zur Umwandlung von Bereichen der Innenstadt zur Fußgängerzone als auch die Gründung der Werbegemeinschaft veranschaulichen exemplarisch, auf was es Kahl zeit seines Lebens ankam: „Aschaffenburg zu einer lebendigen Einkaufstadt zu entwickeln, in der der Einzelhandel seinen festen Platz hat“, erinnert sich sein Freund, der ehemalige Sparkassenvorstand Hermann Beck.
Doch dem Erreichen eines solchen Status‘ standen auch große Hürden im Weg. So musste Kahl beispielsweise beobachten, dass in der Folgezeit national und global agierende Handelskonzerne immer mehr kleinere inhabergeführte Geschäfte aus der Innenstadt verdrängten, und dass deshalb Teile des Einzelhandels in umliegende Gemeinden auf „die grüne Wiese“ abwandern mussten. Eine Entwicklung, die ihm Kopfzerbrechen bereitete, ihn aber gleichermaßen motivierte. Ebenso war ihm die anfängliche Planung des Areals Bahnhof-Nord ein Dorn im Auge. Deshalb setzte er sich mit Verve dafür ein, dass jenes Gewerbegebiet nur in der Dimension entstand, die dem Einzelhandel der Innenstadt nicht allzu weh tat.
Sein Kampf für die Interessen des örtlichen Handels und der freien Wirtschaft ziehen sich wie ein roter Faden durch Kahls Biografie. Die Liste seiner ehrenamtlichen Engagements ist lang und beeindruckend. Er engagierte sich leidenschaftlich im Aschaffenburger Einzelhandelsverband, zu dessen Vorsitzenden er 1993 bis 2003 gewählt worden war. Auch auf kommunalpolitischer Ebene erhob er als stellvertretender CSU-Fraktionsvorsitzender und insbesondere im Stadtrat seine Stimme. Als Stadtrat setzte er sich zielorientiert und nachdrücklich für die verkehrsmäßig gute Erreichbarkeit der Innenstadt, die Schaffung ausreichender Parkplätze sowie die Durchsetzung verkaufsoffener Sonntage ein. Letztere hielt er allerdings nicht schon von Anfang an für notwendig.
Im Übrigen lag Kahl das Image der Stadt Aschaffenburg am Herzen. Auch deswegen rief er als Vorsitzender des damaligen Verkehrsvereins mit anderen ehrenamtlichen Akteuren das erste Stadtfest ins Leben, das er persönlich am 6. September 1986 eröffnete.
Hervorzuheben ist auch Kahls langfristiges Engagement in der IHK Aschaffenburg. Dort brachte er sich ebenso ein wie einst sein Vater Ernst. Über Jahrzehnte war er Mitglied der Vollversammlung und sechs Amtsperioden lang Mitglied des Präsidiums. Mehreren Fachausschüssen stellte er Wissen und Rat zur Verfügung. Im Januar 2003 ernannte ihn die Vollversammlung der IHK Aschaffenburg zu ihrem Ehrenmitglied.
Gleich, wo Kahl auftrat, man schätzte ihn für seine ruhige, besonnene Art, seine klaren Worte und stets gut begründeten Positionen. In seiner Freizeit spielte Kahl gerne Tennis. Auch mit seinem Freund Hermann Beck, mit dem er sich auf dem Platz das ein oder andere heiße Match lieferte. Weiteren Hobbys frönte Kahl nicht. Vielleicht, weil er bis zu einem gewissen Grad auch seinen Beruf als Hobby betrachtete. Er wollte nicht verstehen, wenn jemand die Tage zählte, bis er in Rente gehen konnte. Im Gegensatz dazu hoffte Kahl, möglichst lange arbeiten zu können, da ihm seine Tätigkeit große Freude bereitete. Trotz der limitierten Freizeit, die ihm Beruf und Engagements ließen, begab sich Kahl gern in Gesellschaft. Man traf ihn auf dem Tennisplatz, beim Rotary Club, zu diversen gesellschaftlichen Anlässen oder im Kreis seiner Freunde und Familie. Theo Kahl verstarb am 28. Juni 2011 mit 73 Jahren nach langer Krankheit.